Verdorbene Spiele
Der Herr muß es wissen. »Die Waffen- und Spielzeugindustrie hat in Deutschland eine starke Lobby«, sagt der Berliner Polizeipräsident Glietsch. Mit starkem Medienecho. Unwidersprochen.
Was, so müssen sich die wenigen noch Wachsamen fragen, haben Waffen- und Spielzeugindustrie gemeinsam? Sie produzieren Messer. Und die möchte Glietschs Vorgesetzter, Innensenator Körting, verbannen – von allen Straßen und Plätzen, aus allen Parks, möglichst auch aus den Schulen. Das bedeutet, man müßte den Jugendlichen tief in die Hosen-, Jacken-, Schultaschen langen. Da sieht der Polizeipräsident schwarz. Er hat die unüberwindbare Mauer der Waffen- und Spielzeugindustrie im Blick. Die läßt doch die unbewaffneten Jugendlichen in Deutschland nicht ins offene Messer der ausländischen Waffen- und Spielzeugindustrie laufen. Deutsche Messermacher sind keine Spielverderber.
Einen Polizeipräsidenten, der so denkt, sollte Berlin an die Waffen- und Spielzeugindustrie abtreten. Dann muß er nicht mehr vor einer Lobby kapitulieren. So könnte sich mal einer ehrlich machen. Bernd Heimberger
Gewalt
Gewalt im Fernsehen,
Gewalt in der Schule,
Gewalt auf der Straße.
Die Gesetze werden verschärft,
die Ursachen verdrängt,
die gesellschaftlichen Widersprüche
verschärfen sich. Wolfgang Bittner
Neiddebatte
Ob die Arbeitnehmer überhaupt wüßten,
was der Unterhalt
eines Swimmingpools,
einer Segeljacht oder
eines Sportflugzeugs kostet,
fragt der Manager. Wolfgang Bittner
Umweltpolitiker
Wo Beute lockt,
da stehn sie Schmiere
und melden brav:
Die Luft ist rein. Hartmut Barth-Engelbart
Antwort an Roland Koch
Vor dem Jahreswechsel hat mir der hessische Ministerpräsident einen Brief geschrieben. Ungefragt und ganz überraschend, denn ich kenne ihn nicht und möchte ihn, offen gesagt, gar nicht kennen lernen. »Sehr geehrter Herr Diederich«, schrieb er, »bitte erlauben Sie, daß ich mich (…) mit einer politischen Bitte an Sie wende.«
Wozu die Bitte um Erlaubnis, wenn er schon derart mit der Tür ins Haus gefallen beziehungsweise mit seinem Brief in meinem Kasten gelandet ist?
Die andere, die »politische Bitte« aber werde ich ihm vermutlich abschlagen müssen – allein schon deshalb, weil er meint, über meine Erfahrungen Bescheid zu wissen und sie in die Welt hinaus posaunen zu können. Denn sein Brief an mich ist nicht nur an mich gegangen, sondern auch an alle anderen Hessen. Da schreibt er: »Sie wissen aus Ihrer eigenen Erfahrung, wie glücklich wir Hessen sein können, daß Linke und Kommunisten unser Bundesland nicht beschädigen konnten.«
Woher will der Ministerpräsident wissen, daß ich das weiß?
Ich weiß vielmehr, daß er selber und seine Partei unserem Bundesland Schaden zugefügt haben und das auch in Zukunft tun wollen, wenn man sie läßt. In seinem Brief kündigt er es offen an: »Ausbau des Frankfurter Flughafens« (das heißt Rodung von Wald im Naherholungsgebiet, weitere Lärmbelastung und Schädigung der Gesundheit vieler Menschen im Ballungsraum Rhein-Main), »wichtige Autobahnbauten« (das heißt weiteres Zubetonieren der Landschaft statt Förderung von Massenverkehrsmitteln oder anderer Alternativen zum privat gefahrenen Wagen), »ein gut gegliedertes Schulwesen mit Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien« (das heißt Beharren auf der Drei-Klassen-Schule mit ihrer sozialen Auslese und Ungerechtigkeit und ihren mageren Ergebnissen im internationalen Vergleich, wie es die Pisa-Studien gezeigt haben.
