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Unabhängig und hellwach gesellschaftskritisch  (Elke Lang)

Die Galerie »Parterre« im Prenzlauer Berg platzte am 10. April aus allen Nähten. Joachim Johns Grafikausstellung wurde eröffnet. Der 85-Jährige aus Neu Frauenmark bei Veelböken in Mecklenburg-Vorpommern wollte selbst anwesend sein, zumal die Verleihung des Egmont-Schaefer-Preises für Zeichnung 2018 an ihn angekündigt war. Die Vernissage wurde sein Memorial, ein würdiges Gedenken an ihn als Künstler und als Mensch, ausgerichtet durch die Galeriechefin Kathleen Krenzlin, durch den Kunstwissenschaftler Friedrich Dieckmann, einen der besten Kenner des johnschen Werks, sowie in einer ganz persönlichen, familiären Sicht durch den Sohn Holger John, Maler und Galerist aus Dresden.

 

Joachim John, geboren am 20. Januar 1933, starb am 26. März, und den dotierten Preis, den der Verein Berliner Kabinett nun das elfte Mal vergab, nahmen Johns Frau Helga Kröger und der Sohn entgegen.

 

An der Konzeption der Ausstellung durch Kathleen Krenzlin, Joachim Böttcher sowie Frank Dietsch war auch Holger John beteiligt, in dessen Besitz sich ein Großteil der gezeigten Arbeiten befindet. Weitere Leihgaben stammen zumeist aus der Kunstsammlung der Akademie der Künste. Es sind die politisch-gesellschaftskritischen Blätter der 70er, 80er Jahre vertreten, etwa »Erschießung« (1972), »Exekution des Friedens und Auferstehung« (1976), »América Latina« (1982) und »Soldat« (1986), aber auch frühe Porträts, darunter Selbstporträts, und einige seiner filigranen Landschaften. Einen großen Raum beansprucht Johns Alterswerk, in dem eine Tendenz kulminiert: die bereits in den 70er Jahren einsetzende Reduktion der sichtbaren Gegenstände auf Eindrücke von ihnen. Zu beobachten ist das etwa an den Blättern »Exekution des Friedens und Auferstehung«, »Sturm« (1980) und »Die Berge« (1983) – allesamt Darstellungen der Gräuel von Revolution und Krieg, bei denen die realistische Darstellungsweise an ihre Grenzen stößt. Letztendlich mündete das in die Abstraktion, in einen außerhalb des Bewusstseins vonstattengehenden Akt des »psychosomatischen Schreibens«, wie John es bezeichnete. Er analysierte das in seinem Buch »etüden« von 1997 als »Hervorholen versteckter, wahrscheinlich verschütteter bildnerischer Erfahrungen«.

 

Seine umfassende, nicht nur kluge, sondern auch unterhaltsame Rede, die in dem zur Ausstellung erschienenen Katalog »Joachim John. Egmont-Schaefer-Preis für Zeichnung 2018« nachzulesen ist, hat Friedrich Dieckmann »Altersweisheit? Alterskühnheit!« betitelt. In ihr ist der Kunstwissenschaftler allen Facetten des Werks von Joachim John nachgegangen. In dessen Zentrum stand immer die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen in der auf die Gegenwart bezogenen Vergangenheit und in der Gegenwart, sei es die der DDR, die des kapitalistischen Deutschlands oder Kolumbiens, wohin er Mitte der 80er Jahre reisen durfte. Die »Kühnheit« war bei Joachim John schon in der Jugend vorhanden. 1965 hatte er im Kunstkabinett von Lothar Lang, das dem Institut für Lehrerweiterbildung Berlin-Weißensee angeschlossen war, seine erste eigene Ausstellung. Es war Treffpunkt für innovative Kunst, Musik und Literatur. Hier versammelte sich bis zu dessen Schließung 1968 eine Schar sanfter Rebellen, unter denen Joachim John einer der Aufmüpfigsten war in seinem Anspruch auf Individualität und folgerichtig in seinem Aufbegehren gegen die einengende Kulturpolitik der DDR. Dabei hat er nie die Idee des Sozialismus grundsätzlich in Zweifel ziehen wollen. Im Kreis von Gleichgesinnten diskutierten die jungen Künstler unverblümt über die damalige Deutschland-Politik auf beiden Seiten. Joachim John betrachtete diese Zeit als »unsere« Sturm-und-Drang-Zeit und ignorierte die Gefahr, sich um Kopf und Kragen zu reden. Unabhängig und hellwach gesellschaftskritisch blieb Joachim John sein ganzes Leben lang. Als er sich 1988/89 anlässlich des 200. Jubiläums mit der Französischen Revolution auseinandersetzte, huldigte er nicht deren Idealen an sich, sondern hinterfragte, was aus ihnen in der sozialistischen und kapitalistischen Gegenwart geworden war. Friedrich Dieckmann erinnerte an ein Gespräch, das Heiner Müller in der »vereinigten« Akademie der Künste mit John über die »friedliche Revolution« geführt hatte. »Sie meinen Restauration? Die Rückkehr in den Kapitalismus kann ich nicht als Revolution verstehen«, hatte dieser geantwortet.

 

Über die für ihn als dringend angesehene Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Themen hat der Künstler die Landschaft vernachlässigt, obgleich er eine enge Beziehung zur Natur hatte. Dieckmann zitierte aus einem Brief von John an Christa Cremer: »Die Natur ist hinreißend. Aber ich hatte die Ruhe nicht, mich als Künstler ihr zu widmen. Bin auf das Gesellschaftsdrama gestoßen worden.« Mit seinen »Mecklenburger Landschaften im Jahreslauf« (1995) zum Beispiel hat Joachim John da wieder etwas gutgemacht.

 

 

Ausstellung Joachim John: Bis 24. Juni Mi-So 13-21 Uhr und Do 10-22 Uhr in der Galerie »Parterre«, Danziger Straße 101, Sonderöffnungszeiten an Feier-tagen, Tel. 030/902953821