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Titel082013

Sozialabbau 2013, Folge 3  (Franziska Walt und Tilo Gräser)

20. Februar: Eine Umschulung sollte der arbeitslosen Altenpflegerin Stefanie B. aus Bochum helfen, ins Berufsleben zurückzukehren. Sie kann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in ihrem gelernten Beruf arbeiten. Doch während der Prüfungsphase wurde sie vom Jobcenter aufgefordert, ihre Wohnung zu verlassen, weil diese zu teuer sei, berichtet die Lokalausgabe Bochum der Westdeutschen Allgemeinen (WAZ). »Ich hatte ja noch nicht einmal richtig Zeit, einen Job zu finden nach der Umschulung«, so die Alleinerziehende. Es ärgere sie, daß das Jobcenter ihr nicht sonderlich dabei helfe, Arbeit zu finden, sondern statt dessen Druck aufbaue. Als die Zeitung im Jobcenter nachfragt, zeigt sich, daß die Behörde neue gesetzliche Regelungen noch nicht kannte. Danach gelten neue Angemessenheitsgrenzen. Stefanie B. kann laut WAZ noch einmal aufatmen: Ihre Wohnung ist nach aktueller Gesetzeslage weder zu groß noch zu teuer.

21. Februar: Die Internet-Plattform gegen-hartz.de dokumentiert einen weiteren Fall amtlicher Willkür. Eine studierende Mutter, die mit ihrem achtjährigen Sohn zusammen lebt und auf Leistungen des Jobcenters Essen für den Sohn angewiesen ist, teilte dem Amt mit, daß sie schwanger sei. Statt ihr den Mehrbedarf für werdende Mütter und die Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt zukommen zu lassen, worauf sie ein Recht gehabt hätte, wurden ihr am 29. Januar alle Leistungen gestrichen. Die Frau mußte laut gegen-hartz.de zunächst am Bankautomaten feststellen, daß ihre Existenzsicherung fehlte. Erst Tage später erhielt sie dann schriftlich die »Begründung« für die Kürzung. Unklar bleibt, weshalb der zuständige Sachbearbeiter diese drastische Maßnahme vorgenommen hat. Vielleicht glaubte er, der Vater des ungeborenen Kindes müßte finanziell in die Bresche springen. Allerdings, so gegen-hartz.de weiter, bestehe die Unterhaltspflicht nur gegenüber dem ungeborenen Kind und der Mutter, nicht aber gegenüber dem achtjährigen Sohn, der auf die Unterstützung des Jobcenters angewiesen ist.

22. Februar: Als »Dummschwätzer des Tages« hat das Erwerbslosen-Forum Deutschland den Bundestagsabgeordneten Hartwig Fischer (CDU) bezeichnet. Der mit dem wenig schmeichelhaften Prädikat Ausgezeichnete hatte vorgeschlagen, pferdefleischhaltige Rinder-Produkte über »Tafeln« an Bedürftige zu verteilen. »Das sagt viel aus, welches verquere Menschenbild der CDU-Politiker von armen Menschen hat. Es scheint ihm auch nichts auszumachen, wenn in Kauf genommen wird, daß unter anderem auch schadstoffhaltiges Fleisch über den Weg der Umetikettierung so an nur bestimmte Personengruppen gelangen soll«, zitiert das Online-Portal des Forums Martin Behrsing, seinen Sprecher.

25. Februar: Das Arbeitslosengeld I wird aus den letzten Gehaltszahlungen berechnet und soll zum Leben reichen. Doch weil sie bei ihrem letzten Arbeitgeber sehr wenig verdienten, müssen immer mehr Arbeitslose mit »Hartz IV« aufstocken, schreibt die Süddeutsche online. Im vergangenen Oktober hätten bundesweit rund 85.000 Menschen zusätzlich zum ALG I »Hartz-IV« erhalten. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, Sabine Zimmermann, kommentierte die Zahlen: »Das Arbeitslosengeld als Versicherungsleistung, für die man oft viele Jahre eingezahlt hat, ist für immer mehr Arbeitslose keine Garantie mehr, um damit im Bedarfsfall über die Runden zu kommen.« Am 26. Februar berichtete Spiegel online, der Steuerzahler subventioniere die Leiharbeit in Deutschland massiv mit »Hartz IV«-Geldern. Allein im Jahr 2011 habe der Bund nach Angaben des DGB schlecht verdienende Leiharbeiter mit insgesamt 307,6 Millionen Euro aufstockenden »Hartz IV«-Leistungen unterstützt.