Es versteht sich, daß der hessische Ministerpräsident jeden Gedanken an ein anderes Schulsystem als »Gleichmacherei« bezeichnet, die zur »Zwangs-Einheitsschule« führe – wie in der DDR, sollen die Adressaten seines Briefes denken. Zumal die »Kommunisten von der Linkspartei« (Originalton Roland Koch) bei den Wahlen Ende Januar an die Tür des Landtags klopfen. Ein Gespenst geht um in Hessen…
Was hat es aber mit der »politischen Bitte« auf sich, die der Ministerpräsident an mich richten will? Er schreibt: »Meine herzliche Bitte lautet nun: Gehen Sie zur Wahl!« Wenn es weiter nichts ist, das werde ich gerne tun. Denn in einem hat er zweifellos Recht: »Rot und Grün werden nur dann eine Mehrheit bekommen, wenn auch die Kommunisten der Linkspartei in den Landtag kommen.« Reiner Diederich
Nachhaltigkeit gewünscht
Vor ein paar Wochen noch fühlte sich die Industriegewerkschaft Metall erfolgreich: Es war ihr gelungen, beim Autokonzern BMW einen Vertrag abzuschließen, der für Leiharbeiter die gleiche Entlohnung vorsieht wie für die Stammbelegschaft. Das Erfolgsgefühl war kurzlebig. Denn inzwischen wurde bekannt, daß BMW 8.000 Arbeitsplätze abbauen will; betroffen sind zumeist Leiharbeiter. Das Unternehmen begründete diese Absicht mit einer »strategischen Neuausrichtung auf Nachhaltigkeit«, und es meinte damit Nachhaltigkeit bei der »Profitabilitätssteigerung«. Die IG Metall zeigte sich nach Presseberichten »überrascht«. Vermutlich wird sie bald alle Hände voll zu tun haben, Entlassungen auch bei BMW-Stammarbeitnehmern abzuwehren
Wenn eine Gewerkschaft auf Kapitalisten hofft, die bei der Gewinnmaximierung abstinent sind, wird sie noch manche Enttäuschung erleben. M.W.
Clement vor dem Absprung?
Eine Musterkarriere: Chefredakteur einer parteinahen Hamburger Tageszeitung, Pressesprecher und stellvertretender Bundesgeschäftsführer der Partei, Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, Minister, dann Ministerpräsident, schließlich »Superminister« in Gerhard Schröders Bundeskabinett, stets hochgelobt als »Spitzentalent«.
Die besagte Zeitung ging der Partei verloren, die Partei verlor die von diesem Mann betreute Wahl, in Nordrhein-Westfalen brach unter seiner Regie die sozialdemokratische Vormachtstellung weg, und als Bundesminister trug er viel zum Vertrauensverlust der SPD bei.
Nun hat Wolfgang Clement seiner Partei gedroht: Er werde sie verlassen, wenn sie »weiter nach links« schwenke; für »Lafontaine-rote Politik« sei er nicht zu haben. Anders offenbar als zu den Zeiten, als Lafontaine noch SPD-Vorsitzender war und auch Clement von ihm Förderung beim Aufstieg erhoffen durfte …
In seinem politischen Ruhestand ist Clement auf die Partei nicht mehr angewiesen. Er ist komfortabel beschäftigt mit Sitzen in Aufsichtsräten (Energie-, Medienwirtschaft u.a.) und unternehmerischen Stabsstellen.
Einer SPD, die sich wahlwerbend plötzlich wieder als »soziales Gewissen der Nation« darstellen möchte, käme Clements Austritt wohl eher entgegen. Wie kein anderer hat er die Hartz-Geschädigten mit arroganten Sprüchen malträtiert. Marja Winken
Kirchliche Theorie und Praxis
Ein Hauptthema in den Predigten der katholischen und evangelischen Bischöfe Ende 2007 war die wachsende Kluft zwischen Reich und Arm in der Bundesrepublik Deutschland. Selten zuvor hatten sie so ausführlich und so eindringlich über soziale Verantwortung und Gerechtigkeit gesprochen. Sie stellten »total überhöhte Managergehälter und astronomische Abfindungen« an den Pranger und nannten es schockierend, wenn Großbetriebe trotz beträchtlicher Gewinne Mitarbeiter entlassen, um noch mehr Geld zu machen; sie beklagten das Schicksal der Arbeitslosen, der Sozialhilfe- und Hartz-IV-Empfänger, der Rentner; sie befaßten sich mit wachsender Kinderarmut in Deutschland und der Tatsache, daß es für Kinder aus den sozial schwachen Familien keine Chancengleichheit gebe. Wer wollte ihnen widersprechen?
