erstellt mit easyCMS
Titel915

Bemerkungen

Der passende Redner
Nicht der Bundespräsident, auch nicht die Bundeskanzlerin ist diesmal dran, im Deutschen Bundestag des 8. Mai 1945 zu gedenken; der prominente Historiker Heinrich August Winkler wurde damit beauftragt. Sein Lieblingsthema ist »Der deutsche Weg nach Westen«, die Übernahme »westlicher Werte« durch (zunächst west-) deutsche Regierungspolitik nach dem Untergang des »Dritten Reiches«. Im aktuellen politischen Diskurs hat dies Gewicht; das Publikum in der Bundesrepublik muß ja immer wieder neu auf transatlantische Bündnistreue verpflichtet werden, Gauck und Merkel brauchen dabei ihre Helfer.

M. W.


Zivilisationsbrüche
In den offiziellen Auftritten zum 8. Mai 1945 wird an den Zweiten Weltkrieg und die hitlerdeutsche Politik als extremen »Zivilisationsbruch« erinnert. So weit, so zutreffend. Aber war es der letzte Bruch mit allen Grundmustern ziviler internationaler Politik in der Zeitgeschichte? Hat der Krieg in Vietnam, haben die Kriege in Afghanistan, die gegen den Irak, dann gegen Libyen nicht stattgefunden? Waren und sind die Millionen von Menschen, deren Leben diese Operationen kosteten, Opfer des zivilen Verkehrs? Geht es jetzt beim Zugriff Saudi-Arabiens auf den Jemen zivil zu, und ist der saudische Gottesstaat – hochgerüstet mit Waffen auch aus der Bundesrepublik – ein »Stabilitätsfaktor im Nahen Osten«, wie die Bundeskanzlerin sagte?

A. K.

 

Nachwirkungen
Erinnerungssplitter aus der Bundesrepublik Deutschland ein Vierteljahrhundert nach Ende der Kriegs- und der Nazizeit:
Während damals kaum ein Mann mit Sohn oder Tochter über seine traumatischen Kriegserlebnisse spricht, wird beim Ausschimpfen der Heranwachsenden manchmal so etwas wie eine Andeutung hörbar: »Euch geht's wohl zu gut! In eurem Alter hab ich im Schützengraben gelegen.«


Trotz furchtbarer Erfahrungen haben gewählte Vertreter jener Generationen, die zwischen 1939 und 1945 am großen Töten teilnahmen, dafür gesorgt, daß ab 1956 wieder jahrgangsweise junge Männer zum Töten abgerichtet werden. Im dritten Nachkriegsjahrzehnt lehnen das allerdings immer mehr Betroffene ab und werden gezwungen, ihr Gewissen staatlich überprüfen zu lassen. Wer zu töten bereit ist, bleibt ungeprüft, hat amtlicherseits ein gutes Gewissen.


Die Behandlung der Nazizeit steht damals nicht im Lehrplan. Aber Schüler werden auch außerhalb der Schule belehrt. Zum Beispiel von einem älteren Mann, den ich, als Schulkinder fröhlich und ungestüm an ihm vorbeidrängeln, sagen höre: »So was hätt‘s früher nicht gegeben. Vergast hätte man euch!«

Helga Kühn


Deutsche Staatsangehörigkeit
Für den zweifelsfreien Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit genügt in der Bundesrepublik kein Personalausweis, dazu benötigt man einen »Staatsangehörigkeitsausweis«; sonst bleibt je nach Bundesland jegliche Beamtenlaufbahn oder anderes verwehrt. Zur Erlangung dieses Dokuments muß man beweisen, daß man deutschen Blutes ist, das heißt, von deutschen Vorfahren abstammt. Also ist unter anderem der Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit des Vaters zu erbringen.


Das aber war in den Nachkriegsjahrzehnten nicht immer leicht. Manche Väter hatten in den Wirren der Nazizeit und des Zweiten Weltkriegs die erforderlichen Dokumente verloren. Und wenn diese Männer aus deutschen Orten stammten, die im Krieg weitgehend zerstört oder nach 1945 polnisch beziehungsweise russisch geworden waren, vermochten sie nicht einmal mehr, an eine Geburtsurkunde zu kommen.


