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Uneigennützige NATO  (Martin Petersen)

Der Krieg ist Vater aller Dinge, mit denen die Menschheit sich selbst zerstört. Sein Lieblingskind ist die Lüge, denn wer einen Krieg gewinnen will, muß neben dem Feind die Wahrheit erschlagen. Das weiß auch die NATO, die 1999 während ihres Angriffskriegs gegen Serbien den Hauptsitz und die Studios der Radio- und Fernsehgesellschaft RTS in Belgrad samt der dort Arbeitenden bombardierte. Mit einem Schlag sollten die Sender der NATO-Staaten die uneingeschränkte Propagandahoheit über Europa erhalten.

Inzwischen ist es immer leichter geworden, über das weltweite Computernetz Informationen – auch Fernsehfilme – zu verbreiten, ohne den Standort des Studios zu verraten. Auch diejenigen, die von der NATO als internationale Terroristen bekämpft werden, beherrschen diese Kunst. Was tun? Das kleine Dänemark – seit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen kennt man sich dort mit der Wirkung von Propagandabildern gut aus – schenkte der großen NATO vor wenigen Tagen einen eigenen Fernsehsender. Während des jüngsten NATO-Gipfels in Bukarest drückten deren Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen gemeinsam einen roten Knopf – was gleich nichts Gutes erwarten ließ – und schickten damit ihren Internetsender NATO TV auf Sendung, der seitdem ausschließlich über die schönen und schönsten Seiten des Militärbündnisses berichtet.

Von denen gibt es viele: Unter den Augen lächelnder Eingeborener heben britische Soldaten uneigennützig einen Bewässerungsgraben in der afghanischen Provinz Sanguin aus. Lächelnde Eingeborenenmädchen erheben sich in afghanischen Klassenräumen vor lächelnden NATO-Soldaten und bedanken sich dafür, daß sie dank der selbstlosen NATO-Soldaten zur Schule gehen dürfen. Mildtätige NATO-Soldaten der »Operation Care« übergeben kleinen Eingeborenenkindern Spielzeug, Luftballons und Kleidung. Und wer hätte gedacht, daß eine Unterorganisation der NATO in den letzten zehn Jahren hilflosen Eingeborenen in über dreißig Ländern half, Naturkatastrophen zu überstehen? Ob nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans, nach Fluten in Osteuropa oder nach einem Erdbeben in Pakistan: Auf einmal waren barmherzige NATO-Soldaten zur Stelle, um Menschlichkeit walten zu lassen und das zu schultern, was in kolonialistischen Zeiten »die Last des weißen Mannes« hieß. »Seit über fünfzig Jahren dient die NATO dazu, Zivilbevölkerungen zu beschützen«, klärt eine NATO-Sprecherin auf. Jede Unwahrheit braucht einen Lügner, der sie ausspricht.

Im Archiv des neuen Senders finden sich zauberhafte Kostbarkeiten der Zeitgeschichte. Wem kommen nicht Tränen der Rührung und anderes hoch, wenn zu den Klängen einer klebrigen Pornofilm-Musik der Beitritt Spaniens zur NATO im Jahr 1982 verkündet wird? Oder wenn zu zackigen Blechbläserfanfaren ein gewisser Dirk U. Stikker 1961 zum Generalsekretär der NATO aufsteigt? Mehr als über solche 90-Sekunden-Propagandahäppchen freut sich der Betrachter höchstens darüber, kein Bürger Dänemarks zu sein und daher nicht mit seinem Steuergeld für diese propagandistischen Realsatiren aufkommen zu müssen.

Doch NATO TV bietet mehr als kopflahme Geschichtsstunden oder scheinheilige Berichte von Truppenübungs- und Kriegsschauplätzen – beispielsweise zahlreiche sogenannte Interviews, in denen keiner der angeblichen Journalisten auf die Idee kommt, den NATO-Funktionären auch nur eine einzige kritische Frage zu stellen. Die seifigen Starqualitäten eines Waschmittelverkäufers findet man beim braungebrannten Glatzkopf James Appathurai, der als NATO-Sprecher ein eigenes Internet-Tagebuch unterhält Dort erklärt er, direkt in die Kamera schauend, Fritzchen Müller die Welt. Wie steht es beispielsweise um die Vorwürfe von amnesty international, die NATO-geleitete ISAF-Truppe in Afghanistan könne Komplize von Folter und Mißhandlung werden? Nun, zunächst stellt Appathurai fest, daß der ai-Bericht keinerlei Beweise für solche Vorwürfe enthält. Wie beruhigend! Zwar unterstütze die NATO den Aufbau des afghanischen Gefängnissystems, aber das bringe eine bestimmte Kultur mit sich, es gebe Grauzonen, und man müsse die Souveränität des Staates – den man zuvor mit Bomben und Granaten erobert hatte – respektieren und stärken.

So einfach ist das. Jedenfalls dann, wenn man die UN-Antifolterkonvention ignoriert, deren Artikel 12 jeden Vertragsstaat, also auch die NATO-Staaten, dazu verpflichtet, eine unparteiische Untersuchung durchzuführen, sobald sich der Verdacht ergibt, »daß in einem seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Gebiet eine Folterhandlung begangen wurde«.

Wer bislang nicht verstand, warum Ossietzky-AutorInnen eine Demokratisierung der Medien fordern, kann sich unter www.natochannel.tv ansehen, wie ein »akkurater, verläßlicher und praktischer« Fernsehsender eine hochglänzende Scheinwelt erschafft, in der Kriege nur dazu dienen, Menschen zu helfen. Doch um die NATO-Filmchen zu sehen, muß sich niemand einen Internetanschluß legen lassen. Sinn und Zweck von NATO TV ist, allen großen Fernsehsendern unentgeltlich Filmmaterial anzubieten, das diese aus dem Internet beziehen können. Bei den rigiden Sparprogrammen aller Sender ist es nur eine Frage der Zeit, bis ARD, ZDF, RTL und all die anderen Verblödungskanäle das uneigennützige Angebot der NATO dankbar annehmen.