Aber da gibt es etwas, das im Gegensatz zu den ausgesprochenen Wahrheiten steht und irgendwie an Heuchelei erinnert. Denn auch die Kirche bietet nicht die verbal eingeforderte Chancengleichheit. Auch sie stellt gelegentlich die angebliche ökonomische Notwendigkeit über die christlichen Werte. Zum Beispiel erheben in Baden-Württemberg die konfessionellen Fachhochschulen seit letztem Jahr Semestergebühren, die gerade Kinder aus den minderbemittelten Familien vom Studium fernhalten. Denn welch angehender Religionspädagoge oder Sozialarbeiter, der kaum oder keine Unterstützung von zu Hause erhält, kann sich die zusätzlich zu den sonstigen Unkosten leisten? Und gerade sie wären außerdem später von der Last hochverzinslicher Studienkredite betroffen.
So bleiben dann viele, die aus eigener Erfahrung die Armut kennen und die Schuldigen bei Namen nennen könnten, draußen vor der Tür. Denn bevor sie (zum Beispiel an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg) ihr Studium aufnahmen können, müssen sie einen Vertrag unterschreiben, in dem die Zahlung der Gebühren festgelegt ist. Sonst werden sie nicht immatrikuliert. So sorgen also selbst hier die finanziellen Möglichkeiten dafür, daß die Wohlbetuchten weitgehend unter sich bleiben, die an den hohen christlichen Feiertagen so tröstende und mitfühlende Worte für die Armen und Benachteiligten unserer Gesellschaft finden. Werner René Schwab
Wer seift wen ein?
Als ich mir in der Toilette eines Pekinger Mittelklasse-Restaurants die Hände waschen will, eilt der Toilettenwärter herbei und öffnet den Wasserhahn. Dann prüft er, ob das Wasser auch die richtige Temperatur hat. Bevor ich noch reagieren kann, bekomme ich flüssige Seife auf die Hände, dann rennt er zum Papierspender und holt mir Papier, damit ich mir die Hände abtrocknen kann. Immerhin, das muß ich noch selber machen.
Zur Zeit gibt es in Peking eine Diskussion, über die mir folgendes berichtet wurde: Ein Bauer bringt seine schwangere und kranke Frau ins Krankenhaus. Das Krankenhaus befindet, die Frau sei sehr krank und müsse operiert werden. Der Bauer verweigert aber seine Unterschrift. Das Krankenhaus hat Angst, die Frau ohne Erlaubnis zu operieren, ihren Tod zu riskieren und dann einen Schadenersatzprozeß. Es wendet sich an das Ministerium und erhält dort Rückenstärkung: Ohne Einwilligung des Mannes keine Operation.
Als ich die Geschichte zuerst hörte, war ich über den Bauern wie über das Krankenhaus empört, über den herzlosen Bauern vielleicht mehr als über das feige Krankenhaus. Nun ist es aber seit den Reformen so, daß auch die Krankenhäuser verdienen wollen und müssen. Je kränker der Patient, desto besser für sie. So haben nicht wenige Patienten die Befürchtung, im Krankenhaus kränker (gemacht) zu werden, als sie wirklich sind, und vor allem finanziell auszubluten. Der Bauer soll seine Frau geliebt haben, wurde mir erzählt. Offenbar war sein Mißtrauen größer als der Glaube an die Ehrlichkeit der weißen Kittel. In einer Atmosphäre des Bereichert-Euch weiß man nicht mehr, wer Freund und Feind ist, wem man (noch) glauben kann und wem nicht. Und auch hier in China gilt jetzt: Wenn du arm bist, mußt du früher sterben!)
