erstellt mit easyCMS
Titel916

Angedichteter Rassismus  (Ulrich van der Heyden)

Der letzte DDR-Innenminister, Peter-Michael Diestel, der von sich behauptet, der erste ostdeutsche Politiker zu sein, der die deutsche Einheit gefordert hat, äußerte sich zum Thema Rassismus in der DDR in einem Gespräch mit Oskar Lafontaine wie folgt: »Ich habe die DDR-Volksbildung durchlaufen, bin antifaschistisch erzogen worden. Entgegen anderslautender Darstellungen sage ich, dass es bei uns weder Antisemitismus noch Rassismus gegeben hat, zumindest war er für mich nicht wahrnehmbar.« (Diestel/Lafontaine: »Sturzgeburt. Vom geteilten Land zur europäischen Vormacht. Streitgespräch zur deutschen Einheit«, 2015) Damit hat er Stellung bezogen zu den seit gut zweieinhalb Jahrzehnten erhobenen Vorwürfen gegen die DDR, in der es Rassismus gegeben haben soll. Oftmals wird dies zwar nicht belegt, aber behauptet. Als ein vorgeblicher Beweis dafür wird die Bezeichnung der zu Tausenden in der DDR-Wirtschaft eingesetzten ausländischen Vertragsarbeiter angeführt. Neuere Forschungen haben belegt, dass die DDR-Rassismus nachweisen wollenden Schriften auf unbewiesenen Behauptungen, wie auf offener Straße ermordete »ausländische Werktätige« oder »schlechtere Bezahlung als DDR-Bürger« (in Wirklichkeit wurden sie sogar besser bezahlt als junge Akademiker), beruhen und den Ex-Vertragsarbeitern, ohne bei ihnen nachzufragen, erlebten Rassismus unterstellen.

Auf der vorgeblichen Suche nach Rassismus in der DDR-Gesellschaft kommt es zuweilen zu skurrilen Auslassungen. So wird behauptet, die Bezeichnungen »Mosis« für mosambikanische (beziehungsweise »Mozis« – je nach Schreibweise des Herkunftslandes Mosambik oder Mozambique) oder »Fidschis« für vietnamesische oder asiatische Vertragsarbeiter seien ein deutliches Zeichen für die rassistische Grundeinstellung der ostdeutschen Bevölkerung.


Ist denjenigen, die behaupten, dass diese Ausdrücke fremdenfeindlich oder rassistisch seien, überhaupt bewusst, dass dies Wort-Verniedlichungen sind, die seit den 1980er Jahren zum Schrecken von Germanisten und Sprachpflegern der verschiedensten Couleur, verschiedene Gruppierungen von Menschen bezeichneten? Wie »Ossis« und »Wessis«, was keiner Erklärung bedarf, »Ösis« für Österreicher, »Kiddis« für Kinder beziehungsweise Kids oder »Knasti« für Strafgefangene beziehungsweise »Knastologen« oder sogar »Öffis« für die öffentlichen Verkehrsmittel und/oder Menschen, die diese benutzen (auch Android-App für Fahrplanauskunft) oder »Bundis« für Bundesdeutsche. Auch gibt es im deutschen Sprachgebrauch, nur um einige weitere Beispiele zu nennen, »Dummis« und »Hirnis« für nicht sehr schlaue Menschen, »Touris« für Touristen, »Alkis« für gern auf geistige Getränke Zugreifende.


Am stärksten wird kritisiert, dass die vietnamesischen Vertragsarbeiter angeblich als »Fidschis« abwertend bezeichnet worden sind, da wird von Freya Klier gleich »Neger« und »Fidschis« als »Heuchelei der Linken« erkannt (Die Welt, 21.11.11). Nun, als erstes sollte man die Einwohner der Fidschi-Inseln fragen, ob sie meinen, dass ihr Name rassistisch oder negativ konnotiert ist. Denn in der DDR wurden die Vietnamesen als »Vitis«/»Vitschis« umgangssprachlich bezeichnet und nicht als »Fidschis«, denn wenn der DDR-Bürger auch nicht reisen durfte, so kannte er doch den Unterschied zwischen Vietnam und den Fidschi-Inseln. Vermutlich erst zu Wendezeiten wurde aus »Vitis« oder »Vitschis« eben »Fidschis«. Esther Diestelmann benennt in Zeit online die Wochen, als ein wütender Mob in Rostock-Lichtenhagen eine Asylunterkunft im August 1992 anzündete, als den Zeitpunkt, »als aus Vietnamesen Fidschis wurden«. Andere meinen, dass sich die Bezeichnung »Fidschis« erst mit dem illegalen Zigarettenhandel in der Nachwendezeit durchgesetzt hat.


