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Titel1716

Gutachten mit Geschmäckle?  (Wolfgang Ehmke)

Wenn von käuflicher Wissenschaft die Rede ist, wird zumeist assoziiert, dass Risiken der Pharma- und Chemieindustrie oder auch der Atomkraftnutzung und deren Strahlenfolgen negiert oder heruntergespielt werden. An die »reine Wissenschaft« glauben wohl nur wenige, denn man liest oder hört immer mal wieder, dass es in strittigen Bereichen »Auftragsgutachten« gibt, in denen Fakten unterschlagen, Risiken geschönt werden. Man ist folglich klug beraten, wenn man dem Grundsatz folgt: Sag mir, wer die Gutachten bezahlt, und ich sage dir, wo Skepsis angebracht ist.

 

Dass auch Bundesbehörden nicht davon frei sind, dass Konzerne Studien in ihrem Profitinteresse oder im politischen Interesse sponsern, förderte eine aktuelle Recherche des WDR-Journalisten Jürgen Döschner zutage (siehe auch https://www.tagesschau.de/inland/geo-wissenschaftler-bundesanstalt-101.html ) Gemeinsam mit anderen Berufskollegen deckte er auf, wie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) jahrelang von Mitteln der wirtschaftsnahen Martini-Stiftung profitierte, die auf diesem Wege »gewünschte« Aussagen der Behörde generierte.

 

Die BGR ist einer der wichtigsten Beratungs- und Forschungsdienste der Bundesregierung, sie untersteht dem Wirtschaftsministerium. Sie gilt auch als so ein Flaggschiff der Unabhängigkeit wie »die Wissenschaft«. In die Kritik geraten war die BGR in der letzten Zeit fast nur in Verbindung mit ihren Aussagen zum umstritten Fracking zwecks Erdgasgewinnung oder zur Eignung des Salzstocks Gorleben als Atommüllendlager.

 

Den größten Unsinn hatte demnach die BGR schon im Jahr 1995 verzapft. Die Klimadebatte war da bereits voll entbrannt. 1997 wurde nach der dritten Vertragsstaatenkonferenz das sogenannte Kyoto-Protokoll verabschiedet, das erstmals rechtsverbindliche Begrenzungs- und Reduzierungsverpflichtungen für die Industrieländer umriss, um den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß zu begrenzen. Das heißt, noch zwei Jahre vor Kyoto hatte die BGR all die Zweifler bestärkt, die nicht den CO2-Ausstoß aus Fabrikschloten und Auspuffrohren als hauptverantwortlich für den Klimawandel ausmachten, sondern schlichten Wasserdampf und die Aktivitäten der Sonne.

 

Damit nicht genug. Statt einer Revision der kruden Theorie, trotz des Kyoto-Protokolls veröffentlichte die BGR im Jahr 2000 auf der Basis dieser Studie das Buch »Klimafakten« – bis heute eine Art »Beweis« dafür, dass natürliche Klimaschwankungen integraler Bestandteil der historischen und daher auch aktuellen Klimaentwicklung sind. Wie Döschner schreibt, eine »Heilige Schrift« all jener, die den Klimawandel oder zumindest den Anteil des Menschen daran bezweifeln.

 

In die wissenschaftlichen Kapriolen der BGR reiht sich die 2013 veröffentliche Stellungnahme der Staatlichen Geologischen Dienste zum Fracking ein. Die umstrittene Methode zur Gewinnung von Erdgas war zuvor vom Umweltbundesamt unter die Lupe genommen worden, das Risiken und Unsicherheiten attestierte, die beim Einsatz des Frackings für die Reinhaltung des Grundwassers entstehen. Das spielte die BGR herab mit der Bemerkung, es gebe da eine »generelle Überschätzung« der Gefahren. (s. tagesschau.de)

 

Was bis jetzt nicht bekannt war und durch den WDR enthüllt wurde: Die BGR-Klimastudie war seinerzeit von der Industrie bezahlt worden. Genauer gesagt von der Hans-Joachim-Martini-Stiftung, einer weitgehend unbekannten und im Verborgenen arbeitenden gemeinnützigen Stiftung. Das Ziel des 1982 gegründeten Hans-Joachim-Martini-Fonds, der fünf Jahre später in jene Stiftung umgewandelt wurde, ist laut Satzung die »Förderung der angewandten Geowissenschaften«. Döschner: »Was sich zunächst uneigennützig anhört, entpuppt sich bei näherem Hinsehen allerdings als ein spezieller Finanztopf, über den Unternehmen aus der Chemie-, Energie- und Rohstoffbranche über Jahre hinweg die BGR finanziell unterstützt haben.« In den ausgewerteten internen Dokumenten stößt man auf illustre Namen wie die Bayer AG, den Kohlekonzern Rheinbraun, der später vom Stromkonzern RWE übernommen wurde, Wintershall, BP, Kali+Salz AG oder die Ruhrkohle AG.

