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Titel720

Bemerkungen

Eigenwilliger Datenschutz

Eine wunderbare Idee: Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt will anlässlich der Beendigung des Krieges vor 75 Jahren ein Konzert geben. Am Ort einer der blutigsten Schlachten vor den Toren Berlins, auf den Seelower Höhen, soll die 7. Sinfonie, die »Leningrader«, von Dmitri Schostakowitsch erinnern und mahnen. Im Vorverkauf der Eintrittskarten deutete sich bereits großes Interesse an dem Ereignis an. Offenbar waren auch Begehrlichkeiten besonders schützenswerter Personen geweckt worden. Anfang März vermeldete die Lokalpresse, das Staatsorchester habe die Auflage erhalten, den Namen eines jeden Konzertbesuchers an das Bundeskriminalamt zu melden, weil für das Konzert ausschließlich personalisierte, nicht übertragbare Eintrittskarten ausgegeben würden. Zum Konzert dürften nur vorher vom BKA überprüfte Personen. Zum Zweck der Überprüfung seien Name, Geburtsdatum und -ort sowie Anschrift an das Staatsorchester zu übermitteln. Die Auflagen beträfen auch jene, die bereits im Vorverkauf Tickets erworben hätten. Alle Karten würden am Veranstaltungstag gegen Vorlage des Personalausweises oder Passes in personalisierte Karten umgetauscht. Wie bitte? Das BKA überprüft Konzertbesucher und beauflagt mit der Beschaffung der Daten das Staatsorchester?

 

Gemäß der geltenden Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) darf ich als Bürger auf einem öffentlichen Spielplatz kein lachendes Kindergesicht ohne Einwilligung der Eltern fotografieren. Fast jede Tätigkeit unterliegt dem strengen Datenschutz. Für ein Konzert wird staatlich verlangt, Grunddaten der Person an ein Staatsorchester zu übermitteln, das, wer weiß woher, plötzlich lauter datenschutzkompetente Mitarbeiter hat und beschäftigen kann. Wie erheblich muss die Furcht von besonders zu schützenden Personen vor Konzertbesuchern sein, wenn solche Datenmengen gesammelt werden müssen. Von Interesse wäre, wie Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragte diesen Vorgang beurteilen.

 

Bedauerlich ist, dass die gute Idee zu einer Farce verkommen ist. Im schwer belasteten »Unrechtsstaat« DDR wäre so etwas wahrscheinlich eine »Protokollveranstaltung« für eingeladene Gäste geworden, und möglicherweise hätte es ein normales Konzert für Interessierte gegeben. Im Rechtsstaat entscheidet das Bundeskriminalamt über den Konzertbesuch. Die Corona-Pandemie wird’s richten. Das Konzert soll am 15. Mai stattfinden.                      

Gerhard Hoffmann

 

 

 

Freundschaft?

In Wien finden im Herbst Gemeinderatswahlen statt. Zurzeit regiert eine Koalition aus SPÖ und Grünen. Stärkste Oppositionspartei ist die reaktionär-nationalistische FPÖ, die allerdings durch die Ibiza-Causa von Heinz-Christian Strache (er ist nicht mehr FPÖ-Mitglied) stark geschwächt ist, denn Strache war über lange Jahre die wichtigste politische Figur in der Wiener Partei und konnte bei der letzten Gemeinderatswahl große Teile der Stimmen der abhängig Beschäftigten für die FPÖ gewinnen. Zusammen mit drei ehemaligen Wiener FPÖ-Gemeinderäten will Strache im Herbst bei der Gemeinderatswahl als Die Allianz für Österreich (DAÖ) antreten und, so seine Aussage, »Bürgermeister werden«. Damit dürfte dem Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig trotz des rasanten Niedergangs der österreichischen Sozialdemokratie sein Amt weiter sicher sein und die SPÖ in Wien wieder stärkste Partei werden.

