erstellt mit easyCMS
Titel0511

Bemerkungen

Die Empörung der Medien
»Empört euch!« heißt das himmelblaue Büchlein aus dem Ullstein Verlag, mit 32 Seiten rasch gelesen; sein Schwellenpreis von 3,99 Euro ist so günstig wie albern. Die Streitschrift hat, nach ihrem phänomenalen Erfolg in Frankreich, nun auch in Deutschland ihren Siegeszug angetreten.

Die Rezensenten haben es mit diesem Coup nicht leicht. Schon der Autor ist ganz ungewöhnlich: Stéphane Hessel, 93 Jahre alt, Deutscher von Geburt, jüdischer Abkunft, als Kind nach Frankreich gekommen, eingebürgert, Kämpfer mit der Résistance gegen Hitlers Truppen, Diplomat, Sozialist, Verfasser politischer Bücher. Aber erst das Pamphlet! Da predigt einer die Rückkehr zu Werten, gar denen von 1945! Prangert die Diktatur der Finanzmärkte und die Verelendung der Massen an, fordert die Beachtung der Menschenrechte ein, den wirksamen Schutz des Weltklimas und eine neue Entwicklungspolitik. Und legt noch den Finger in eine schwärende Wunde: Israels Umgang mit den Palästinensern. Über all das und was sie sonst noch wachen Auges bemerkt, soll sich die Jugend empören und – gewaltlos – für Veränderung kämpfen.

Wenn man bedenkt, wie sehr die deutschen Medien-Monopolisten die öffentliche Meinung zugerichtet, welche Ansichten sie seit langem jeglicher Diskussion entzogen haben, begreift man die Nervosität und Heftigkeit der Reaktionen. Noch harmlos, weil unsinnig, ist das Etikett »eine Art französischer Robin Hood« für Hessel (Sabine Glaubitz/dpa, in stern.de). Gern wird, schon in der Überschrift, das Alter des Autors betont, das sich anscheinend auch auf seine Weltsicht auswirkt, ist doch sein »Zukunftsoptimismus antiquiert und naiv« (Karl-Ludwig Baader, Hannoversche Allgemeine Zeitung). Ähnlich Christian Geyer (FAZ.net): Das Pamphlet atme »Überzeugungsnaivität«. Baader bemängelt außerdem – ein beliebtes Argumentationsmuster –, daß Hessel keine »überzeugende Alternative« vorgestellt habe; das führe leicht zu »folgenlosem Aktionismus«. Einen ganz dicken Knüppel schwingt Gero von Randow (Die Zeit): Alles sei »recht grob geschnitzt, stellenweise falsch«, und man sehe, wohin es führe, »wenn die Entscheidung für das Engagement dem Nachdenken vorausgeht«. Engagement ist offenbar ohnehin verdächtig: Es sei »latente Hysterie, die deutsche Bürger gegen Bahnhofsplanungen zum ›Widerstand‹ aufrufen läßt«. Zur Hessel’schen Israel-Kritik fällt ihm ein: »Gegen den Judenstaat (sic!) ist ihm sogar Hamas recht« – so wird Antisemitismus suggeriert. Für Esteban Engel (dpa) gibt der Israel-Teil »Hessels Text eine seltsame Schlagseite«; die Kritik an George Bush und der amerikanischen Irak-Intervention findet er »merkwürdig einseitig«.

Das ist Deutschland: Auch hier sorgt Hessel für Empörung, aber bei den Meinungs-Designern – über sein Pamphlet.

Helmut Weidemann


Kulturelle Säuberung

»Multikulti« mag der französische Staatspräsident nicht, darin ist er mit der deutschen Bundeskanzlerin einig. Nun hat Nicolas Sarkozy, wie die Zeitung Le Monde berichtet, diese Abneigung auf den staatspolitischen Punkt gebracht: »Ich will in Frankreich keine Minarette, keine Rufe zum Gebet auf öffentlichem Grund, keine Betenden auf der Straße.« Also ab mit den Muslimen in die Katakomben, und weil es dort ungemütlich ist, werden sie wohl doch die Lust verlieren, sich weiter in Frankreich aufzuhalten. Zurück ins Arabische? Aber wer soll dort, nachdem die Potentaten nicht mehr das leisten können, was Europas Regierungen von ihnen erwarteten, fürs Einpferchen sorgen?