Der Bauer konnte nicht wissen, wie krank seine Frau ist, aber das Krankenhaus und die Ärzte wußten es, sie haben aus Feigheit die Frau und das ungeborene Kind sterben lassen und sich vom Ministerium die Lizenz dazu geholt. In kapitalistischen Entwicklungsländern ist das keine ungewöhnliche Geschichte. Die Frage der Gesundheit ist eine des Geldes geworden, und auf diesem Weg sind wir schon weit vorangeschritten. Also kein Grund, gegenüber den Chinesen den Zeigefinger zu heben. Hier wird immerhin darüber diskutiert. Für eine Gesellschaft, die sich auf dem Weg in den Sozialismus sieht, ist dieser Vorfall vielleicht ein Zeichen für Korrekturbedarf.
In China gibt es den Spruch: »Du kannst einem Menschen in Not helfen, aber keinem Armen.« Wer seift hier wen ein? Wolfgang Haible
Folter in Europa
Mit einem solchen Empfangskomitee hatte Heike Schrader nicht gerechnet: Die in Griechenland lebende Journalistin wurde bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen Köln-Bonn am 10. Dezember 2007 noch auf der Gangway von Beamten des Bundeskriminalamts festgenommen und in eine Bonner Haftanstalt gebracht. Erst dort erfuhr sie den Grund ihrer Festnahme: Sie soll an der Bildung einer terroristischen Vereinigung (Paragraph 129a Strafgesetzbuch) beteiligt gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr vor, Mitte der 1990er Jahre Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein, die innerhalb der türkischen Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) bestanden habe. Die Gruppe wurde 1998 vom Bundesinnenministerium verboten. Die Beschuldigte ist über diesen Vorwurf empört. Nach eigenen Angaben war sie im angegebenen Zeitraum in einem Menschenrechtszentrum in Köln aktiv und hatte dadurch Kontakt zur DHKP-C. Der Haftbefehl stammt aus dem Jahr 2001. In den seit damals verflossenen Jahren hat sich die Journalistin einer Strafverfolgung, von der sie nichts wußte, nie entzogen, In Athen ist sie beim zuständigen Ministerium als Journalistin akkreditiert, ihre Artikel sind im Internet zu lesen, dort wäre sie nach dem 2005 erlassenen internationalen Haftbefehl jederzeit auffindbar gewesen. Sie hielt sich auch mehrmals in der Bundesrepublik auf, zuletzt 2007 als eine auf Plakaten und in Medien angekündigte Konferenzrednerin.
Die Festnahme läßt sich leichter erklären, wenn man sich vor Augen hält, zu welchem Zweck Heike Schrader diesmal in die Bundesrepublik eingereist ist: Sie wollte das von ihr übersetzte Buch »Guantanamo auf Griechisch« vorstellen. Autor des Buches ist Savvas Xiros, ein inhaftiertes Mitglied der griechischen »Revolutionären Organisation 17. November« (kurz: 17N), benannt nach der blutigen Niederschlagung von Studentenprotesten im Athener Polytechnikum gegen die damalige Miliärdiktatur. 17N war verantwortlich für Anschläge auf in- und ausländische Institutionen, Attentate auf Folterer der Militärjunta, Politiker und Industrielle sowie ausländische Geheimdienstagenten und Diplomaten.
Savvas wurde 2002 festgenommen worden, nachdem eine Bombe vorzeitig in seinen Händen explodiert war. Der Schwerverletzte wurde auf der Intensivstation an Händen und Füßen gefesselt und zunächst von der Außenwelt isoliert. Ihm wurden Psychopharmaka eingeflößt, und er wurde intensiv verhört. Der Kontakt zu einem Anwalt oder seiner Familie wurde ihm versagt. Unter dem Druck seiner schweren Verletzungen, der drogenbedingten Wahnvorstellungen und der Suggestionen seiner Vernehmer machte Savvas Angaben, die zu weiteren Verhaftungen führten. Die neu Verhafteten wurden ebenfalls isoliert und zu Aussagen gepreßt, die sie später im Prozeß zurücknahmen.
