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Die fromme Milch der Affenliebe  (Gerhard Zwerenz)

Gestern morgen blickte mich von der roten Milchpackung (1,5 %) ein mildes Affengesicht an und erklärte: »Da freut sich die Natur.« Im Tetra-Behältnis war zwar gar keine Affenmilch, doch sicherheitshalber stimmte ich zu und freute mich mit. Ich schlug die Zeitung auf, reagierte wie üblich allergisch niesend auf den Druckerschwärze-Dunst und fand im Wirtschaftsteil die zweiseitenstarke Empfehlung, vom Affen zu lernen. Die Redakteure hatten wohl auch schon Müsli oder Kaffee mit Milch gefrühstückt. Am Abend lief Werbung mit dem sonoren Herrn Affen, der erläuterte, weshalb er nur in heimischer Produktion hergestellte Trikots trägt und so für deutsche Arbeitsplätze sorgt. Ein Werte- und Leitkultur-Affe, der als Reklame-Ass längst so viel verdient, wie neidische Unter-Affen ihm nicht zugestehen möchten. Es folgten Dokumentationen über bedrohte Orang Utans, Gorillas und Schimpansen, die abgeschossen und verspeist werden. Wer erinnert sich da nicht des hessischen Ex-Bundeswehrfeldwebels, der einen willigen Berliner Informationstechnologie-Spezialisten schlachtete und sich zur Seelenstärkung einverleibte, weil auch der Mensch zur bedrohten Tierart zählt. Mord ist wie Militär. Wer’s riskiert, erhält lebenslänglich Speis und Bettstatt, wenn er’s denn überlebt.

Um mich auf die Mühen des Tages einzurichten, suchte ich in der häuslichen Bibliothek nach Kafka, geriet aber an Korsch, Karl, Brechts marxistischen Lehrer und Freund, der 1947 in einem Brief an ihn geschrieben hatte: »Eine Weltherrschaft der Yankees wäre nicht nur das Schlimmste, was ich mir für diese Welt noch ausdenken könnte, sondern außerdem nur eine reaktionäre Utopie. Sogar ›Imperialismus‹ muß erst gelernt sein, und im Gegensatz zu den Briten würden die Amerikaner noch für lange Zeit mit dieser Aufgabe nur herumdaddeln, und die übrige Welt würde nicht nur am amerikanischen Imperialismus zu leiden haben.«

Bevor ich die Korsch-Weissagung recht würdigen konnte, fiel mir ein Stoß Zeitungen in die Hände. In der FAZ vom 6. August 2007 brach Franz Alt eine Lanze für den Pazifismus der Bergpredigt. Ausgerechnet in dem Blatt? wunderte ich mich. Und schon am 20. 8. 07 entgegnete ihm ein »Prof. Dr. Rudi Maskus, Bonn und Gießen«, zwar enthalte das fünfte Gebot ein Tötungsverbot, doch über den Zehn Geboten stehe das Liebesgebot, das unter anderem zur »völkischen Notwehr« zwinge. Darauf folgte die kecke Logik des tapferen Liebesgebotskriegers: »Oder hätten die Polen und Russen als Pazifisten die Hände in den Schoß legen sollen, als die deutschen Panzer in ihre Länder einfielen? Sollten wir heute unbewaffnet dem Terrorismus das Feld überlassen?« Es ist possierlich, diesen Christen dabei zuzuschauen, wie sie den Feind stets beim anderen suchen, nie bei sich selbst. Der deutsche Professor besiegte der Reihe nach die Nazis und die Sowjets, und jetzt geht’s gegen Islamisten und Terroristen. Da muß man sich eben »mit allen Mitteln zur Wehr« setzen. Nur das ist Christenliebe, alles andere »eine verführende, aber wirklichkeitsfremde Ideologie«.

Endlich wissen wir, was von der Bergpredigt zu halten ist. Sie besteht aus nichts als schönen Worten. Christliche Sozis wie Richard Schröder lehnen deshalb den Pazifismus als Fundamentalismus ab. So sind eben Bonhoeffer und Niemöller glatte Fundis, vom konsequent kriegsdienstverweigernden Christen Hermann Stöhr nicht zu reden, den seine evangelische Kirche im Stich ließ, damit die Nazis ihn ungescheut köpfen konnten.

Ich trotte in die Küche und genehmige mir ein Glas Milch. Von der Packung blickt mich das milde Werbeaffen-Antlitz erwartungsvoll an. Ich sage: Diese Kirchen haben uns seit zweitausend Jahren zum Affen gemacht.

Der Affe öffnet seinen reich mit blendendweißen Zähnen bestückten, menschenähnlichen Mund und antwortet in akzentfreiem Deutsch: Es sind immer die falschen Affen, denen ihr folgt.

Mir wird klar, vom Affen aus betrachtet sind wir sie und sie sind wir.

Schlagartig begreife ich: Sich heute mit den deutschen Zuständen zu befassen, ist überflüssig geworden, denn das erledigen die Kabarettisten auf ihrer künstlerischen Stilhöhe, und die Regierung versucht sie nachzuahmen, freilich ohne die Lachstürme des Publikums ernten zu können. Die Politiker sollten endlich zugeben, daß sie nur die witzlosen Parodisten unserer regierenden Kabarettisten sind. Dafür kommen sie uns aber einfach zu teuer. Selbst der Mindestlohn wäre noch zu viel. Und taucht der wahlkämpfende Roland Koch auf meinem Bildschirm auf, denke ich: Ein Affe an dessen Stelle wäre preiswerter und zudem humanverträglich.