Ein Problem ergibt sich auch im Sarkozy-Land selbst, wegen der »Egalité«. Soll es bei derselben bleiben, müssen christliche Kirchtürme abgerissen und katholische Prozessionen verboten werden. Das wird der Präsident nicht riskieren wollen. Also braucht er eine plausible Begründung für seine Absicht, das öffentliche Leben Frankreichs vom Islam zu reinigen. Etwa so: Minarette, Muezzinrufe et cetera sind eine Kulturschande. Unter französischem Himmel.
Marja Winken


Sozialismus der dummen Kerle
Götz Aly hat wieder zugeschlagen. Nicht Rassenhaß sei die Wurzel des deutschen Antisemitismus gewesen, der schließlich seinen Höhepunkt im Holocaust fand, sondern schlichter Neid, verkündete der Berliner Historiker in einem Wiener Vortrag mit dem Titel »Aufstieg, Neid und Judenhaß 1880–1933«, von dem Die Presse berichtet. Weil die christliche Mehrheit im sozialen Aufstieg des 19. Jahrhunderts mit den bildungshungrigen jüdischen Mitbürgern nicht habe mithalten können, habe sie mit Neid reagiert, so Aly. Im Laufe des 19. Jahrhunderts habe sich in Deutschland wie in Österreich eine massenhafte soziale Mobilisierung vollzogen. Während die christliche Mehrheit träge und ängstlich auf die Modernisierung reagiert habe, sei es den Juden innerhalb weniger Jahrzehnte gelungen, von der ärmeren, unterprivilegierten Minderheit aufzusteigen und die Mehrheitsbevölkerung zu überflügeln. Als Grund sieht Aly den ungleich größeren Bildungswillen der Juden, die ihre Kinder auch unter größten Opfern in die Schule schickten. »Um 1900 erreichten jüdische Studierende achtmal so häufig mittlere und höhere Bildungsabschlüsse, jüdische Mädchen besuchten gar elfmal öfter weiterbildende Schulen.« Der Bildungsvorsprung habe dann den sozialen Aufstieg bedingt.

Begriffe wie »NS-Ideologien« oder »Rassenwahn« würden die Tatsachen vernebeln und »die Last der Verantwortung auf einen deutschen Sonderweg schieben«, so Aly: »Von uns werden die NS-Täter immer zu beinah außerirdischen Exekutoren hochstilisiert.« Dabei zeige sich in den antisemitischen Schriften der Zeit der schlichte Sozial- und Konkurrenzneid, meinte der Historiker.

Diese These erkläre auch, warum der durchschnittliche Deutsche während des Nationalsozialismus selbst zwar nicht gewalttätig gegenüber Juden wurde, aber gegen die Entrechtung der jüdischen Minderheit durch den Staat auch nicht einschritt, so Aly. »Denn der Neid gedeiht bekanntlich im Verborgenen, weil er den Neider in ein schlechtes Licht rückt, so daß dieser den Staat als Täter hinter seinen Gardinen schadenfroh beobachtete.«

Und woher kam der »ungleich größere Bildungswille der Juden«? Aus den Genen? Propagiert Aly da eine ins Positive gekehrte Rassentheorie? Oder ist nicht vielmehr die verstärkte Aufstiegsanstrengung eine Folge von vorausgegangenem Antisemitismus und eine Reaktion darauf? Was den Schwarzen in den USA Louis Armstrong, war den Juden in Osteuropa David Oistrach: die Verheißung, aus Dreck und Verachtung herauszukommen. In Mitteleuropa strebte man eine Karriere in jenen Berufen an, die Juden mehr oder weniger offen standen, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden, also der Ächtung zu entgehen – was, wie sich zeigte, eine Selbsttäuschung war. Der Neid, wenn er denn eine entscheidende Rolle spielte (war man auch auf Krupp und Thyssen neidisch?), war das Ergebnis eines Ergebnisses, nicht die Ursache. Götz Alys »Entdeckung«, die wieder einmal Richtiges mit Unsinn mischt, krankt auch diesmal daran, daß das Richtige kein bißchen originell, sondern längst ausgesprochen ist. Was Aly als seine These präsentiert und wofür er in Wien Beifall erhält, geht über August Bebels Diktum vom Antisemitismus als Sozialismus der dummen Kerle nicht hinaus. Aber wer liest heute noch August Bebel?
Thomas Rothschild


