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Titel082013

Dichter und Nachbar  (Manfred Wekwerth)

Stefan Heym gehörte zu jenen großen (und seltenen) Schriftstellern, die Historie wahrheitsgemäß beschreiben und es dennoch mit echter Poesie tun.

Als ich einst die »Crusaders« las, verstand ich den Zweiten Weltkrieg besser und vor allem, ich erfuhr in poetischer Weise von den Menschen, die da ihr Leben einsetzten, um ein Leben ohne Faschismus, Krieg und Zerstörung zu ermöglichen.

Die Frage von Macht und Geist habe ich selten so intensiv (und mit Humor) begriffen wie beim Lesen des »König-David-Bericht«. Auch den nicht immer so harmlos wirkenden Wunsch der Mächtigen, so gesehen zu werden, wie sie sich selbst sehen. Dies setzt beim Schriftsteller eine enorme Kenntnis der Realität voraus. Und vor allem: Wissen um Zusammenhänge. Es setzt Kenntnisse von Dialektik voraus. Und dafür habe ich Stefan Heym auch in schwierigen Zeiten geschätzt und bewundert.

Als andere 1989 glaubten, die Geschichte sei zu Ende und geklärt, gab er mir mit freundlicher Widmung sein eben erschienenes Buch über Radek mit der Bemerkung: Ich will wissen, wann das Ende der Revolution begonnen hat und vor allem: Warum?

Man hat Stefan Heym oft Journalismus vorgeworfen. Aber das waren nötige Fingerübungen für seine großen Themen, deren Behandlung eben auch im Detail stimmte.
Und noch einmal: Das setzt Wissen um die Welt voraus.

Wenn ich zum zweiten Teil meines Titels, also dem Nachbarn Stefan Heym, mit Wissen um die Realitäten beginne, so zeigt das, daß auch bei einem so Großen die Widersprüche nicht ausbleiben. Es geht um die Natur, kurz: um die Natur eines Katers. Bei mir erschien eines Tages der Nachbar mit der bitteren Beschwerde, mein Kater Mäuschen habe seine Katze Musch geschwängert, und zwar auf seinem Teppich. Es war eine ernste Situation, und ich antwortete der Wichtigkeit der Sache entsprechend in Briefform. Wobei ich mich als Erziehungsberechtigter meines Katers für dessen Untaten entschuldigte, aber erklären mußte, daß mein Kater Mäuschen wohl kaum des Vergehens bezichtigt werden könne, da er kastriert sei, was allgemein – also auch Stefan Heym – bekannt war. Aber Stefan Heym mißtraute der Natur und antwortete ebenfalls brieflich, er wäre bereit, mir vor Zeugen den Fleck auf dem Teppich zu zeigen.

Nun war die Weltlage damals so töricht, daß sie auch auf mein Verhältnis zu Stefan Heym abfärbte. Er hielt mich für einen Teil des Staates und ich (veranlaßt durch das Fernsehen – damals meine einzige Begegnung mit ihm) für einen »Dissi«. Unsere Gespräche nach 1989 zeigten die Unsinnigkeit dieser Sicht.

Aber damals gerieten die Katzen eben in den Kalten Krieg.

Ich verfaßte ein weiteres juristisches Schreiben und wies Stefan Heym darauf hin, daß auch ich Verluste verzeichnen mußte, denn seine Katze Musch drang über die Katzenklappe ein und fraß meinem Kater Mäuschen den Freßnapf leer.

Ich weiß nicht, ob es die sich schnell verändernde Weltlage war, die auch den Katzenkrieg beendete. Was blieb, war lautes Gelächter von uns beiden über den Zaun hinweg, was Katzen doch für einen Einfluß auf die Weltlage haben können – und das nicht nur bei Cleopatra.

Ich gratuliere Stefan Heym zu seinem runden Geburtstag und wünsche mir, er wäre noch unter uns. Nicht nur als ein bemerkenswerter Mensch, sondern als jener, »der nicht schwieg«, und gerade heute wäre sein kritisches Wort so wichtig, wo die Welt aus den Fugen gerät.