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Der Schock: Das Ende der Beatles  (Manfred Orlick)

Bei den Fans schlug die Nachricht ein, als sei es der Weltuntergang. Am 10. April 1970 gab Paul McCartney in einer Pressemitteilung bekannt, dass er die Beatles verlassen werde. Die Plattenfirma Apple Records bestätigte McCartneys Abgang und fügte lapidar hinzu, die Tätigkeit der Beatles könne ,,auf Jahre hinaus« eingestellt sein. Die Welt war schockiert.

 

Dabei war es ein schleppendes Ende gewesen, das sich seit dem Tod ihres Managers Brian Epstein im August 1967 über zwei Jahre hingezogen hatte. Mit Epstein war den vier Musikern so etwas wie ihr Mittelpunkt abhandengekommen. Nun musste die Band sich selbst managen. Eine zusätzliche Belastung. Im November 1968 veröffentlichte sie ihr neuntes Studioalbum, das »Weiße Album«, mit dem sie noch einmal alle musikalischen Register zog. Es war das originellste Werk der Beatles und eine Zäsur in ihrer Karriere, denn mit diesem Doppel-Album (im schlichten weißen Cover) verabschiedeten sich die Musiker von der bunten, drogengetränkten, psychedelischen Flower-Power-Zeit. Aber bereits bei der monatelangen Einspielung der Titel war es zu internen Spannungen gekommen. So hatte Ringo Starr die Band für zwei Wochen verlassen. Die Öffentlichkeit erfuhr nichts davon.

 

Zu Beginn des Jahres 1969 hatte schließlich George Harrison die Nase voll. Da er sich als Gitarrist immer mehr als Songwriter emanzipierte, führte das unweigerlich zu Konflikten mit den dominanten Songwritern Paul McCartney und John Lennon. Nach einem heftigen Streit verschwand Harrison. Niemand versuchte, ihn aufzuhalten. Erst nach fünf Tagen kehrte er mit einigen Forderungen zurück. Zwei Tage später erschien das zehnte Album »Yellow Submarine«, das als Soundtrack-Album für den gleichnamigen Film gedacht war.

 

Um weiteren Reibereien vorzubeugen, organisierte McCartney am 30. Januar 1969 auf dem Dach des fünfstöckigen Londoner Apple-Studios ein Blitzkonzert (Rooftop Concert), zu dem auch Billy Preston mit E-Piano eingeladen wurde. Für eine knappe Dreiviertelstunde nahmen die Beatles als Band wieder Gestalt an. Das Londoner Zufallspublikum unten auf der Straße ahnte nicht, dass es Zeuge des letzten öffentlichen Auftritts der Fab Four war. Da der Verkehr in den umliegenden Straßen erlahmte, beendete die Polizei schließlich das wohl berühmteste Konzert der Popmusikgeschichte.

 

Die vorübergehende Wiedervereinigung konnte jedoch nicht mehr die Auflösung der Band aufhalten. Nach fast zehn Jahren hatten die vier Musiker genug, jeder ging längst seinen eigenen Weg. Im März 1969 heiratete McCartney die Fotografin Linda Eastman und Lennon die japanische Aktionskünstlerin Yoko Ono. Ringo Starr versuchte sich als Schauspieler und George Harrison vertiefte sich in Meditationen und Gebete. Für ihr letztes Album »Abbey Road« rauften sie sich noch einmal als Band zusammen. Im Sommer wurden die letzten Songs eingespielt, und am 8. August nahm der Fotograf Iain McMillan das legendäre Coverfoto der Beatles auf, wie sie gerade einen Zebrastreifen überquerten. Am 26. September erblickte das Album das Licht der Welt und war mit Titeln wie »Here Comes The Sun«, »Because«, »Octopus’s Garden« oder »Oh! Darling« ein weiterer musikalischer Meilenstein der Fab Four.

 

Kurz vor der Veröffentlichung von »Abbey Road« hatte Lennon seinen Austritt aus der Band verkündet. Er willigte aber ein, die Entscheidung nicht öffentlich zu machen, um den Erfolg der Platte nicht zu gefährden. Der Grund für seinen Abschied war ein Zerwürfnis mit McCartney über ihren neuen Manager. Bis heute wird darüber gerätselt, ob McCartneys Pressemitteilung vom 10. April 1970 vielleicht ein Akt der Abrechnung mit dem ehemaligen Freund war? John Lennon fühlte sich jedenfalls hintergangen und äußerte einem Journalisten gegenüber: »Paul McCartney hat nicht die Beatles verlassen; ich habe ihn entlassen.« Erst zwei Jahre später trafen sich die beiden zur Versöhnung bei Lennon in New York.

 

Sieben Tage nach seinem öffentlichen Ausstieg veröffentlichte Paul McCartney sein erstes Solo-Album »McCartney«. Da waren George Harrison mit den beiden Instrumental-Alben »Wonderwall Music« (November 1968) und »Electronic Sound« (Mai 1969), John Lennon mit dem Livealbum »Live Peace In Toronto« (gemeinsam mit seiner Plastic Ono Band) im Dezember 1969 und Ringo Starr mit seinem Solo-Debüt »Sentimental Journey« im März 1970 längst vorgeprescht.

 

Im Mai 1970 erschien mit »Let It Be« dann das letzte Studioalbum, da gab es die Beatles nicht mehr. Die Songs für den musikalischen »Abschiedsgruß« waren bereits Anfang 1969 entstanden, doch aufgrund der Querelen hatten die Bandmitglieder lange Zeit kein Interesse mehr gehabt, an den Aufnahmen weiterzuarbeiten. Die Arbeit an dem Album war von einem Kamerateam festgehalten worden. Als der Film ebenfalls im Mai in New York und London uraufgeführt wurde, war keiner der Beatles bei der Premiere anwesend.

 

Es gab nicht den einen, einzigen Grund für die Trennung der Beatles; vielmehr war es die Verkettung von Ereignissen, durch die sich die vier Pilzköpfe immer mehr entfremdeten. Nach außen hielten sie zwar den Anschein einer Gruppe aufrecht, aber über Monate lagen sie bereits im Clinch. So war die öffentliche Trennung im April 1970 nur noch eine Formalität. Damals fand John Lennon für die Fans die tröstenden Worte: »Es ist nur eine Band, die auseinandergeht. Es ist nicht das Ende der Welt.«