Zuckermanns Analysen
Je notwendiger die Kritik an der Politik Israels, desto heftiger der Vorwurf des Antisemitismus gegen die Kritiker. Damit befaßt sich Moshe Zuckermann, Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv, in seinem Buch »›Antisemit!‹ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument« und setzt sich mit Erscheinungsformen dieses Vorwurfs in Israel und in Deutschland auseinander.

In der Analyse einer Rede des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu vom 24.9.2009 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen zeigt Zuckermann, mit welchem Pathos sich Israel als Opfer von Anfeindungen vor allem durch den Iran darstellt. Netanjahu unterstellt dem Iran religiösen Fundamentalismus, der die Rückkehr in die Barbarei anstrebe. Zuckermann setzt dem entgegen, daß der Zionismus sich gleichfalls der Religion bediene, die sich »zur manifesten Grundlage eines expansiv-kolonisierenden Faktors der israelischen Politik« gewandelt habe: »Der religiös sich speisende und reproduzierende israelische Siedler-Fundamentalismus steht dem islamistischen an Reaktion und Menschenverachtung in nichts nach; er ist (…) nicht minder gewalttätig, mörderisch und barbarisch.« Gefährlich werde es, »wenn (…) Israels Außenpolitik beginnt, in alle Richtungen mit ›Shoah‹, ›Antisemitismus‹ und anderen verwandten Ideologemen als leeren Worthülsen herumzuschleudern«.

In der Auseinandersetzung mit der Politik des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman konstatiert Zuckermann eine »innere nationale Konsolidierung durch einen rassistisch gespeisten Haß auf den ›Feind‹ im Innern und die verfolgungswahnartige Absetzung vom Rest der Welt nach außen hin«.

Als weitere Beispiele analysiert er die Rede des israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres vom 27.1.2010, dem Holocaust-Gedenktag, im deutschen Bundestag und verfolgt die israelische Diskussion, die der sogenannte Goldstone-Bericht der UNO zu den Geschehnissen während der militärischen Aktion »Gegossenes Blei« im Gazastreifen auslöste.

Im Deutschland-Teil seines Buches, in dem er auch auf eine Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeht, setzt sich der Autor vor allem mit den Antisemitismus-Vorwürfen der sogenannten »Antideutschen« auseinander. Er erklärt das Entstehen des »Antideutschtums« aus einer sich »zur ›Shoah‹-Euphorie steigernden Geschichtswahrnehmung« als »Matrix für eine geborgte Identität«.

Zuckermann kommt zu dem Schluß: »Daß es gilt, den Antisemitismus zu bekämpfen, darf heute für so selbstverständlich erachtet werden, daß man sich hüten muß, dies Selbstverständliche nicht zur verdinglichten Routine verkommen zu lassen. Daß es im Interesse staatsoffizieller israelischer Politik liegt, Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik in einen vorgeblichen Kausalnexus zu setzen, liegt ebenso auf der Hand wie die propagandistische Funktion, die diese Verbindung im Hinblick auf Israels politische Praxis und Alltagsrealität erfüllt. Kaum zu verstehen ist dagegen, was es Antisemitismus-Bekämpfern und Israelfreunden (besonders aber deutschen Keulenschwingern) so schwer macht, zu begreifen, daß Kritik an Israel etwas mit der israelischen Realität zu tun hat (weder mit Antisemitismus noch mit einer antizionistischen Infragestellung der Existenz des israelischen Staates), mit der Empörung über Israels verbrecherische Unterdrückung der Palästinenser (und nichts mit pauschaler Geißelung von Juden und Zionismus); mit genuiner Sorge um Israel und politische Mentalitätsstrukturen seiner jüdischen Bürger …«

Wolfgang Popp
Moshe Zuckermann: »›Antisemit!‹ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument«, Promedia Verlag, 208 Seiten, 15,90 €