7. März: In Sachsen-Anhalt konnten letztes Jahr (Stand April 2012) 54 Prozent der Alleinerziehenden nicht ohne staatliche Hilfe, sprich »Hartz IV«, (über) leben. Die Berliner Zeitung online berichtet, daß es bei Familien mit zwei oder mehr Kindern und einem alleinerziehenden Elternteil sogar 64 Prozent seien.

13. März: – Die Armutsrisikoquote der Elf- bis Zwanzigjährigen in Deutschland ist zwischen 1996 und 2010 von 15 Prozent auf über 18 Prozent gestiegen, schreibt die Zeit online. Das seien fünf Prozentpunkte mehr als in der Gesamtbevölkerung. Im Osten der Republik seien sogar 29,6 Prozent der Elf- bis Zwanzigjährigen armutsgefährdet. Aufhänger des Beitrages war der 14. Kinder- und Jugendbericht, den das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend am 21. Februar vorgestellt hatte. Der Bericht komme zum Schluß, daß sich die Lebenssituation vieler Jugendlicher in Deutschland verschlechtert statt verbessert habe. Eine »keinesfalls kleine Minderheit sei von sozialer Ungleichheit, sozialen Benachteiligungen und individuellen Beeinträchtigungen, ungünstigen Bildungs- und Entwicklungschancen und Armut betroffen«.

15. März: »Hartz IV« hat Norbert I. aus dem thüringischen Eisenach zermürbt und krank gemacht. Er leide an einer chronischen Erschöpfungskrankheit, schreibt die Thüringische Landeszeitung (TLZ) über den seit zehn Jahren arbeitslosen Maschinenschlosser. Der 61jährige gehöre zu den mehr als 3.000 erwerbsfähigen Beziehern von »Hartz IV« in Eisenach, die von derzeit 382 Euro monatlich leben müssen. Nicht nur der tägliche Kampf ums Überleben mit wenig Geld zermürbe ihn, so die Zeitung, sondern auch der Dauerzoff mit Behörden. Im Streit mit dem städtischen Sozialamt um eingesparte Betriebskosten für seine Wohnung habe er vor einigen Wochen keinen anderen Ausweg mehr gesehen als den des öffentlichen Hungerstreiks vor dem Rathaus. Das brachte ihm laut TLZ zumindest ein klärendes Gespräch. Die eingesparten Betriebskosten, von denen er sich Winterschuhe kaufen wollte, bekomme er trotzdem nicht zurück. Schließlich würde seine Wohnungsmiete samt Heizkosten vom Staat bezahlt. Was er dabei spart, wird ihm dann abgezogen. Norbert I. wundert sich dem Bericht zufolge, daß die Medien viel über die Toten durch Autounfälle berichten, aber nicht über die Menschen, die sich in der reichen Bundesrepublik aufhängen, weil sie ihre Armut nicht mehr ertragen. »Hartz IV« halte er »für das größte Armutszeugnis der Bundesrepublik«, eine »reine Vernichtungsmaschinerie«.

20. März: Im Jahr 2012 war der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen mit 15,21 Euro um 22 Prozent niedriger als der von Männern (19,60 Euro). Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) hat sich der Verdienstabstand zwischen den Geschlechtern im Vergleich zu den Vorjahren bundesweit nicht verändert. Auch die Ergebnisse für Ost- und Westdeutschland wiesen kaum Veränderungen auf: So betrug 2012 der Unterschied im früheren Bundesgebiet 24 Prozent, in Ostdeutschland lag er bei acht Prozent.