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Titel082013

Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit  (Hartwig Hohnsbein)

Am 6. Januar 1933 proklamierte Papst Pius XI., 1900 Jahre nach dem mutmaßlichem Todesjahr Jesu, das Jahr 1933 als »1. Außerordentliches Heiliges Jahr der Erlösung«, als »größtes Jubiläumsjahr« der Kirche (Wikipedia). Der Höhepunkt dieses Jahres sollte in Trier gefeiert werden – beim dortigen »Heiligen Rock unseres Herrn«, dem »lausigen Wams«, wie einst Ulrich von Hutten spottete (s. Ossietzky 11/12).

Zwei Tage vor der Proklamation hatte eine andere päpstliche Botschaft Deutschland erreicht, nicht öffentlich wie die Ausrufung des Jubeljahres, sondern streng geheim, im Hause des Kölner Bankiers Kurt von Schroeder, wo sich der Päpstliche Kammerherr Franz von Papen und der Katholik Adolf Hitler trafen, um die Machtübergabe an die Faschisten zu arrangieren. Dabei sicherte der ehemalige Kanzler dem kommenden Kanzler die Unterstützung des Papstes zu, der im Faschismus das beste Bollwerk gegen die kommunistische Sowjetunion sah. Bis dahin hatten sich der organisierte Katholizismus in Deutschland, der Episkopat und seine parlamentarischen Vertretungen – das Zentrum und die Bayerische Volkspartei (BVP) – außerordentlich ablehnend gegenüber dem anwachsenden Faschismus verhalten und sich noch bei der Wahl am 5. März 1933, als der Protestantismus mit überschwenglichem Jubel für seinen Wunschkanzler Hitler warb, als »unerschütterliche Gegner der NS-Bewegung gezeigt« (Ernst-Wolfgang Böckenförde: »Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung«). Bis dahin galten die zahlreichen Kundgebungen, in denen die deutschen Bischöfe die Irrlehren der Nazipartei und ihre Ziele verurteilt hatten, oder sogar – wie im Bistum Mainz seit September 1930 – alle Parteimitglieder vom Sakramentenempfang und der kirchlichen Beerdigung ausgeschlossen waren.

Bei der Märzwahl 1933 hatten die Hitler-Partei und ihre deutschnationale Komplizin, die DNVP, zwar die absolute Mehrheit erreicht, nicht aber die Zweidrittelmehrheit, die für ein »Ermächtigungsgesetz« erforderlich war. Dazu brauchten sie die beiden katholischen Parteien. Vorsitzender der größeren, des Zentrums, war seit 1928 der Prälat Ludwig Kaas, der insgeheim schon lange eine Zusammenarbeit mit der Nazibewegung anstrebte und nun, in jenen Märztagen 1933, auch die Reichstagsfraktion des Zentrums anführte. Er war ein enger Freund des einstigen Nuntius in Berlin, Eugenio Pacelli, der 1930 Kardinalstaatssekretär geworden war und 1939 Papst Pius XII. wurde, der »Stellvertreter«, dessen »Seligsprechung« der vatikanflüchtige Benedikt XVI. mangels »Wundernachweises« nicht mehr zustande brachte. Schon einen Tag nach der Wahl, am 6. März, bekundete Kaas, der nichts tat, was der Vatikan nicht gebilligt hätte, gegenüber Hitlers Vizekanzler von Papen »seine Bereitschaft zur Mitarbeit«, also am Zustandekommen des »Ermächtigungsgesetzes« mitzuwirken (Rudolf Morsey: »Die Deutsche Zentrumspartei, in: »Das Ende der Parteien 1933«, 1960). In Verhandlungen mit Hitler erhielt Kaas einige mündliche Zusicherungen zugunsten des Fortbestandes des katholischen Religionsunterrichtes und katholischer Bekenntnisschulen sowie anderer kirchlicher Privilegien. In einem völkerrechtlichen Vertrag, einem »Reichskonkordat« zwischen dem »Heiligen Stuhl« und dem Deutschen Reich, sollte das Verhältnis zwischen dem Staat und der katholischen Kirche festgeschrieben werden. Die Zusicherungen bewirkten, daß die Zentrumsfraktion und die Fraktion der Bayerischen Volkspartei ihre bisherigen politischen Grundsätze aufgaben oder besser: verrieten und dann einstimmig dem »Ermächtigungsgesetz« zustimmten – und damit der Aufrichtung eines faschistischen Terrorstaates.