Deutsche Teilungsgeschichte
Wie kam es nach 1945 zeitweilig zu zwei deutschen Staaten? Der jetzt herrschenden Erinnerungspolitik nach ist das so zu erklären: Die sowjetischen und die deutschen Kommunisten wollten das von ihnen im Schilde geführte Gesellschaftssystem ganz Deutschland aufdrücken und nahmen zu diesem Zweck erst einmal die östliche Besatzungszone in ihren Besitz. Kommunistische Expansion abwehrend errichteten dann die Westdeutschen ihre freiheitliche Republik, notgedrungen, weil KPdSU und SED sich einem einheitlichen Staatsgebilde verweigerten. Diese Version von Geschichte hat für ihre Verbreitung den Vorteil, simpel zu sein; wie falsch sie ist, läßt sich in einem neuen Buch von Herbert Graf einmal mehr und hier nun auf spannende Weise nachlesen. Der Autor, lange Zeit Mitarbeiter Walter Ulbrichts, versteckt seine eigenen politischen Positionen und Wertungen nicht, auch nicht seine Kritik an vielen führenden Politikern der sowjetischen kommunistischen Partei und der SED. Aber er schreibt nicht als Renegat, und er bringt für seine Deutungen solide Belege. Plausibel wird in seiner Studie dargelegt: Die sowjetische Politik nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war auf eine gesamtdeutsche Lösung ausgerichtet, nicht mit einer sozialistischen oder kommunistischen inneren Verfassung, sondern als Staat »zwischen den Systemen«, allerdings die Gewähr bringend, daß dieses Deutschland nicht wieder aggressiv werden könne gegen die UdSSR. Die Eigenstaatlichkeit Ostdeutschlands unter sowjetischer Regie war eine Reaktion auf die Gründung des westdeutschen Staates und dessen Integration in die Geostrategie der Westmächte, speziell der USA. Bestimmend für die sowjetische Politik war nicht ein Drang zu »kommunistischer Expansion«, sondern das Interesse, den Machtbereich der UdSSR gen Westen abzusichern, prägend waren klassische Denkmuster nationaler Außenpolitik. Bis weit in die 1950er Jahre hinein versuchte die sowjetische Führung, diese gesamtdeutsche Option umzusetzen, auch um den Preis, sozialistische Umgestaltungen in Ostdeutschland aufzugeben. Deutlich wird in diesem Zusammenhang auch, daß der Spielraum für eigenständige Weichenstellungen der SED äußerst begrenzt war; der Begriff einer »Bruderpartei« hatte im praktischen Verhältnis der KPdSU zur SED keine Realität.

Das Buch von Graf wirkt aufklärend und richtigstellend gegenüber weitverbreiteten antikommunistischen Legenden; ernüchtern kann es Zeitgenossen, die der Meinung sind, erst unter Gorbatschow sei die sowjetische Führung von Idealen einer kommunistischen Weltbewegung abgefallen.
Arno Klönne
Herbert Graf: »Interessen und Intrigen: Wer spaltete Deutschland?«, Edition Ost, 318 Seiten, 14,95 Euro


Trotzki im Ländle
»Erstaunlicherweise«, schreibt der Berichterstatter der Frankfurter Allgemeinen, habe Die Linke bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg wohl doch Aussichten, über die fünf Prozent zu kommen. Obwohl das Landesamt für Verfassungsschutz diese Partei beobachte und herausgefunden habe: »Es gibt einige ehemalige DKP-Mitglieder in der Partei, und es soll Kontakte zu trotzkistischen Gruppierungen ... geben.« Schlimmer geht’s nicht – da agieren Ex-Dekapisten, von denen man nicht weiß, ob sie vielleicht doch Kommunisten geblieben sind, und möglicherweise bestehen Verbindungen zu Trotzkisten. Wie gefährlich diese sind, wußten früher, in Stalins Zeiten, sogar Parteikommunisten. Und das alles im schwäbisch-alemannischen Idyll. Siegt Mappus nicht, ist alles verloren.
Peter Söhren


Diplomatisches Selbstgespräch
Wir sind mit einem Staatsmann eng
                                             verbunden,
der seine Bürger als Despot regiert. Wir haben mit ihm einen Weg gefunden, auf welchem jeder von uns profitiert.
Er gibt uns Raum für unsre
                                        Truppenbasen
Wir transportieren Öl durch seinen Staat.
Wir unterstützen seine Machtekstasen
und seinen Machterhaltungsapparat. Er geht für unsre Freundschaft über
                                              Leichen
mit Härte, Konsequenz und Übersicht. Da brauchen wir nicht schamhaft zu
                                            erbleichen.
Für Leichen gelten Menschenrechte
                                                         nicht.

