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Titel092013

Berliner Theaterspaziergänge  (Jochanan Trilse-Finkelstein)

Auf dem Papier streift es sich anders umher als auf Straßen und mit öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln. Und es hat sich das eine wie das andere Mal erwiesen, daß in diesem Journal, das einst auch Weltbühne hieß, die Welt der Bühnen auf unsere Art besser komplex zu betreten ist als wenige Stücke herauszuheben, die dann freilich heller ausgeleuchtet werden könnten. Man fände dann Einzelnes größer, genauer, auch den Staub. Das überlassen wir den Kollegen des Fachblattes oder des Tages – wir zeigen mit weitem Blick die Welt der Bühne und auf dieser die Welt – so weit sie dort aufgestellt ist und sich bewegt.

Geht man durch die Berliner Theaterlandschaft, kommt man um das Maxim Gorki Theater (MGT) nicht herum. Es hat mehr als 60 Jahre künstlerische Arbeit hinter sich, und über etliche Jahre war es wirklich gut, eine Bühne mit einem vorzüglichen Ensemble, genauer Ensemble-Spiel. Große Spieler hat es weniger hervorgebracht, aber Albert Hetterle muß man unbedingt nennen: Ein Schauspieler ersten Ranges, gelegentlich guter Regisseur und ein hervorragender Intendant – und das über 18 Jahre. Der Gründungsintendant war indes Maxim Vallentin, Sohn des Richard Vallentin, der 1903 im Kleinen Theater unter den Linden (nicht weit vom heutigen Maxim Gorki Theater) die deutsche Erstaufführung von Gorkis »Nachtasyl« verantwortete und das berühmte Stück weltberühmt machte. Maxim Vallentin war im sowjetischen Exil und setzte lebenslang proletarische wie russische Kultur durch. Zum Ende der zwanziger Jahre gründete er eine Arbeiterspieltruppe, später »Das rote Sprachrohr«. 1947 hob er das Deutsche Theaterinstitut in Weimar aus der Taufe, das 1952 in die Theaterhochschule Leipzig eingegliedert wurde. 1952 ging aus dem 1949 gegründeten Jungen Ensemble das MGT hervor, seinerzeit eine hohe Schule des Stanislawski-Theaters mit allen Einseitigkeiten solcher Schulen, im ästhetischen Streit mit Brechts neuen Methoden des V-Effekts (s. Ossietzky 18/12).

Vallentin und sein Ensemble zogen in das Haus der alten Singakademie unter den Linden ein, welche nach erheblichen Kriegsschäden nun wieder funktionsfähig war: erst als Haus der Kultur, dann eben als MGT. 60 Jahre wird dort schon Theater gespielt, plötzlich gab es in jüngster Zeit Streit um das Gebäude, das stets der 1791 von C. F. Fasch gegründeten, vom Komponisten und Goethefreund Carl Friedrich Zelter von 1800 bis 1832 geleiteten Berliner Singakademie gehört hatte. Nach 1945 war sie nicht enteignet worden – weder durch die Besatzungsmacht noch durch die DDR –, galt indes per Grundbuch als Eigentum der Stadt Berlin. Dies soll sich nun als Irrtum erwiesen haben – die Singakademie bleibt Besitzer, das MGT Nutzer des 1827 errichteten Gebäudes. Uns soll es recht sein, vor allem wenn diese Bühne nach einer mäßigen Siebenjahrstrecke unter dem scheidenden Intendanten Armin Petras wieder ein freundlicher Anlaufpunkt für den theaterfreudigen Spaziergänger werden könnte.

Jüngst fiel das MGT nicht so sehr durch seine Kunstpraxis auf, sondern durch eine Unruhe, eine Bewegung innerhalb seines eigenen kleinen Osterfestivals: Junge Schauspieler, Theaterschüler meist noch, aus der gesamten Bundesrepublik, besetzten die Bühne, probten den Aufstand, forderten Aufwandsentschädigungen und eine bessere Unterstützung des künstlerischen Nachwuchses. Zwar sicherte die Leitung des Festivals Unterstützung zu, forderte aber die Räumung der Bühne. Die protestierenden Künstler blieben bis 23 Uhr und schieden dann mit der Erklärung, die Debatte in den Schulen zu führen. Paradoxie dieser Geschichte: Parallel eine zweite Besetzung im Foyer des gleichen Hauses durch verfolgte Einwanderer aus internationalen Krisengebieten, etwa dem Sudan, die sich mit den Studenten solidarisierten: »Wir sind immer auf Seiten der Rebellierenden.« Das ist auch politisches Theater – eigener Art!

Viel Unerfreuliches ist von der Berliner Staatsoper und ihrer Sanierung zu berichten – und gar nicht von Kunst, sondern von der Ökonomie. Es geht um viel Geld, um viel mehr als geplant war: Das waren »nur« 241,3 Millionen, nun soll diese Kulturtat 46 Millionen teurer werden: 200 Millionen vom Bund und nun 85 Millionen vom Land Berlin. Der Bau des Tunnels vom Knobelsdorff-Haus, also der eigentlichen Oper, zum Magazingebäude mit künftiger Probebühne sei die Hauptursache, Baugrund und Bauabdichtung die übrigen. Was für Geologen und Statiker mögen da wohl gewirkt haben! Daß Krieg und Zerstörung stets viel mehr kosten als geplant, weiß man. Kann das Vorbild sein? Muß Volksvermögen so verschleudert werden? Freilich bleibt uns eine teure Oper dennoch immer viel lieber als viel teurere Betonbunker und Bombenflieger.

Oder – um im zivilen Bereich zu bleiben – als teuerste Flugplätze! Ich sah dieser Tage eine lustige Postkarte, ein Spott auf unwahre Verschreibungen verschiedenster Zeiten: Eine Parodie auf Walter Ulbrichts Satz von 1961: »Niemand hat die Absicht, hier eine Mauer zu bauen.« Doch diesmal hieß der Text: »Niemand hat die Absicht, hier einen Flughafen zu bauen.« Nun kann man diesen noch anders fassen: »Niemand hat die Absicht, hier eine Oper teuer zu sanieren.« Wie dem auch sei: Ein unfroher Eindruck bleibt eben dabei!