 

Dass kurz vor dem Internationalen Frauentag die SPÖ, sie hat schon lange von der Bezeichnung »sozialistische« auf »sozialdemokratische« im Parteinamen gewechselt, ihre letzten gesellschaftsverändernden Programmpunkte zu Grabe getragen hat, beweist der Umgang mit Mireille Ngosso. Sie flüchtete mit ihrer Familie im Alter von vier Jahren aus der Demokratischen Republik Kongo nach Wien und ist seit dem Jahre 2010 für die SPÖ politisch tätig. Im Abendgymnasium holte sie die Matura (Abitur) nach, studierte Humanmedizin an der Uni Wien, erlangte den Bachelor of Science an der Kingston University in London und absolviert zurzeit die Facharztausbildung zur Allgemeinchirurgin am Krankenhaus Hitzing (Bezirk in Wien). Seit 2018 ist sie auch stellvertretende Bezirksvorsteherin für den 1. Wiener Gemeindebezirk. In ihrer Amtszeit hat sie unter anderem für die Neupflanzung von 200 Bäumen gesorgt.

 

Der erste Wiener Gemeindebezirk ist einer der wenigen Wiener Bezirke, die von der »christlichen« Kurz-ÖVP regiert werden. Bei der vor wenigen Tagen stattgefundenen SPÖ-Bezirkskonferenz für den 1. Wiener Gemeindebezirk kandidierte Mireille Ngosso für die Aufstellung als Spitzenkandidatin für das Amt der Bezirksvorsteherin. Fünfundfünfzig Prozent der Delegierten lehnten ihre Kandidatur ab.

 

Nach dieser Entscheidung war man in einigen Kreisen der SPÖ »entsetzt«. Dabei findet hier jene »Annäherung« an die ausländerfeindliche Politik statt, die der nationalistischen FPÖ bei der letzten Wahl in Wien 34 Mandate bescherte. Die Wiener Sozialdemokratie war damals mit 44 Mandaten noch stärkste Kraft, musste aber mit den Grünen eine Koalition eingehen.

 

Zu den Gründen der Delegierten meinte Mireille Ngosso gegenüber der Wiener Zeitung: »Ich kann es Ihnen ehrlich gesagt nicht sagen.« Und weiter: »Ich kann mir vorstellen, dass es sicherlich ein paar Befindlichkeiten gibt.« Durch ihr Leben als »schwarze Frau« ziehe es sich wie ein roter Faden: »Man will Zugehörigkeit und erreicht es nicht immer.«

 

Es waren rassistische Motive, die zum Scheitern ihrer Kandidatur für die SPÖ im Bezirk und somit als Herausforderin von Markus Figl (Kurz-ÖVP) als Bezirksvorsteher in der Innenstadt mitspielten. Ngosso: »Die SPÖ repräsentiert die Gesellschaft, da gibt es solche und solche.« Es verwundert allerdings, dass sie trotz dieses diskriminierenden Wahlergebnisses verkündet: »Die SPÖ bleibt meine politische Heimat.« So will sie weiterhin für diese Partei für den Wiener Gemeinderat kandidieren – allerdings mit wenig Chancen auf den Einzug in das Wiener Rathaus.

 

Wie scheinheilig ist da der noch immer in der österreichischen Sozialdemokratie genutzte Gruß »Freundschaft«!

Dieter Braeg

 

 

 

Der Poet Handke

Als er den Nobelpreis 2019 erhielt, war wieder mal die Zeit gekommen, über ihn zu richten: den üblen Verteidiger von Milošević, den Leugner jugoslawischer, sprich: serbischer Gräuel, den leisen Mann, der nicht in den Chor der lauten Kriegstreiber von NATO und Bundeswehr einstimmen mochte.

 

Dass der österreichische Theaterautor, Romancier und Essayist auch ein Lyriker von Rang ist, wird bei solcher Gelegenheit gleich ganz vergessen. Dabei erschienen seine Gedichte im Suhrkamp Verlag. Die Reihe »Poesiealbum«, seit 1967 existent und ab Herbst 2007 neu im Märkischen Verlag ediert, nahm sich seiner nun an. Hans-Dieter Schütt wählte drei Dutzend Texte aus, der Verlag versah das hochformatige Heft mit einer doppelseitigen Innengrafik und einer Titel-Feder des Dichters sowie einer roten Banderole »Nobelpreis 2019«.