Wir toasten, wenn wir auf Banketten
                                                  dinnern,
auf unsre höchst erfolgreiche Allianz, doch bei der Suppe geh’ ich schon im
                                                         Innern
zu ihm auf eine kritische Distanz. Natürlich darf der Mann nichts davon
                                                     merken.
Wir müssen ihm, solange er uns nützt,
was er auch anstellt, seinen Rücken
                                                      stärken,
damit er möglichst fest im Sattel sitzt.

Solange er im Gleichklang mit uns
                                                quasselt,
begrüßen wir ihn mit dem Bruderkuß.
Sobald das aber das Geschäft
                                              vermasselt,
ist damit Schluß.

Wenn Bürger, die den Autokraten hassen,
ihn stürzen, werden wir ihn über Nacht
aus edelsten Motiven fallen lassen
und sagen, daß das Volk das richtig
                                                    macht.

Dann müssen wir den Bürgern
                                              gratulieren,
damit die Welt im Siegesrausch vergißt,
daß der Gestürzte einst beim
                                          Massakrieren
ein guter Freund von uns gewesen ist.
Nun komme man mir nicht mit dem
                                                  Gegreine
von wegen einer doppelten Moral.
Ich habe nicht mal eine
in meinem Arsenal.
Günter Krone


Zuschriften an die Lokalpresse
Wie der Berliner Kurier mitteilt, konnte man erstmalig einen Spürhund dazu abrichten, im Bett Wanzen zu erschnüffeln. Ich finde, das ist ein großer hygienischer Fortschritt. Nun meine Frage: Ist der Hund auch dazu in der Lage, nicht dem Tierreich zugeordnetes Ungeziefer zu erkennen? Zum Beispiel Wanzen unter Telefonen, in Computern oder in Lampenschalen? Wenn ja, könnten die Hundeausbilder gewiß nicht nur auf Förderung durch die Gesundheitsbehörden, sondern auch auf Unterstützung durch den Verfassungsschutz hoffen! – Kriemhild Huschke (43), Privatdetektivin, 78724 Lauscha.
*
Halleluja! In den USA ist ein zeitgemäßer Weg gefunden worden, reuige Sünder schneller und unbürokratischer von ihren Sünden zu reinigen und auf den rechten Weg zurückzuführen. Das Projekt »Confession« ermöglicht es Katholiken, ihre Verfehlungen auf dem iPhone anzukreuzen und elektronische Vergebungen zu erlangen. Das hat gleich zwei Vorteile: Die Gläubigen müssen ihr schlechtes Gewissen nicht bis zum nächsten Kirchgang mit sich herumtragen, und die Kirche kann ihr Personal effektiver einsetzen, zum Beispiel bei der Feldbetreuung. Der Vatikan hält sich zur Zeit zwar noch bedeckt, will sich aber, wie aus unterrichteten klerikalen Kreisen verlautet, dazu äußern, sobald alle designierten geistlichen Würdenträger unter die Haube gekommen sind. Vielleicht läßt sich das Verfahren auch auf zivile Verkehrsdelikte übertragen? – Lilofee Linkerhand (63), Haushaltshilfe, 07639 Bad Klosterlausnitz.
*