So etwas mag Väter, die zuvor in der Nazizeit untergetaucht, desertiert oder ins Ausland geflohen waren, vor ein Problem gestellt haben; für den deutschen Normalfall war die Sache geregelt. Wer nämlich brav für »Führer, Volk und Vaterland« gekämpft hatte, verfügte über ein Soldbuch oder hatte am Ende der Kriegsgefangenschaft ein mehrsprachiges Papier bekommen. Dieses von einer der Siegermächte gestempelte Formular belegte die Entlassung aus (Zutreffendes war einzufügen) »Heer, Kriegsmarine, Luftwaffe, Volkssturm, Waffen-SS oder paramilitärische[r] Organisation wie R.A.D., N.S.F.K. u.s.w.«. Die Zugehörigkeit zu einer dieser überwiegend aggressiven Institutionen galt und gilt bundesdeutschen Behörden als deutliches Deutschheitsindiz.


Dank väterlichen Mitwirkens in der Wehrmacht oder der Waffen-SS und so weiter konnten selbst mehrere Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des Nazireichs junge Deutsche darauf bauen, einen Staatsangehörigkeitsausweis zu erhalten. Mögen manche der Väter Massenmörder gewesen sein – »vaterlandslose Gesellen« waren sie nicht!


I. D.


»Weltgefahr« aus dem Osten
Rußland unter dem Kremlherrscher bedroht die ganze Welt; die irgendwie immer noch Rote Armee ist in Europa auf dem Vormarsch, und die russische Aggression gilt auch den USA – eigentlich müßte jeder deutsche Bürger das schon begriffen haben, Fakten und Daten sind da nur hinderlich.
Hier die Rüstungsausgaben im Jahre 2014 (nach dem SIPRI-Bericht), in Milliarden Dollar berechnet:
85 in Rußland, 81 in Saudi-Arabien, 62 in Frankreich, 61 in Großbritannien, 47 in Deutschland, 610 in den USA.


Der russische Staat wird also zaubern müssen, um sich mit seinem Waffenarsenal den Globus zu unterwerfen.

P. S.


Die westlichen Säulen der Erde
Der im September 2014 in der Tschechischen Republik akkreditierte Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, Andrew H. Schapiro (52), wurde unlängst dadurch bekannt, daß er dem 71jährigen tschechischen Präsidenten Miloš Zeman indirekt davon abriet, die russische Feier des Sieges über den Faschismus am 9. Mai 2015 in Moskau zu besuchen.


Als er sich im Mai 2014 vor dem US-Senatsausschuß für Auswärtige Politik als künftiger Botschafter vorstellte, beschwor er die transatlantische Allianz mit Tschechien. Sie beruhe, so erklärte der Jurist den Abgeordneten, auf drei Säulen: gemeinsame Sicherheit, gemeinsamer Wohlstand und gemeinsame Werte. Schapiro zögerte nicht, diese Säulen näher zu beschreiben. Sicherheit sah er in erster Linie durch die Integration Tschechiens in die NATO hergestellt. Wohlgefällig zählte er die tschechischen Beiträge zu den »global affairs« auf: die Bataillone in Afghanistan, Kosovo und Bosnien sowie Spezialkräfte, die in Syrien, an der ägyptisch-palästinensischen Grenze und in Mali »security building« innerhalb von »Koalitionen der Willigen« (keinesfalls unter UN-Mandat!) betreiben. Besonders lobte der Botschafter in spe die Tschechen für ihr militärisches Engagement an der russischen Grenze im Baltikum und in der Ukraine, das beachtliche militärische Budget »auf NATO-Niveau« (ein Prozent des Bruttosozialprodukts) sowie die bedingungslose Beteiligung an den wirtschaftlichen Sanktionen gegenüber Rußland. Daß die Tschechische Republik seit Jahren 75 Prozent ihres Erdöl- und Erdgas-Bedarfes aus russischen Quellen deckt, war ihm Anlaß anzukündigen, daß er sich unverzüglich für eine »Diversifizierung« der Energiequellen einsetzen werde. Die wirtschaftlichen Beziehungen mit den USA betrachtend, sah er in erster Linie Absatzmöglichkeiten der US-amerikanischen Industrie, die es im Rahmen der »Transatlantic Trade and Investment Partnership« (TTIP) auszubauen gelte. Die Bedürfnisse der Tschechen im Zusammenhang mit der Entwicklung ihres sozialen Standards und ihrer Exportwirtschaft waren ihm keine Bemerkung wert. Ihm lagen »das allgemeine Geschäftsklima«, die Transparenz (der Auftragsvergabe) und der Kampf gegen Korruption (bei der Vergabe großer staatlicher Aufträge in der Tschechischen Republik) am Herzen. Zivilgesellschaftlich sehe er Handlungsbedarf auf den Gebieten der Inklusion unterschiedlicher religiöser Bekenntnisse, ethnischer Zugehörigkeiten und sexueller »Orientierungen« (die juristische »Einschließung« setzt voraus, daß zuvor die Aufsplitterung der Nation kräftig vorangetrieben und Unterschiede »herausgearbeitet« werden – das läßt sich gut in Bosnien, Syrien, Afghanistan und Mali lernen). Wir sind dem Botschafter der amerikanischen Nation dankbar für seine Erläuterung der westlichsten Werte auf diesem Globus. Ihre Säulen gleichen Kanonenrohren, Erdölfässern und Fetischpfählen.