 

Handkes Texte sind zum Teil mehrseitige Anweisungen und Stilübungen, die dann auch »Ratschläge für einen Amoklauf« oder »Zugauskunft« heißen oder »Satzbiografie« untertitelt sind. Neben kurzen Mehrzeilern finden sich am Fuß der Seiten Aphorismen: »Ich werde mich entschlossen verirren.« Damit die Langgedichte gut zur Geltung kommen, gibt es auch mal eine gefaltete Seite zum Aufblättern. Einer der Texte hebt immer wieder an: »Was ich nicht bin«, und wie in einem Rondo schließen die Strophen des Wortspieltextes »Vor der Baumschattenwand nachts« jeweils mit der kursiven Beschwörung »Fast ein Gedicht«.

 

Man muss sich von der Sprache gern verblüffen lassen, man muss Grund und Gründe in ihr finden können, man muss Wörter als schön und rätselhaft erkennen wollen, um diese Lyrik zu mögen. Und man muss neben kräftig lobenden Stimmen von Handkes Kolleginnen (Elfriede Jelinek, Albert Ostermaier, Wim Wenders, Eva Menasse) sich nicht daran stören, dass in der hier abgedruckten kurzen Bio-Bibliographie mindestens fünf Zeilen Partei ergreifen für Handkes Haltung zur Jugoslawien-Frage.        

Matthias Biskupek

 

»Poesiealbum 352 Peter Handke«, Auswahl Hans-Dieter Schütt, Grafik von Peter Handke, Märkischer Verlag, 34 Seiten, 5 €

 

 

 

Schockierende Todesraten

In Spanien hatte man gehofft, dass die Mitte März verhängte Ausgangssperre »Alarm« im Kampf gegen das Coronavirus bald wirken würde. Das ist nicht der Fall. Die Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens blenden ein: »QUÉDATE EN CASA« – bleib zuhause. Spanien ist nach China und Italien das Land mit den meisten Todesfällen – 6528 bis zum 29. März, bei landesweit 78.797 infizierten Personen, darunter mehr als 4000 Ärzte und Pflegekräfte. In Madrid stirbt an den Folgen von Covid-19 alle sechs Minuten eine Person. Wegen der dramatischen Lage in der Stadt ist die Eissporthalle »Palacio de Hielo« zum Leichenhaus umfunktioniert worden. Die Messehallen der »Feria de Madrid IFEMA« beherbergen ein Lazarett mit 5500 Betten. Um den Notstand an Krankenhausbetten zu beheben, hat die Stadt sieben Hotels beschlagnahmt und in Spitäler umgewandelt.

 

Die spanische Tageszeitung El País schrieb: »Die Epidemie zeigt die Stärken, aber auch die Schwächen unseres Gesundheitssystems dieser Tage.« Ausgelöst durch die Finanzkrise, verstärkt durch eine neoliberale Sparpolitik, hat auch Spanien seine Staatsausgaben massiv reduziert. Der Druck der von der EU verordneten Austeritätspolitik tat ein Übriges. Allein das Budget des Gesundheitswesens wurde um rund 15 Milliarden Euro in diesen Jahren verringert, 10.000 Ärzte verloren ihre Arbeit, die Stellen pensionierter Mediziner wurden nicht neu besetzt. Bei einer Bevölkerung von 47 Millionen Menschen verfügt das Land nur über 4600 Intensivbetten. Von den 80 Spitälern in und um Madrid sind heute nur noch 30 staatlich. Jetzt wurden die Privatkrankenhäuser der Stadt Madrid unterstellt. Da die Policen der privat Krankenversicherten keine Leistungen bei Pandemien vorsehen, nehmen nun die vom Coronavirus Infizierten das staatliche Krankenhaussystem in Anspruch.