Eine unauffällige Sonntagsnachricht im Tagesspiegel hat mich beeindruckt. Die Zeitung berichtet von der Absicht des Verteidigungsministeriums, die »Attraktivität des Dienstes« noch zu steigern und auch »in Deutschland lebende Ausländer« in die Streitkräfte einzugliedern. Damit wird nochmals die wichtigste Voraussetzung für die Einstellung von Soldaten bekräftigt, nämlich die, daß sie sich zumindest zum Zeitpunkt des Dienstantritts noch am Leben befinden müssen. Der Berliner Kurier hebt hervor, daß der Verteidigungsminister die Bundeswehr bunter und kinderfreundlicher gestalten möchte. Das kann ich nur begrüßen. Doch worin könnten die wesentlichen Inhalte der Kinderfreundlichkeit bestehen? Sicher werden dazu noch Ausführungsbestimmungen und konkrete Befehle erlassen. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, daß unsere Bürger in Uniform bei der Bekämpfung feindlicher Weichziele noch konsequenter darauf achten werden, Kollateralschäden bei Kindern zu vermeiden. Auch die »Ferienbetreuung« der eigenen Minderjährigen – da denke ich an Gehorsam, an die Ertüchtigung im unwegsamen Gelände, an die Unterweisung an leichten Waffen, an die Erste und Zweite Hilfe sowie an stilistische Übungen für die Erarbeitung von Musterbriefen an die Lieben in der Heimat – dürfte dazu beitragen, die Armee noch attraktiver zu machen. Aus der eigenen Familie weiß ich, daß meine Tochter ihrem Mann in der Bundeswehr gern Geleitschutz geben würde, wenn die Betreuung der Kinder gesichert wäre. Durch die Ferienbetreuung sowie durch ebenfalls vorgesehene Bundeswehr-Kindergärten wird das möglich sein, und ich als Großmutter kann mich endlich einmal den eigenen Interessen widmen. – Olivia Schütze (67), Offizierswitwe, 61273 Wehrheim.
*
Jeder junge Mensch macht mal was falsch, da muß man doch verzeihen können. Das habe ich auch der Bild gesagt, und als sie die Leser befragte, habe ich gleich zehnmal angerufen. 87 Prozent standen zu unserem Frei- und Feldherrn. Trotzdem wurde er zum Rücktritt gezwungen – bloß wegen eines Fehlers in seiner Doktorarbeit. Darf man deswegen einen solchen Menschen in den Dreck ziehen? Das ist doch etwas völlig anderes als gemeiner Diebstahl wie bei den Verkäuferinnen, die Brötchen oder Flaschenpfand geklaut haben. Da sagte meine Muttel immer, Gott hab sie selig: »Wehret den Anfängen!« – Gretchen Dünnebier (64), Rentnerin, 08355 Ehrenzipfel
Wolfgang Helfritsch


Quak
Der Witz ist uralt. Ein Medizinprofessor im überfüllten Hörsaal, vor sich auf dem Pult einen Frosch, sagt: »Meine Damen und Herren, die Bewegungen dieses Frosches werden durch einen kleinen Nerv im Gehirn gesteuert, etwa so klein wie eine Stecknadelspitze. Wenn ich dieses winzige Stück entferne, kann der Frosch keine, nicht die geringste Bewegung mehr machen. Sehen Sie –: so.« Er schneidet aus dem Kopf des Frosches dieses Fitzchen heraus und hält es mit einer Pinzette dem Hörsaal entgegen. Dann tippt er den Frosch an. der in großen Sprüngen davonhüpft. Die Studenten brüllen vor Lachen. Als sie sich beruhigt haben, sagt der Professor: »Das Experiment zeigt, mit wie wenig Gehirn man die Menschen zum Lachen bringen kann.« Der Witz kam mir in Erinnerung, als ich jüngst bei www.sueddeutsche.de Aussprüche von Donald Rumsfeld, dem ehemaligen Verteidigungsminister der USA, las. Beispiel: »Wir wissen mit Sicherheit, daß Osama bin Laden entweder in Afghanistan ist oder in einem anderen Land oder tot.«
Günter Krone