Es gibt keine schriftlich festgehaltenen Nachweise aus DDR-Zeiten, in denen solche wie die genannten Wörter mit der Endung -is als Verniedlichung einer Wir-Gruppe, wie es die Soziologen nennen, auftaucht. Also, so scheint es, verwechselten Ausländerfeinde und Rechtsradikale nach der Wende die Worte, was vor allem gern von westdeutsch sozialisierten Journalisten aufgegriffen wurde. Oder verwechselten diese in ihrem bekannten Bestreben, etwas Verwerfliches im »Reich des Bösen« zu finden, bewusst den Namen? Oder haben die Dumpfbacken erst die unzutreffende wie idiotische Bezeichnung übernommen, die ihnen in westlichen Zeitschriften diktiert wurde? Unbeabsichtigte Verwechslungen vor allem hervorgerufen durch das für hochdeutsch Sprechende oft schwer verständliche Sächsische wären auch möglich. Man spricht in diesem Dialekt von »Fietnam« und »Fietschi«.


Vietnamesen und andere ausländische Vertragsarbeiter gab es schon Jahre vor dem Mauerfall. Da muss ja der Rassismus herkommen, so die westlichen Kämpfer um die Deutungshoheit im Osten. Da machte für sie »Vitis« oder »Vitschis« oder »Fidschis« oder sogar »Fijis« keinen Unterschied.


Keiner der empörten Journalisten fragte sich, warum ohrenscheinlich Bewohner eines Landes nach denen eines anderen selbstständigen Staates bezeichnet wurden. Das war ihnen anscheinend gleichgültig, und man verbreitete die »Fidschi«-Variante (was nicht ausschließt, dass zuvor vereinzelt auch Ostdeutsche, die des Sächsischen nicht kundig waren, den Begriff verwechselt haben) in den Medien.


Entscheidend war nur, dass man einen vorgeblichen Beweis für Rassismus gefunden hatte. In der Zwischenzeit hat sich in der Tat diese Bezeichnung als abwertende Bezeichnung nicht nur mehr für Vietnamesen, sondern auch für andere Asiaten durchgesetzt.


Interessant ist, dass im Internet in den letzten Jahren eine Diskussion um die Etymologie des Wortes »Fidschi« entbrannt ist. Die beste und am ehesten glaubhafte Erklärung liefert der Blog www.politplatschquatsch.com im Beitrag »Das gibt’s in keinem Russenfilm« aus dem zustimmend zitiert sein soll:
»Dass westliche Medien … seit zwei Jahrzehnten versuchen, den gut ausgebildeten DDR-Menschen einzureden, sie hätten stets gedacht, dass Vietnamesen von den Fidschi-Inseln stammen und sie deshalb ›Fidschis‹ genannt, ist ein klarer Beleg für die westliche Deutungshoheit über die ostdeutsche Geschichte ... Der Begriff ›Fidschi‹ müsse eigentlich ›Vietschis‹ geschrieben werden, weil die damit bezeichnete Gruppe ja aus Vietnam kam. Historiker glauben, dass die falsche Schreibweise durch einen Hör-Schreib-Fehler eines ›Spiegel‹-Redakteurs in die Welt gekommen ist. Aus diesem Artikel mit dem Titel ›Nahe am Pogrom‹, der aus dem Jahr 1990 datiert, hätten sich alle anderen Medien seitdem bedient. Hier findet der Sprachforscher die erste schriftlich niedergelegte Erwähnung des Wortes, von hier aus nahm eines der größten Missverständnisse der deutsch-deutschen Geschichte mit einer Zwangsläufigkeit seinen Lauf, wie sie unter Ignoranten üblich ist, die voneinander gegenseitig alles Schlimme glauben. Dabei ist die Logik, mit der DDR-Bürger ihre vietnamesischen Gäste bezeichneten, sehr leicht nachvollziehbar, denn sie hielten es mit allen ausländischen Mitbürgern so. Wo der Türke im Westen zum ›Kanaken‹ und der Kongolese zum ›Nigger‹ wurde, streichelte der internationalistisch geschulte Ostdeutsche seine Gäste verbal mit Verniedlichungs-Is. ›Ein schwarzer Gastarbeiter wurde nur dann ›Kohle‹ genannt, wenn er aus Angola kam‹, erinnert sich Zeitzeuge Kurt. Böswillig sei das nicht, auch wenn hier das Kose-I ausnahmsweise nicht zur Anwendung komme: Im Sächsischen ist phonetisch kein Unterschied zwischen g und k …«


So hat den Ostdeutschen das Sächsische den Vorwurf eingebracht, sie seien rassistisch. Dabei, um abschließend wieder Peter-Michael Diestel zu zitieren, würden »die wild gewordenen Spießer, die heute mit Pegida auf die Straße und gegen Asylbewerber zu Felde ziehen«, dies nicht tun, »weil sie in der DDR lebten, sondern weil sie scheißende Angst haben, dass ihnen ihr bisschen Wohlstand verloren gehen könnte« (ebd.). Aber dies ist schon ein anderes Thema.

Ulrich van der Heyden ist ein deutscher Historiker und Politikwissenschaftler. Er ist Gastprofessor an der University of South Africa, Pretoria, Privatdozent am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Missions- und Religionswissenschaft sowie Ökumenik der Humboldt-Universität zu Berlin.