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Titel1620

Ehre und Statistik  (Matthias Biskupek)

In Deutschland soll es 100.000 Kriegerdenkmale geben. Vermutlich hat noch niemand eine Statistik versucht, welche Aufschriften sie in welcher Zahl tragen. Ich vermute aber, es führen: »Ehre unseren Helden« oder »Sie starben für uns«. Gleich danach kommt sicherlich: »Den im Krieg gebliebenen Söhnen«. Die in Haus, Luftschutzkeller oder auf der Fluchtstrecke ermordeten Töchter, Frauen und Kinder werden eher selten mit Marmor-, Stein- und Eisen-Schriften geehrt.

 

Ausführlich heißt es auch mal: »Den Gefallenen zur Ehre, den Lebenden zum Vorbild, den Kommenden zur Hoffnung.«

 

Eigentlich müsste da stehen: »Wir können sie nicht ehren, sie waren keine Helden, sondern arme Schweine.« Oder: »Sie starben nicht für uns, sondern für falsche Ideale.« Nein, sie taugen nicht den Lebenden zum Vorbild, und den Kommenden können sie als Massakrierte, Erschossene, Verblutete, im Lazarett Krepierte keine Hoffnung geben.

 

Der Begriff »gefallen« hat sich zwar eingebürgert, er ist aber, wie so viele Kriegsvokabeln, beschönigend. Da sind sie halt hingefallen und können nun nicht mehr aufstehen, weil »das Feld der Ehre« niemanden mehr hergibt, der auf ihm verreckt ist. Ist es eine Heldentat, wenn man aus dem (noch) sicheren Schützengraben heraus die in der anderen Uniform abknallt? Wie ehrenhaft und süß ist der Griff zum Auslöser, um Bomben auf jene zu schmeißen, die – hier stimmt der Doppelsinn – »am Boden sind«?

 

Eine verlässliche Statistik, wie viele der in Deutschland Lebenden (man muss vorsichtig formulieren, wenn man Aussagen machen will) die Bundeswehr abschaffen möchten / Auslandseinsätze verbieten würden / jede Art Kriegführung obsolet finden, ist nicht zu finden. Gewiss, Aussagen wie die folgende gibt es heutzutage seltener. Doch das Netz enthält auch dies:

»Meiner Meinung nach wird ein Militär immer gebraucht, denn du weißt nie, was die Zukunft bringt. Es könnte plötzlich im Nachbarland ein Faschist an die Macht kommen, der nun auf einen kleinen Eroberungsfeldzug gehen möchte (so abwegig das für Europa auch ist), es könnten Bündnispartner, die bisher unsere Verteidigung mit verantwortet haben, wegfallen (seht euch die momentane Situation mit der NATO und den USA an), Russland könnte völlig durchdrehen und tatsächlich einen Angriff starten, dann braucht die NATO/EU-Armee jeden Mann, den sie bekommen kann (und es ist sehr wahrscheinlich, dass die russische Armee sehr schnell bis nach Deutschland vorrücken würde) …«

 

Pikant ist, dass Faschisten (!) und ein »durchdrehendes Russland« bemüht werden, um eine Gefahr für unser friedliches, waffenproduzierendes Deutschland zu beschwören. Ich vermute weiter, dass der Satz »Es ist süß und ehrenvoll, fürs Vaterland zu sterben« im lateinischen Original, nicht aber im ironischen Sinne des englischen Dichters Wilfred Owen, der einen Gasangriff 1915 beschreibt, bei weiten Teilen der deutschen Bevölkerung 1914 Zustimmung fand. Und man weiß auch nicht, wie viele heute in Deutschland Lebende dem Satz »Israel muss vernichtet werden« zustimmen.

 

Von den einigen tausend Parlaments-Kandidaten, die alle paar Jahre zur Bundestagswahl antreten, wird wohl kaum einer explizit mitteilen, dass er gewählt werden will, weil er für einen heldenhaften, ehrenvollen Krieg, bei dem man süß stirbt, eintritt. Wenn aber im Bundestag abgestimmt wird, wer für einen ehrenvollen, heldenhaften Auslandseinsatz der Bundeswehr ist – und hier kommt endlich mal keine Vermutung, sondern es erscheinen klare Zahlen – so sind 408 Abgeordnete für und 128 gegen einen Auslandseinsatz. Enthalten haben sich 55 Abgeordnete und 117 sind zu Hause geblieben, was vielleicht sogar die vernünftigste Kriegsbeteiligung ist: Stell dir vor, Deutschland macht Krieg und keiner geht hin.

 

Übrigens: Costa Rica verbietet seit 1949 ein stehendes Heer. Grenada hat seit der USA-Invasion von 1983 keine Armee mehr. Panama schaffte 1990/1994 seine Armee ab.