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Ein Journalist ohne Misere  (Norman Paech)

Am 3. Dezember ist Günther Schwarberg in Hamburg-Wohldorf gestorben. Ein Journalist, der seinen Beruf geliebt hat, schreibend und dokumentierend bis in die letzten Tage. Denn er hatte ein Thema, das von Anfang an im Zentrum seiner Arbeit stand: die Opfer des Faschismus. Sie haben ihn sein Leben lang durch die Redaktionen begleitet, vom Bremer Weser-Kurier über Bild am Sonntag und Constanze bis zum Stern. Dort hat er über 20 Jahre Reportagen geschrieben. Und als der Verlag an seinem Thema nicht mehr interessiert war, hat er das Blatt, aber nicht das Thema verlassen. Er hat seine Recherchen weitergeführt und in zahlreichen Büchern veröffentlicht: über Oradour, das Warschauer Ghetto, Majdanek, den Angriff auf die »Cap Arcona«, die letzte Fahrt der »Exodus«, das Schicksal des Librettisten Löhner-Beda, aber auch über Thomas Manns »Zauberberg« und Brechts erstes Exil in Svendborg.

»Das wird für mich das Wichtigste: das Leben rekonstruieren von Opfern, die spurenlos verschwinden sollten.« Das hatte er von einem Kommunisten und Journalistenkollegen aus Prag, Julius Fucik, gelernt, der, bevor er im September 1943 in Plötzensee erhängt wurde, eine Bitte an die Nachwelt herausschmuggeln konnte: »Um eines bitte ich: Ihr, die Ihr diese Zeit überlebt, vergeßt nicht! Sammelt geduldig Zeugnisse über jene, die für sich und Euch gefallen sind.« Da war Günther Schwarberg noch keine 20 Jahre alt, aber hatte schon seine Erfahrungen mit den Nazis in der HJ und als Flakhelfer gemacht. 60 Jahr später konnte er in seinen Erinnerungen »Das vergesse ich nie« (vorgestellt in Ossietzky 24/07 von Heinrich Hannover unter der Überschrift »Ein Leben gegen den Strom«) schreiben: »Ich glaube, das habe ich getan: Geduldig alle Zeugnisse gesammelt. Und ich habe viel gefunden.«

Das war bescheiden formuliert. Er brauchte nichts zu verschweigen, deswegen konnte er um so unbestechlicher recherchieren. Ich habe nie wieder einen Menschen getroffen, der seinen Haß auf das Militär, den Militarismus und Faschismus so konsequent und glaubwürdig in die literarische Tat und politisches Handeln umgesetzt hat wie Günther Schwarberg. Von ihm habe ich gelernt, daß Friedensbewegung und Antifaschismus vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte untrennbar zusammengehören. Als er mich 1985 bat, an einem Tribunal über die Kinder vom Bullenhuser Damm teilzunehmen, begann für mich eine Lehrzeit, die ich in Schule und Studium nicht hatte.

Hinter Günther und seiner Frau Barbara Hüsing lag bereits eine enorme Arbeit: die Aufklärung eines Verbrechens der Nazis aus den letzten Tages des Krieges. In der Hamburger Schule am Bullenhuser Damm waren 20 jüdische Kinder, die man zu medizinischen Versuchen mißbraucht hatte, auf brutale Weise aufgehängt worden. Seit 1977 haben die Beiden die Mosaiksteine eines furchtbaren Verbrechens zusammengetragen, die Angehörigen in der ganzen Welt ausfindig gemacht. Ihre Versuche, den Haupttäter vor Gericht zu bringen, scheiterten am Widerstand der Justiz. So blieb ihnen nur, die Opfer auf ihre Weise vor dem Vergessen zu bewahren: eine Gedenkstätte in der ehemaligen Schule, ein Trägerverein, ein Tribunal, alljährlich eine Gedenkveranstaltung am 20. April mit den Angehörigen aus Israel, Polen, Frankreich, Italien, die Benennung von Straßen mit den Namen der ermordeten Kinder. Und immer wieder publizierte er, in Büchern, Zeitschriften und Zeitungen. Welch eine Arbeit! Heute ist es eines der am besten dokumentierten Verbrechen der Nazizeit in Hamburg. Und mehr noch, die Opfer, die Kinder sind dem Vergessen entrissen und ein fester Bestandteil des öffentlichen Bewußtseins geworden.

»Journalist solltest Du nur werden, wenn Du mutig bist. Sonst verpfuschst du dein Leben als verachtete Kreatur. Wer nicht kämpft, hat schon verloren und wird sich am Ende seines Lebens verfluchen, Journalist geworden zu sein.« Diesen Rat kann nur jemand geben, der immer mutig war und immer gekämpft hat, wie Günther Schwarberg – ein Journalist, so wie Ernst Bloch einst einen der bedeutendsten Juristen und Publizisten der Aufklärung, Christian Thomasius, genannt hat, »ohne Misere«.