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Sein letztes Bild  (Monika Köhler)

Bin ich in die falsche Ausstellung geraten? Diese Bilder – wie von Braque sehen sie nicht aus, die leuchtenden Farben, schwungvoll bewegten Linien, das Lichtflirren – alle stammen von 1906/07, einige in L`Estaque, in der Nähe von Marseille, gemalt. Im Oktober 1906 war Paul Cézanne – ein Vorbild auch für Braque – gestorben. Cézanne hatte oft in L`Estaque gearbeitet. Was hier in Hamburg im Bucerius Kunst Forum gezeigt wird, ist chronologisch geordnet, nennt sich »Georges Braque – Tanz der Formen« (bis 24. Januar 2021, derzeit coronabedingt geschlossen).

 

Die Ausstellung beginnt mit der fauvistischen Periode. Braque bewunderte die Expressivität, das Farbglühen der Bilder von Henri Matisse. Die fauvistischen Werke Braques – im Salon des Indépendants 1907 ausgestellt – fanden ihren Liebhaber in dem deutschen Kunstsammler Wilhelm Uhde, der in Paris lebte. Er und der Galerist Daniel-Henry Kahnweiler waren die ersten Förderer. Doch schon bald zerstörte Braque viele seiner Werke des Anfangs, weil danach für ihn das völlig Andere kam: der Kubismus.

 

Wie der Fauvismus wurde auch der Kubismus zuerst als Spottname angesehen und in Frankreich mit K geschrieben, einem Buchstaben, der als urdeutsch galt – wie Kaiser. Braque wurde zu »Bracke« entstellt – wohl im Hinblick auf die vielen deutschen Kunsthändler und Sammler, neben Uhde, Kahnweiler, Carl Einstein und Alfred Flechtheim. Schon Cézanne hatte die Reduzierung der Natur auf die einfachen Formen wie Zylinder, Kugel und Kegel empfohlen und die Farben Ocker und Braun wie moderndes Laub. Braques Bilder »Die Musikinstrumente« (1908) und die Landschaften von 1909 und 1910 sind alle im Herbst entstanden und auf düstere Töne beschränkt.

 

Ab 1909 arbeiteten Braque und Picasso zusammen. Der Katalog (Hirmer Verlag, 218 Seiten, 29,90 Euro) nennt es eine kubistische »Seilschaft«, die bis 1914 hielt. Keine Landschaften mehr, »Stillleben mit Geige« (1911), Frau oder Mann mit Gitarre – kubistische Werke, wie man sie kennt. Braque experimentierte und mischte auch mal Sand oder Sägemehl in die Farbe. Zierleisten oder Holzmaserungen scheinen auf oder Fetzen von Zeitungen. Die Perspektive war verschwunden, die Bilder wirkten oft wie durch ein Prisma gesehen.

 

1914 ist erst einmal Schluss. Braque wird eingezogen und schnell zum Oberleutnant befördert. Am 11. Mai 1915 führt er seine Einheit unter schwerem Artilleriebeschuss nach Neuville-Saint-Vaast, wo ihn Granatsplitter treffen und Helm und Schädel durchbohren. Durch eine Trepanation kann er gerade noch gerettet werden. Zeitweise erblindet, erlangt er am 13. Mai wieder das Bewusstsein: an seinem Geburtstag. In Braques »Gedanken und Reflexionen über die Malerei«, Ende 1917 erschienen, steht kein Wort über den Krieg. Er beendet den Text mit dem Satz: »Noblesse rührt aus gefasstem Gefühl.« Christopher Green sieht im Katalog darin eine Form der »Gefühlsbeherrschung«, die es dem Künstler ermöglichte, weiterhin Werke zu schaffen. Seinem neuen Galeristen Léonce Rosenberg, der als Offizier (und Freiwilliger) ein Bewunderer der Militärs war, schrieb Braque in einem Brief am 23. August 1917: »Mir scheint, der Krieg ist mir hinsichtlich meiner Kunst zugutegekommen, glaube ich.« Er malte Stillleben – aber das genügte ihm nicht. Im August 1916 stand er einer Ausbildungskompanie vor, bekam Orden, lehrte Disziplin und – so der Katalog: »Schickte junge Männer in die Schützengräben.«