Hermann Wollner


Handlungsbedarf
Im Spätherbst 2013 zeigte der Fall Gurlitt erneut und weltweit, daß in der Bundesrepublik Deutschland der Komplex der NS-Raubkunst und ihrer Restitution in den 70 Jahren seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht aufgearbeitet worden ist. Mit diesem Thema befaßten sich Barbara und Michael Vogel im Dezember 2014 in einem Beitrag für die Zeitschrift Neue Gesellschaft – Frankfurter Hefte. Barbara Vogel ist emeritierte Professorin für Neuere Geschichte der Universität Hamburg und kommt aus der Schule des Historikers Fritz Fischer, der 1961 mit seinem Buch über die Kriegszielpolitik des deutschen Kaiserreiches 1914–1918 eine vehemente Debatte auslöste; Michael Vogel ist Richter i. R.


Die ernüchternde Bilanz ihrer Untersuchung: Alle erforderlichen und auch möglichen Schritte zur Sicherung der Rückerstattung sind unterblieben. »Gründe dafür lagen in einer zunehmenden Tendenz, die Rechtsordnung des NS-Staates und damals getätigte Rechtsgeschäfte als ›normal‹ zu betrachten und die alliierten Gesetze als ›Besatzungsrecht‹ abzuwerten. Außerdem verbreitete sich die Vorstellung, Deutschland habe ausreichend und abschließend wiedergutgemacht und gebüßt.« (Anm. K. N.: Wer denkt da nicht automatisch an die derzeitige Argumentation gegenüber den griechischen Forderungen?)


Die Hoffnung der Autoren: Die Entschließung des Bundesrats vom 14. März 2014, auf Initiative des Landes Hamburg, könnte die Untätigkeit des Gesetzgebers beenden und den »Anspruch auf eine Rechtslage« für die Berechtigten erfüllen. Die beiden waren auch treibende Kraft für das Zustandekommen eines »Abendforums« der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD zu diesem Thema mit Podiumsteilnehmern/-innen zu den einzelnen Fachfragen am Mittwoch, 29. April 2015, 18 Uhr, im Spiegelsaal des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz (am Hauptbahnhof).

Klaus Nilius


Eine Karriere in Deutschland
Hans-Joachim Riecke, Sohn eines kaiserlichen Hauptmanns, zieht 1914 als 15Jähriger in den Krieg, wird mehrmals verwundet, geht 1918 als Leutnant zu den Freikorps, bekämpft im Baltikum und in Galizien die »Rote Gefahr«, nimmt am Kapp-Putsch teil, gehört dem konspirativen paramilitärischen »Bund Oberland« an und darf, weil er Soldat war, ohne Abitur studieren; Landwirtschaft ist sein Fach. 1925 tritt er der NSDAP bei, in der er und durch die er schnell Karriere macht. 1933 bis 1935 amtiert er als Chef der Lippischen Landesregierung in Detmold. Hier ordnet er die Einweisung des antifaschistischen Redakteurs Felix Fechenbach ins KZ Dachau an; während des Transports wird Fechenbach »auf der Flucht erschossen«. Ab 1936 arbeitet Riecke erst als Ministerialdirektor, später als Staatssekretär im Reichsernährungsministerium. Er unterschreibt den »Judenrationserlaß«, der bestimmt, daß »an Juden keine Fleisch-, Eier- und Milchkarten auszugeben« sind, und als Kriegsverwaltungschef im besetzten Osten sorgt er für die Ausführung seines eigenen Plans, dort zig Millionen Menschen verhungern zu lassen – wodurch die Versorgung im »Reich« bis zuletzt gesichert ist.