Mein bedrückter Freund

Theo, ein guter, zuverlässiger, hilfsbereiter Freund, ein heiterer Optimist, der Pferde nicht besonders mag, so daß man mit ihm keine Pferde stehlen kann, aber was sollten wir auch mit Pferden anstellen in einer fast roßfreien Metropole! Ganz plötzlich ist Theos hohe Stirn düster umwölkt. Und er rasiert sich nur noch selten, weil er dabei sein melancholisiertes Antlitz im Spiegel betrachten müßte und davon überzeugt ist, daß er sich »nicht mehr sehen kann und will«. Ich rief ihn an, um ihn mit einem Text aus der Sammlung »Die schnellsten Geschichten der Welt« zu erfreuen. Der stammt von Jim Crace, hat keinen Titel und lautet: »Siehst du diesen Schatten? Deiner ist es nicht.«

Nach einer Pause von ungefähr fünf Minuten kam Ilse ans Telefon, Theos Frau. Sie erklärte: »Er versteht nicht, warum du ihm sowas vorliest. Er glaubt, daß er gar keinen Schatten mehr hat. Er leidet unter einer schweren Depression. Die meisten Menschen haben im Laufe ihres Lebens wenigstens einmal eine depressive Phase durchgemacht.« Ilse ist Psychologin und weiß fast alles über andere Menschen. Ich weiß, daß man sich nicht mit Psychologinnen oder auf diese einlassen darf. Ilse fuhr fort. Das heißt, sie fuhr nicht fort, sondern blieb bei Theo und belehrte mich weiter: »Theo ist am Boden. Er möchte nicht mal mehr Forelle nach Müllerin Art essen, weil er sich einredet, das Rezept stamme von dem Violinisten und Schauspieler Müller-Stahl, und den Herrn Müller von der Sparkasse konnte er noch nie leiden, weil der nie pünktlich die Kasse aufmacht und so weiter ... Er will mit Geldinstituten nichts mehr zu tun haben, seit er den Brief von der Commerzbank gekriegt hat. Das einzige, was ihm vielleicht helfen kann, ist absolute Ruhe.«

»Dann geh ein bißchen spazieren, Ilse«, sagte ich, »dreh den Fernseher aus und laß die Wohnungstür nur angelehnt. Ich werde gleich dort sein und Theo wiederbeleben.« Sie weinte ein bißchen und legte den Hörer auf.
Ich machte mich rasch auf den Weg. Ich bin kein Mediziner und auch kein psychiatrisch zugelassener Psychologe. Ich arbeite nicht mit Befragungen und Erpressung von Auskünften. Ich nahm weder Portwein mit noch einen siebzigprozentigen in hundertjährigen Fässern aus echtem Weihnachtsbaumholz gelagerten Ole Scotch Man River Pitchpotch, sondern nur Hausmittel wie Gutslebertran und Finnenkräuter in Polarfeuerbrand-Öl und dergleichen.
Hier Theos Anamnese in Stichworten: Der gute Mann hatte völlig überraschend und ohne jede Vorankündigung einen Brief der Commerzbank in 60311 Frankfurt am Main als »Privat- und Geschäftskunde« erhalten, der ihm »im Klartext zur neuen Bank wichtige Änderungen der Sonderbedingungen und des Preis- und Leistungsverzeichnisses« androhte. »Sehr geehrter Herr ..., in den letzten Monaten haben wir auf dem Weg zu einer gemeinsamen Bank viel erreicht ... In jeder (unserer) Filialen erwartet Sie eine umfassende Betreuung durch unsere qualifizierten Berater und Spezialisten ... Mit freundlichen Grüßen Hans-Theo Burtscheidt, Sabine Schmittroth.«
Dem Brief ist Theos zwölfstellige »Kundennummer« beigefügt. Der Brief enthält keine weiteren Drucksachen oder Materialien.

Mein Freund Theo kannte die Commerzbank vielleicht dem Namen nach, unterhielt aber niemals ein Bankkonto dort. Er unterhielt überhaupt niemals ein Bankkonto.

Das Schreiben erreichte ihn übrigens an jenem Tage, an dem der wegen Manipulationen im Berliner Bankenskandal 2001 und dubioser Untreue (bei umstrittenen Immobilien-Geschäften) berüchtigte frühere Hyp-Vorstandschef und CDU-Politiker Klaus-Rüdiger Landowsky (mit elf weiteren Angeklagten) freigesprochen wurde.

Mit Finnenkräutern dürfte meinem Freunde Theo in dieser Stadt vorerst nicht mehr zu helfen sein.
Felix Mantel