Auch die Bischöfe fanden bald Gelegenheit, ihren bisherigen Kampf gegen die NSDAP zu beenden und den neuen Machthabern zuzujubeln. Die Gelegenheit ergab sich, nachdem Hitler am »Tag von Potsdam« (21. März 1933), wie er am folgenden Tag in weinerlicher Weise die Öffentlichkeit wissen ließ, »zu seinem Leidwesen sich nicht in der Lage sah, am katholischen Gottesdienst (der dem »Staatsakt« in der evangelischen Garnisonkirche vorangegangen war; H. H.) teilzunehmen, weil die Führer und Mitglieder der NSDAP von der katholischen Geistlichkeit als Abtrünnige bezeichnet würden, die nicht in den Genuß der Sakramente kommen dürften« (Klaus Schell: »Der Tag von Potsdam«). Der Episkopat wußte nun, was er zu tun hatte. Sein Chef, der Breslauer Kardinal Adolf Bertram, legte umgehend einen Entwurf für eine Kundgebung aller deutschen Bischöfe vor, die am 28. März 1933 veröffentlicht wurde und in der es hieß: »... der Episkopat glaubt ... das Vertrauen hegen zu können, daß die vorbezeichneten allgemeinen Verbote und Warnungen nicht mehr als notwendig betrachtet zu werden brauchen. Für die katholischen Christen, denen die Stimme ihrer Kirche heilig ist, bedarf es auch im gegenwärtigen Zeitpunkt keiner besonderen Mahnung zur Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit und zur gewissenhaften Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten ...« (zitiert nach Georg Denzler/Volker Fabricius (Hg.): »Die Kirchen im Dritten Reich«). Nach dieser Kundgebung brach nun auch in der katholischen Kirche ein Jubelsturm für das NS-Regime los, wie es ihn in der evangelischen Kirche schon seit zwei Monaten gab (s. Ossietzky 3/2013). So besang Kardinal Bertram Anfang Mai das »Hochgefühl, mit dem die Katholiken die Mitarbeit unter der neuen Regierung leisteten ...«, wie Böckenförde schreibt. Und dieses Hochgefühl blieb im deutschen Episkopat. Derselbe Bertram, im Mai 1945 immer noch Chef der »Fuldaer Bischofskonferenz«, verfügte nach dem Selbstmord des Katholiken Hitler »im Gedenken an den Führer« ein feierliches Requiem für ihn, das nur mangels Möglichkeiten dafür in Breslau nicht mehr zustande kam.

Im »Heiligen Jahr 1933« erreichte die Unterstützung des NS-Regimes durch die deutschen Bischöfe ihren Höhepunkt nach Abschluß des »Reichskonkordates« am 20. Juli, des ersten völkerrechtlichen Vertrages Hitlers, den er mit seinen eignen Worten in einer Sitzung der Reichsregierung als »unbeschreiblichen Erfolg« bezeichnete (Denzler/Fabricius), verlieh er ihm doch vor aller Welt »moralische Stärkung und Ansehen«, wie schon das NSDAP-Zentralorgan Völkischer Beobachter Ende Juni frohlockte. Hitlers Bevollmächtigter von Papen flog unmittelbar nach der Unterzeichnung nach Trier, wo der Höhepunkt des »Heiligen Jahres 1933« symbolträchtig inszeniert wurde. Dazu traten, mit dem Hitlergruß den »Heiligen Rock« grüßend, gemein auf: der Gauleiter von Koblenz–Trier, Gustav Simon, Vizekanzler Franz von Papen, Reichsinnenminister Wilhelm Frick, Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und der Trierer Bischof Franz Rudolf Bornewasser. Am Ende des »Heiligen Jahres 1933« verkündigte derselbe Bischof, nachzulesen bei Böckenförde: »... Aufrechten Hauptes und festen Schrittes sind wir eingetreten in das neue Reich und sind bereit, ihm zu dienen mit dem Einsatz aller Kräfte unseres Leibes und unserer Seele ...«

Im Rückblick auf das Jahr 1933 muß man mit Karlheinz Deschner sagen: »Nicht das Gros der Katholiken ... ging zuerst zu Hitler, wie man der Welt so gern vorgelogen hatte, dann der Episkopat, dann die Kurie; sondern umgekehrt: Der Papst entschloß sich, das mit Mussolini geglückte Experiment mit Hitler zu wiederholen, die deutschen Bischöfe gehorchten, und die Gläubigen mußten folgen.« Und die Folgen trugen, muß man wohl hinzufügen, vor allem auch viele »einfache Priester«, von denen etliche, anders als ihre klerikale Obrigkeit, mit dem Regime in Konflikt gerieten und dann gemäß »Reichskonkordat«, Art. 32, wonach sie sich politisch nicht betätigen durften, oft in das KZ Dachau gebracht wurden, wo es seit 1940 eigene Baracken für Geistliche gab. Hier wurden von den insgesamt 358 deutschen katholischen Priestern 74 Geistliche ermordet (Reimund Schnabel: »Die Frommen in der Hölle«). Nach 1945 wurde ihr Widerstand und Leiden für den Katholizismus insgesamt verbucht und der Eindruck erweckt, es wären die Bischöfe, die Oberhirten, gewesen, die diesen Widerstand organisiert hätten und die doch in Wirklichkeit ihre Herde so schändlich betrogen hatten.