Nach dem Krieg spielt er mit Admiral Dönitz in Flensburg noch eine Zeitlang Reichsregierung, um, wie er sagt, »beim letzen ›verlorenen‹ Haufen zu sein«. Danach aber finden sich im »Entnazifizierungsverfahren« lauter Entlastungszeugen, die ihm bescheinigen, persönlich sei er integer gewesen und habe das Menschenmögliche getan, um Schlimmeres zu verhindern. Mit einer einmaligen Zahlung von 500 Mark sollte Riecke seinen »Beitrag zur Wiedergutmachung« leisten. Der hessische Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD) begnadigt Riecke, der fortan nicht mehr als Belasteter, sondern als Mitläufer gilt und alle bürgerlichen Rechte behält. Diese Gnade gewährt Zinn den meisten Nazis, die sich an ihn wenden.


Der Historiker Wigbert Benz hat diese Karriere erforscht und in knappen Worten dargestellt – mit einem Clou zum Schluß: Der frühere Hungerplaner wird als Alfred Toepfers Rechte Hand Welternährungsplaner. Toepfer – mit einem ähnlichen Vorleben – ist einer der größten Lebensmittelhändler der Welt; mit Getreide macht er Milliardenumsätze. Mit seiner Stiftung F.v.S. spielt er sich als Wohltäter auf und läßt sich von Politikern, denen er seine F.v.S.-Preise verleiht, rühmen. Besondere Förderung läßt Toepfer Menschen aus Südosteuropa angedeihen ... – wie weitsichtig!

Eckart Spoo

Wigbert Benz: »Hans-Joachim Riecke – NS-Staatssekretär, Wissenschaftlicher Verlag Berlin, 127 Seiten, 19 €

 

Untersuchung einer Arztkarriere
Die ehemalige Direktorin des Frankfurter Instituts für Arbeitsmedizin, Gine Elsner, hat sich mehrfach kritisch mit Medizinerkarrieren im »Dritten Reich« auseinandergesetzt und darüber publiziert.


Ihre jüngste Veröffentlichung, die sie zusammen mit Gerhard Stuby über die Verfolgung von »Selbstverstümmlern« im Zweiten Weltkrieg verfaßte (»Wehrmachtsmedizin & Militärjustiz«), steht auch im Zusammenhang mit einer bereits 2011 erschienenen Biographie über den bekannten Mediziner Ernst Wilhelm Baader, der 1925 in Berlin die erste Fachklinik für Arbeitsmedizin gründet hatte. Baader arrangierte sich nach dem 30. Januar 1933 rasch mit den neuen politischen Verhältnissen, beließ es aber nicht dabei, die Rolle einer doppelzüngigen Opportunisten einzunehmen, sondern wurde zu einem tatkräftigen Unterstützer des NS-Staates. Baader, der von der Verdrängung »nichtarischer« Kollegen profitierte, begrüßte deren Verfolgung und war sich nicht zu schade, jüdische Mitbürger als Träger von Krankheiten und schlechten Gerüchen zu diffamieren. Für die Berliner Hitlerjugend war Baader beratender Internist und publizierte in deren Organ Das junge Deutschland. Dem Grundsatz folgend, Rechte und Arbeitskraft des einzelnen hätten sich am Staat und dessen Erfordernissen zu orientieren, beschäftigte sich Baader zunehmend mit dem Enttarnen angeblicher Simulanten und Selbstverstümmler. Für die Gerichtsmedizin begutachtete er zahlreiche Patienten, denen Versicherungsbetrug unterstellt wurde. Für Baader waren derlei Fälle von hohem Interesse, galt es in seinem Sinne, »Rentensüchtige« als »arbeitsscheue Individuen« zu entlarven. Die Auseinandersetzung mit Selbstbeschädigungen brachte Baader nach 1939 auch in die Nähe eines neuen Arbeitsgebietes für sachverständige Ärzte und NS-Strafgerichte: die Verfolgung von Soldaten, denen Manipulationen zur Beeinträchtigung ihrer Wehrfähigkeit unterstellt wurden. Ein »Verbrechen«, das ab September 1939 mit dem Tode bestraft wurde. Baader, von der Entnazifizierung weitgehend unbehelligt geblieben, nahm nach kurzer Gefangenschaft 1946 seinen Beruf wieder auf und war ein geschätzter Referent. Er starb 1962. Aus dem Nachlaßvermögen wurde eine nach ihm benannte Stiftung errichtet, die jährlich den E.W.Baader-Preis verleiht.

