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Titel816

Es grünt so grün  (Ralph Hartmann)

Es war ein trüber Tag im Monat März. Aus Nachbars Wohnung erklang leise die schöne Melodie aus dem Musical »My fair Lady«: »Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen.« Ein wenig später, der Gesang in der Szene mit Eliza Doolittle und Professor Henry Higgins ging mir seltsamer Weise nicht aus dem Kopf, überraschte ich mich dabei, dass ich das Liedchen mehrfach vor mich hin summte: Es grünt so grün … und so weiter und so fort. Das brachte mich auf die Idee, im Netz doch einmal nachzusehen, was eine meiner grünen Lieblingspolitikerinnen, die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck, so treibt? Schließlich nimmt sie in der Liste der bundesdeutschen Russophoben einen der vorderen Plätze ein. Und ich wurde nicht enttäuscht. Schon auf der ersten Seite ihrer Website erhielt ich einen Überblick über die Aktivitäten und Gedankenwelt der langjährigen bündnisgrünen Abgeordneten im Bundestag, die gegenwärtig Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union und – kaum zu glauben – auch Mitglied im Lenkungsausschuss des deutsch-russischen Petersburger Dialogs ist.


Wie gesagt, schon auf der Startseite des Webangebots legt sie Zeugnis von ihrer Gedankenfülle und ihren politischen Auffassungen ab. Folgende eigene Beiträge kündigt sie an: »Zum Todestag von Boris Nemzow: Drohungen gegen die Opposition gehen weiter«, »Putin geht es darum, den Glauben an die Demokratie zu zerstören – Interview im DLF«, »Trump und Putin bedrohen die liberale Demokratie«, »Ein Jahr Minsk II: Kreml muss Vertrauen auf Frieden in der Ukraine bilden«, »Russland verhindert in Aleppo politische Lösung«, »Ist die Politik Putins eine Bedrohung für die EU?«, »Sanktionen oder Besuch – wie umgehen mit Putins Russland?«, »Interview mit Die Welt: Seehofer ist das Werkzeug von Putins Propaganda«.


Nein, Marieluise hatte mich nicht enttäuscht. Sie nimmt ihre Aufgabe als Sprecherin für Osteuropapolitik ihrer Partei, das ist sie übrigens auch und wie es scheint in erster Linie, ernst. Statt überflüssigerweise für den Abbau von Spannungen und die Entwicklung friedlicher Beziehungen zum gegenseitigen Nutzen mit der Russischen Föderation zu wirken, setzt sie ihre ganze Kraft dafür ein, die russische Expansionspolitik und das Machtstreben Putins anzuprangern. Im Interview mit dem Deutschlandfunk zeigt sie sich darüber besorgt, wie Russland gezielt die öffentliche Meinung in Deutschland beeinflusst und mit welcher Naivität in der Bundesrepublik über diese Form der hybriden Kriegsführung, der Desinformation, hinweggegangen worden ist. Sie hat das Gefühl, dass hier zwei Dinge in gefährlicher Weise zusammenfließen: »ein tiefer, großer Wunsch bei weiten Teilen der Bevölkerung, wieder zu guten Verhältnissen mit Moskau zu kommen, und dass das bekannt ist im Kreml und … dazu genutzt wird, um in Deutschland die Regierungspolitik, die Politik der Sanktionen zu unterminieren.«


So ist es nur allzu verständlich, dass sie den Aufruf von 60 Persönlichkeiten mit dem Titel »Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!« energisch verurteilte, denn die Deutschen müssten aus der Geschichte gelernt haben und sich an die Seite der »Opfer einer imperialen Aggression« stellen. Mit ihrem messerscharfen Urteilsvermögen hat sie erkannt, dass der Schlüssel zum Frieden in der Ostukraine derzeit nicht in Kiew, sondern in Moskau liegt. Schließlich dürfe man nicht übersehen, wer im vom Kreml kontrollierten Teil des Donbass sein Unwesen treibe. Rechtsextreme und Nationalisten aus russischen Neonaziorganisationen wie Rusitsch und Warjagi terrorisierten die dort verbliebene Bevölkerung. Folgerichtig fordert sie eine klare Benennung Russlands als Aggressor. Vor allem dürfe in Deutschland nicht so getan werden, als gehe das Geschehen in der Ukraine uns nichts an. Hier finde »etwas Furchtbares in unserer unmittelbaren Nachbarschaft statt«.