 

Nach dem Krieg erklärten Kunstkritiker den Kubismus für tot. »Retour à l’ordre«, war die neue Parole. Zurück zur Ordnung. Künstler versuchten eine neue Form des Klassizismus zu finden. Braque malte weiter Stillleben. Doch 1922 etwas ganz anderes, das Bilderpaar: »Kanephore« (Korbträgerin). Im schmalen Hochformat (180,5 cm x 73 cm). Ganz in Erdfarben, braun-beige mit wenig Moos und Weiß standen die etwas kompakten Jungfrauen barbusig mit ihren Obstschalen auf dem Kopf im Pariser Salon d`Automne. Der deutsche Textilmagnat Gottlieb Friedrich Reber kaufte sie. Braque entwarf auch Bühnenbilder und Kostüme für Ballette, zwischen 1924 und 1926. Dann wieder Stillleben, daneben Radierungen zu Hesiods »Theogonie«.

 

Braque, der sich öffentlich nicht politisch äußerte, zog sich, so der Kunstkritiker Jean Grenier, in eine Art »aktiver Passivität« zurück. Seine Bilder wurden im Deutschland der Nazis als »entartet« angeprangert, beschlagnahmt und später oft zwangsgetauscht gegen alte Meister für deutsche Museen. Das Gemälde »Der Mann mit Gitarre« (1914), in der Ausstellung zu sehen – Hermann Göring bekam es für seine Privatsammlung. Einige düstere Gemälde aus den Kriegsjahren entstanden. »Stillleben mit Schädel« und »Vanitas«. Braque meinte dazu, nur die Form allein habe ihn interessiert.

 

Warum trägt »Der Mann an der Staffelei« von 1942 einen Hut? Er scheint aus dem Fenster zu sehen, auf das schwarze Kreuz des Fensters, bereit dazu, wegzugehen. »Das Wohnzimmer« (1944) mit schwarzem Tisch lenkt den Blick auf ein schon geöffnetes Fenster. Nachdem sich das Ehepaar Braque im Jahr 1940 zuerst in die Nähe von Bordeaux, dann an den verschiedensten Orten in Frankreich aufgehalten hat, auf der Flucht, ziehen sie Ende Juli wieder nach Paris. Carl Einstein, von der Gestapo verfolgt, hatte sich im Juli das Leben genommen. Der Galerist Paul Rosenberg (Bruder von Léonce) geht im September nach New York ins Exil. Dachten Georges und Marcelle Braque auch daran?

 

Weltweite Anerkennung findet Braque nach 1945. Viele Ausstellungen, Preise, eine eigene Ausstellung im Louvre, die das erste Mal einem lebenden Künstler ausgerichtet wird. Und ein Auftrag für ihn, ein Deckengemälde im Louvre zu gestalten. Er denkt an den Himmel und bevölkert ihn mit Vögeln. Er, der Maler der Innenräume, entdeckt die Außenwelt wieder. Einige Gemälde mit stilisierten Vogelmotiven. So »Der Vogel und sein Nest« (1955): Das weißgefiederte Wesen bewacht sein Nest mit drei Eiern in tiefdunkler Nacht. Kleine schmale horizontal betonte Bilder am Schluss der Ausstellung. Landschaften, wie Erinnerungsblitze aufleuchtend. Keine matten Herbstfarben, ein leuchtendes »Rapsfeld« (1956/57), darüber ein unruhiger blauer Himmel. Oder »Die Steilküste« (1960/61). Die Rückkehr an die Orte seiner Jugend. Mit dickem Farbauftrag, wie ein Sich-Selbst-Bestätigen der Erinnerung. Und dann das letzte Bild, viel größer: »Die Jätmaschine« (1961/63). Auf einem ockerfarbenen Feld mit hellen und rötlichen Pflanzen – ein paar dunkle Vögel drüber – steht groß und drohend ein Gefährt, fast mittelalterlich anmutend. Darauf liegt etwas Dunkelblaues. Ein Sack? Oder etwas Lebendiges? Ein tiefschwarzer Horizont mit einer weißen Wolke oder ist der Himmel da aufgerissen? 1963 starb Braque mit 81 Jahren.