Peter Kalmbach

Gine Elsner: »Schattenseiten einer Arztkarriere, Ernst Wilhelm Baader (1892–1962). Gewerbehygieniker & Gerichtsmediziner«, VSA, 160 Seiten, 12,80 €


Trauma Flucht
So wandelbar wie die gegenwärtige Familie wirken auch die Varianten des heutigen, nicht unterzukriegenden Familienromans. Hatte Per Leo (s. Ossietzky 15/14) mit seinem Debüt »Flut und Boden« eine sehr interessante Form für die Beschreibung seiner Unternehmerfamilie gefunden, legt auch Ulrike Draesner ein 555-Seiten-Werk vor, das sie als souveräne Erzählerin ausweist. Ihre Familie Grolmann stammt aus Schlesien, und fast hätten sie den körperlich und geistig behinderten Sohn Emil vor den Nazis retten können, wenn nicht die Flucht im Januar 1945 gewesen wäre. Statt mit zwei Söhnen gelangt die Mutter nur mit dem 14jährigen Eustachius nach Bayern, wohin der Vater nach der Kriegsgefangenschaft auch kommt. Eustachius (eine sehr originelle und schöne Romanfigur) wird ein international bekannter Primatenforscher, seine Tochter Simone wiederum tritt beruflich in seine Fußstapfen – insgesamt also eine normale deutsche Familie, die gut situiert »mittendrin« ist und dennoch – bis hin zur Enkelin – bewußt oder unbewußt die Flucht von damals mit sich schleppt.


Ein Roman, der weit über die Schilderung von Flucht und Vertreibung hinausragt, es geht um die Beziehung von Menschen zu ihren Orten, ihren geographischen Wurzeln und um die lebenslangen Spuren, die an Vertriebenen und Fliehenden kleben. Eustachius’ Zuwendung zu den Menschenaffen und sein Versuch eines harmonischen, auf gegenseitiger Hilfe beruhenden Miteinanders ist eine schöne Utopie.


Christel Berger

Ulrike Draesner: »Sieben Sprünge vom Rand der Welt«, Roman, Luchterhand Literaturverlag, 555 Seiten, 21,99 €


Fotoschau zum 8. Mai
»Leuchtend prangten ringsum Apfelblüten …« Diese erste Zeile aus dem bekannten Katjuscha-Lied nach einem Text von Michail Isaakowski wählte die Fotojournalistin Gabriele Senft als Titel ihrer Ausstellung zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, denn der 8. Mai 1945 war ein strahlender Frühlingstag. Das Foto auf dem von Wiljo Heinen gestalteten Plakat für diese Schau zeigt zwei offene Hände: Eine behandschuhte hält die Kennmarke eines deutschen Soldaten, die andere, bloße Hand behütet eine sowjetische Tapferkeitsmedaille. Beide Fundstücke sind verkohlt beziehungsweise verschmutzt. Das Foto entstand bei Exhumierungsarbeiten im Oderbruch.


Die Ausstellung wird am Freitag, dem 24. April, um 17 Uhr in der GBM-Galerie (Berlin, Weitlingstraße 89) eröffnet und läuft bis zum 31. Mai. Öffnungszeiten: Mo. bis Do. 9 bis 16 Uhr, Fr. 9 bis 12 Uhr.

Maria Michel


Tanzstunde
Für die zappelnden Stechschritte mit gezogenen Degen und die zackigen Paraden ganzer Karrees in Stahlhelmen wäre der Übergang zum Dreivierteltakt des Walzers, die schwierigste, aber heilsamste Tanzstunde der Menschheit.

Wolfgang Eckert

Verlag und Redaktion Ossietzky gratulieren Wolfgang Eckert zum 80. Geburtstag.