 

Die Behörden haben am Anfang das Risiko des Virus unterschätzt. Zu Beginn wurden wenige Tests durchgeführt, die Daten gaben keinen Grund zur Beunruhigung. Das hat sich geändert.

 

In Spanien – ähnlich wie in Italien –gibt es einen kulturellen Faktor, der für die hohe Infektionszahl verantwortlich sein dürfte: der enge Kontakt junger Leute zu Eltern und Großeltern. Es sind heute 60 Prozent der 24- bis 29-Jährigen, die noch bei ihren Eltern leben. Bei den 30- bis 34-Jährigen liegt der Anteil um die 30 Prozent. Die jungen Leute stecken sich schneller an, weil sie mehr Sozialkontakte haben. Zuhause kann das Virus auf die Älteren überspringen.

 

Mit großem Abstand führt die Altersgruppe ab 70 Jahren die Statistik der Coronakranken an. Krankenpfleger berichteten, dass Patienten, die älter als 75 Jahre sind, nicht mehr auf die Intensivstation kämen, die Ärzte müssten diejenigen bevorzugen, die große Überlebenschancen haben. Gefahrenorte der Pandemie sind aber auch die schlecht ausgestatteten Altersheime. Es wurden Fälle von noch rüstigen Alten bekannt, die das Heim auf eigene Faust verlassen haben, um zu Verwandten zu kommen.

 

Unterdessen hat die katholische Kirche für das Beisetzen von Urnen und Särgen ein Schnellverfahren genehmigt. Der Priester besprengt den langsam zur Grabstätte fahrenden Leichenwagen mit Weihwasser und spricht ein Gebet. Zur Beisetzung sind nur die engsten Angehörigen zugelassen, haben aber bei der Zeremonie den vorgeschriebenen Abstand zu wahren.

 

Um eine weitere Ausbreitung der Pandemie zu verhindern, sind seit dem 30. März in Spanien alle nicht lebenswichtigen Firmen geschlossen. Die große Mehrzahl der Arbeiternehmer muss nun zu Hause bleiben.          

Karl-H. Walloch

 

 

Zuschrift an die Lokalpresse

Bei Informationen über Bauplanungen, Menschenbewegungen, technische Anforderungen, Entwicklungstendenzen, Geburtenraten, Störfaktoren oder Kostenberechnungen aller Art stößt man immer wieder auf Formulierungen, die einem die Unwägbarkeiten von Vorhaben ebenso vor Augen führen wie die Unfähigkeit angeblicher Fachleute. Da ist ständig die Rede von »höher als kalkuliert«, »mehr als berechnet«, »stärker als angenommen«, »intensiver als befürchtet«, »weniger als erhofft«, »mehr als vermutet« oder »später als erwartet«. Und dann folgt die Begründung der Verdrei- oder Verzehnfachung der berechneten finanziellen Aufwendungen. Das Beispiel des BER ist dabei schon so ausgeleiert, dass es in Kabarettbeiträgen nur noch ein gequältes Gähnen hervorruft. Auf jeden Fall aber hat der BER Maßstäbe gesetzt beziehungsweise verändert, Bauverzögerungen unter zehn Jahren werden inzwischen als Erfolg gefeiert. So schrieb die Morgenpost vor einiger Zeit über die Verlängerung der Berliner U-Bahnlinie 5: »Mit einer Verspätung von nur einem Jahr kann das Großprojekt für Berliner Verhältnisse als geradezu vorbildhaft gelten. Offen ist indes, ob der zwischenzeitlich um 92 Millionen auf 525 Millionen Euro erhöhte Kostenrahmen eingehalten werden kann.« Glückwunsch zu diesem flotten U-Bahn-Schnäppchen mit 2,2 Kilometern Länge! – Walhalla Vermutlich (62), Pensionärin, 09477 Schmalzgrube

Wolfgang Helfritsch