Natürlich, und das sei zu ihrer Ehre gesagt, wirft Marieluise nicht alle Russen in einen Topf. Sie sieht auch Lichtgestalten, für die sie sich selbstlos und unermüdlich einsetzt. Zu diesen gehört der wegen schweren Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilte Michail Chodorkowski. Für seine Freilassung hat sie sich nach eigenem Bekunden »im engen Kontakt mit ihm, seinen Anwälten und seiner Familie« acht Jahre lang mit all ihren Kräften eingesetzt. Am 27. Dezember 2013 veröffentlichte Die Zeit unter dem Titel »Michail Chodorkowski – Gnade vor Recht« einen berührenden Beitrag aus ihrer Feder. Darin berichtet sie, dass sie Chodorkowski häufig im Gericht in Moskau gesehen habe, als er in Handschellen hereingeführt wurde. Sie saß auf einem Bänkchen neben Chodorkowskis traurigem alten Vater und seiner energischen Mutter, um sich herum Getreue aus dem Management von Chodorkowskis früherem Konzern Yukos, sofern diese noch in Freiheit waren. Der Richter starrte immerzu aus dem Fenster. »Das Verfahren war eine Provokation, man hätte schreien mögen: Hört auf mit der Farce!«


Doch Chodorkowski habe sich nicht provozieren lassen. Fast mitleidig habe er hier und da im Verfahren interveniert. Wie Milliardäre hätten Chodorkowski und sein Kompagnon Platon Lebedew nicht ausgesehen. So fragte sich die Chodorkowski-Sympathisantin: »Saßen da zwei Gauner, die den Goldrausch der 1990er Jahre skrupellos ausgenutzt hatten, um ein Imperium aufzubauen? Deren Reichtum immer märchenhaftere Formen annahm, Privatjet und Zugang zum innersten Kreis der Macht inklusive? Hatten diese Männer den Staat um Steuern geprellt und, wie im zweiten Prozess behauptet, die eigene Firma um Öl betrogen?« Eine Antwort gibt sie nicht. Dafür schildert sie, wie die Anwälte für die Angeklagten kämpften, wie sie selbst vergeblich versucht habe, ihn im Straflager hoch im fernen Segescha an der finnischen Grenze aufzusuchen, wie sie zusammenhielten, sich Mut machten und für das Recht eintraten. Doch »die Jahre lehrten uns, dass Putin das anders sah«.


Dann aber habe sich das Blatt gewendet. Chodorkowski kam frei. Auf die Rolle Genschers, der ihn mit einem Privatflugzeug nach Berlin bringen ließ und im Hotel Adlon unterbrachte, geht Marieluise nicht ein; dafür aber auf ihr Treffen mit dem Freigelassenen in der Nobelherberge: »Und nun die Begegnung im Adlon. Wie begegnen sich zwei, die sich jahrelang kennen und nie miteinander gesprochen haben? Wir kannten uns eben doch – durch all jene, die das Netzwerk um Michail Chodorkowski bildeten. Ich drückte erst Pawel, den Sohn, der dem Vater so ähnlich sieht. Und dann Michail Borissowitsch … Ich bin mir sicher: … Chodorkowski wird für Recht und Freiheit kämpfen. Nun nicht mehr für sich, sondern für andere.«


Auf der Website wird diese denkwürdige Begegnung mit einem Foto illustriert, auf dem sich Marieluise und Michail Borissowitsch umarmen, sich zutiefst gerührt, nahezu liebevoll in die Augen blicken. Sie sind den Freudentränen nahe. Und wer das zu Herzen gehende Bild sieht, der kann, ja, der muss ihre Erleichterung und Freude teilen.


Ja, Marieluise ist eine bewährte Kämpferin für Recht und Demokratie. Mehrfach war sie nach Kiew gereist, um die antirussischen, proeuropäischen Kämpfer auf dem Maidan zu unterstützen. Sie verglich die Angriffskriege Deutschlands mit der »Annexion« der Krim durch Russland. Als der Direktor des Stasi-Gruselkabinetts in Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, forderte, in Berlin ein zentrales Mahnmal für die Opfer des Kommunismus zu errichten, gehörte sie mit den bewährten Vorkämpfern für Demokratie Stephan Hilsberg, Marianne Birthler und Rainer Eppelmann zu den Erstunterzeichnern einer Petition an Bundestagspräsident Norbert Lammert. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk forderte sie, dass der Verfassungsschutz gegen den medienkritischen Verein Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e.V. vorgeht.


Die Übersicht über ihren rastlosen Einsatz für Demokratie, Recht und Freiheit könnte beliebig erweitert werden. Nicht zufällig wurde sie bereits 1996 mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Aber ist es nicht an der Zeit, Marieluise Beck mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband zu ehren? Herr Gauck, übernehmen Sie!