 

Die Liste »bemerkenswerter« Studien lässt sich fortsetzen: In den Genuss des Martini-Preises kam laut Döschners Recherche auch ein Wissenschaftler, der mit seiner Arbeit den schädlichen Einfluss von Infraschall bei Windrädern zu belegen versuchte. Ein weiteres Beispiel: Der Martini-Nachwuchspreis 2011 ging an eine junge Wissenschaftlerin für ihre Diplomarbeit zur raumbezogenen Darstellung und Auswertung der Salzlösungen in Verbindung mit den Wasserwegsamkeiten im Salzstock Gorleben.

 

Da die Geldflüsse weitgehend intransparent blieben, bleiben viele Fragen offen. Ob die Autoren der Studie, die dem Salzstock Gorleben vorschnell eine Eignung als Atommüllendlager unterstellten, ebenfalls von der Martini-Stiftung prämiert wurden, ist bisher nicht geklärt. Die Studie wurde im Geologischen Jahrbuch 2008 veröffentlicht, und dort heißt es: »Trotz der noch nicht abgeschlossenen Erkundung des Erkundungsbereiches 1 (EB 1) kann nach den bisherigen Untersuchungen festgestellt werden, dass aus geowissenschaftlicher Sicht keine Erkenntnisse aus dem Salinar gegen die langzeitsicherheitliche Eignung des Salzstocks Gorleben für die Endlagerung radioaktiver Abfälle vorliegen.«

 

Erstmalig 2012 kritisierte die Innenrevision des Bundeswirtschaftsministeriums die Vergabepraxis der Preisgelder und bezeichnete sie zumindest für den Zeitraum bis zum Jahr 2003 als »angreifbar«. Die Prämien seien als »Geschenke« zu werten und hätten ohne Genehmigung der Vorgesetzten nicht angenommen werden dürfen. Unterdessen hat der Republikanische Anwaltsverein (RAV) Strafanzeige gegen die BGR bei der Staatsanwaltschaft Hannover wegen des Verdachts auf Vorteilsgewährung, Vorteilsnahme beziehungsweise Bestechung und Bestechlichkeit nach §§ 331–334 StGB gestellt. Rechtsanwalt Thorsten Deppner beruft sich bei der Strafanzeige auf den WDR-Bericht, in dem es heißt:

Es ergebe sich jedenfalls das Bild eines äußerst komplexen und wenig transparenten Geldflusses von der Industrie in die BGR. Das beginne bereits bei den Anfängen der Stiftung 1981. »Es ist beabsichtigt, […] eine Hans-Joachim-Martini-Stiftung« zu gründen, schrieb der damalige Chef-Geologe der Bayer AG in einer internen Notiz an seinen Vorstand. »Die Stiftung soll dazu dienen, junge bzw. verdiente Mitarbeiter der BGR durch maßvolle finanzielle Anreize zu belohnen.« Und offenbar um den Nutzen für Bayer zu unterstreichen, fügte der Autor hinzu: »Bayer AG hat seit 1971 Jahr für Jahr die aktive und tatkräftige Unterstützung von Herren aus der BGR erfahren.«

 

Blind gegenüber der eigenen Geschichte gibt sich die BGR auch, wenn es um den Namensgebers des Preises, Hans-Joachim Martini, geht. Er war 1940 Leiter der Reichsstelle für Bodenforschung in Prag mit der Aufgabe »Erforschung, Erschließung und Verwertung« der tschechischen Bodenschätze, also damit, das okkupierte »Reichsgebiet« des Protektorats Böhmen-Mähren nach Ausbeutbarem für die deutsche Wirtschaft und die Kriegsführung zu untersuchen. Von 1962 bis 1969 war er Präsident der Bundesanstalt für Bodenforschung, dem Vorläufer der BGR. Ganz im Unterschied zum Auswärtigen Amt, das – viel zu spät, aber immerhin – eine international besetzte Historikerkommission beauftragte, die Nazi-Vergangenheit des eigenen Amtes aufzuarbeiten, fehlt auf der Website der BGR jeder Hinweis auf die Verstrickung Martinis in die Gräuel der Nazi-Herrschaft. Und dann noch das: Laut Abschlussbericht des Niedersächsischen Untersuchungsausschusses zur Einlagerung von radioaktiven Abfällen in der Schachtanlage Asse II waren Martini und sein Stellvertreter Gerhard Richter-Bernburg in den 1960er Jahren treibende Kräfte für die Nutzung des stillgelegten Salzbergwerkes als Atommüllendlager. Bereits 1962 schlug er dessen Verwendung als mögliches nukleares Endlager vor.

 

Es ist vor allem Sache der Dienstaufsicht, also des Wirtschaftsministeriums unter Sigmar Gabriel (SPD), das Geflecht Martini-Stiftung – BGR zu durchleuchten und auch einen Beitrag zur Geschichtsbewältigung dieser Bundesbehörde anzustoßen. Darüber hinaus muss es zwingend eine umfassende parlamentarische Untersuchung und Klärung geben, denn ob Strafanzeigen das probate Aufklärungsmittel sind, darf bezweifelt werden.