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Titel082013

Papst Franziskus I. und Lateinamerika  (Günter Buhlke)

Das Medienecho auf dem Kontinent der Indigenas war nach der Wahl des neuen Papstes gewaltig. Nicht nur in den kirchennahen Blättern und Sendern. Schließlich leben von den 1,2 Milliarden Katholiken der Welt etwa 500 Millionen in Südamerika – überwiegend Menschen am unteren Ende der Einkommensskala. Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, fehlende Krankenversicherung, Bildungsnot bestimmen ihren Alltag. Die Missionierung der Indigenas durch die Priester und ihre Aufnahme in die katholische Glaubensgemeinschaft war in der geschichtlichen Vergangenheit ein Akt der Gewalt. Heute begrüßten sie die Wahl »ihres« Papstes auf Straßen und öffentlichen Plätzen mit lateinamerikanischer Emotion.

Die argentinische Staatspräsidentin Christina Kirchner unterbrach sofort ihre Amtsgeschäfte und reiste zur Amtseinführung nach Rom. Sie war mit »ihrem« Kardinal durchaus nicht immer einer Meinung. Beide haben heftige Debatten über die Ursachen der Misere in Argentinien ausgefochten.

Die öffentlichen Reaktionen auf die Papstwahl in Lateinamerika waren überwiegend dreifach geprägt: vom Stolz der Lateinamerikaner, einen Papst aus ihrem Umkreis zu haben; von der Frage, welche Werte der Papst als Jesuit vertreten wird, und von den Hoffnungen, daß Franziskus I. seinen Schwerpunkt auf gesellschaftliche Problemfelder setzen wird. Bei deren Benennung gibt es viel Übereinstimmung mit Meinungen in Deutschland und Europa. So hoffen Katholiken auf einen Abbau von Hierarchien, wünschen sich Impulse unter anderem zur Rolle der Frau und der Laien, zu Zölibat, Verhütung, Ehen von Homosexuellen, Frieden, Ungerechtigkeit, Armut.

Welche Signale künftig aus Rom kommen werden, ist noch unklar. Der katholische Vatikanstaat und die Kirche besitzen kein abgestimmtes langfristiges Entwicklungsprogramm. Der Papst versteht sich als omnipotent. Seine subjektiven Wertevorstellungen bestimmen sein Handeln, Beratungen im Vatikan sind seltene Ereignisse. Konzile sind auf lange Fristen angelegt. Die Bischofsversammlungen behandeln eher religiöse Grundfragen, und sie sind nicht von der Zustimmung des Papstes abhängig. Lediglich ein kleiner Verhaltenskodex aus dem Jahr 1150 »De considerone«, den die Päpste berücksichtigen sollten, liegt vor. Die darin niedergelegten Ratschläge gelten bis zur Gegenwart. Ihre Anwendung ist nicht zwingend.

Mit besonderer Spannung erwarten die unteren Schichten der Bevölkerung in Lateinamerika, die politischen Vertreter des historischen Projektes »Buen vivir« (auskömmliches würdiges Leben) beziehungsweise des Sozialismus im 21. Jahrhundert und alle Humanisten, welche Position der neue Papst zur Theologie der Befreiung einnehmen wird. Ihre Wurzeln liegen in Südamerika. Johannes Paul II. und Benedikt der XVI. hatten die Befreiungstheologen in Lateinamerika hart mit diktatorischen Verboten verfolgt. Die Ursachen beschrieb der brasilianische Priester Fernando Boff während einer Veranstaltung an der Berliner Humboldt-Universität: »Die bedauernswerte Lage unserer Armen können wir nur aus zwei Büchern erklären. Aus der Bibel und aus dem Buch des Lebens mit all seinen Wahrheiten.« Viele Theologen Südamerikas wurden für die öffentliche Äußerung der Wahrheit und für ihr mutiges Auftreten getötet. Nicht nur der Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero, wurde erschossen. Auch argentinische Theologen zählen zu den Todesopfern der Rechten. Die Rolle des neuen Papstes ist in diesem Zusammenhang Gegenstand medialer Debatten. Zur Zusammenarbeit des Kardinals mit den Militärdiktatoren Argentiniens indes gibt es keinen Zweifel.

Max Murillo Mendoza, ein Historiker und Journalist aus Bolivien, nutzte seinen Kommentar zur Papstwahl zu historischen Betrachtungen des Auftretens der katholischen Kirche bei der Eroberung Lateinamerikas. Zu Franziskus I. schrieb er, daß keine ernsthafte Änderung erwartet werden könne. In den Reden würden die religiöse Show und die ideologische Einschläferung fortgesetzt werden. Die Kirchenoberen hätten eine Mitverantwortung an der schlimmen Lage der unteren Schichten und Indigenas. Die gesellschaftliche Entwicklung der indigenen Völker sei mit Waffengewalt und Inquisition unterbrochen worden. Eine jahrhundertelange Fremdbestimmung durch Europäer und später durch die USA sei eingetreten und halte über das internationale Finanzsystem und multinationale Konzerne bis zur Gegenwart an. Der hohe Klerus sei immer auf der Seite der großen Eigentümer und der politisch Herrschenden gewesen. Der neue Papst werde die konservative Facette der katholischen Kirche nicht ändern. Die Kirche sei nie für eine nachhaltige Änderung des Armutsstatus aktiv eingetreten. Murillo Mendoza erinnerte auch daran, daß der Jesuitenorden 1534 als Schwert gegen Luther und gegen die bürgerliche Aufklärung in Europa gegründet wurde. Die Ordensbrüder legten ein zusätzliches Gelübde zum unbedingten Gehorsam gegenüber dem Papst ab (Boletin Elektronico Nr. 657).

Der argentinische Kirchenkritiker Horacio Verbitzky wies darauf hin, daß die katholische Kirche immer auf der Seite der Militärmachthaber stand. Nach einem Interview zu den politischen Zielen von Bergoglio schrieb er, es sei denkbar, daß er sich vorstellt, für die linken Regierungen in Lateinamerika das zu sein, was Wojtyla für Polen war. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges gebe es im Vatikan eine Praxis der konservativen Kardinäle, Päpste zu bestellen, die eine bestimmte Aufgabe erfüllen. Pius XII. sollte verhindern, daß in Italien die Kommunisten die Wahlen gewinnen, Johannes Paul II. sollte den kommunistischen Ostblock penetrieren. Das alles sei bestens dokumentiert. Jetzt scheine es um Südamerika (ALBA) zu gehen. Hinweise bietet ein Buch des konservativ denkenden Papstes Franziskus I. mit dem Titel »Dialoge zwischen Johannes Paul II. und Fidel Castro«. Der neue Papst ist mit der politischen Materie der Zurückdrängung des Sozialismus beziehungsweise des »Buen vivir« offensichtlich gut vertraut.