Da aber die Indizien knapp waren, stützte sich die Verurteilung wesentlich auf diese mit verbotenen Methoden erlangten Aussagen. Mehrere Angeklagte wurden zu mehrfach lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Dem schwerkranken und pflegebedürftigen Savvas wird bis heute keine Haftverschonung gewährt, obwohl ihm Erblindung droht.
Savvas hat im Gefängnis ein Buch über die medizinisch-psychologische Folter verfaßt, in dem er eindringlich die Ängste, Schmerzen und Wahnvorstellungen beschreibt, denen er ausgeliefert war. Heike Schrader hat die Schilderungen hervorragend übersetzt
Savvas Xiros hat seine 17N-Mitgliedschaft nie geleugnet. Deshalb haben Menschenrechtsorganisationen sich schwer getan, die Folterungen und die gerichtliche Verwertung der erfolterten »Erkenntnisse« anzuprangern. Zu groß war die Angst, als 17N-Sympathisanten diskreditiert zu werden.
Die Verhaftung von Heike Schrader muß in diesem Zusammenhang als Einschüchterungsversuch aufgefaßt werden. Und wohl auch als einer von vielen Anschlägen, mit denen das Folterverbot in Europa zu Fall gebracht werden soll. Marlene Bodenmann
Savvas Xiros »Guantanamo auf Griechisch – Zeitgenössische Folter im Rechtsstaat«, übersetzt von Heike Schrader, Verlag Pahl Rugenstein, 130 Seiten, 13,90 €
Jugendstil
Die der Linkspartei nahestehende Tageszeitung Neues Deutschland erscheint regelmäßig mit einer Jugendbeilage. Eigenwerbung: »Wir bieten tiefblickende Reisereportagen«, »thematische Klarheit«, »linkes Stilbewußtsein«. Unter der Überschrift »Grüße aus dem Heiligen Land« liest man über orthodoxe Juden: »Als sie nach Israel kamen, staunten sie nicht schlecht: In den Kibbuzim gab es keine Synagogen! Die sozialistischen Zionisten nahmen es nicht so genau. Was soll’s. Heute besiedeln sie fleißig das Westjordanland. Davon kann sich die Antifa ruhig was abgucken: Siedlungen entstehen aus dem Nichts (…) Israel hat die attraktivste Armee der Welt. Kerle mit fetten Sonnenbrillen und Frauen mit Dreadlocks an der Waffe – da ist Balzverhalten vorprogrammiert.« Palästinenser kommen nicht vor. Daneben Werbung für die Unabhängigkeit Kosovos – in einem als Reisereportage getarnten Propagandaartikel, der sich gleich zu Beginn mit der falschen Angabe verrät, die Stadt Prizren liege »mitten im Gebirge«. GDP
Einig im Willen zum Krieg
Am Ende des Buches steht die frappierende Erkenntnis, daß Wehrmacht und Gesellschaft im »Dritten Reich« bis Fünf nach Zwölf eine strukturelle Einheit bildeten. Der Militärgeschichtsforscher Jürgen Förster resümiert: »Die nationalsozialistische ›Volksgemeinschaft‹ hatte sich weiter entwickelt, als Hitler in seinem Testament meinte oder die deutsche Nachkriegsgesellschaft sich selber eingestehen wollte.« Dabei untertreibt der Klappentext, wenn er die Wehrmacht als eine »tragende Säule des Dritten Reiches« beschreibt. Die Essenz der Analysen Försters (viele Jahre Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr, jetzt Professor an der Universität Freiburg) ist bei all seiner moderaten Diktion in der Sache radikaler: Die Wehrmacht sei – gleichrangig mit der NSDAP und aufs Engste mit ihr verwoben – das Fundament schlechthin des »Dritten Reiches« gewesen. Als entscheidenden Katalysator für die Bildung der Einheit von Partei, Staat und Wehrmacht nennt er die Einführung der Wehrpflicht 1935, als Voraussetzung dafür das gemeinsame Interesse an einem Eroberungskrieg nach außen und einer Formierung der Gesellschaft nach innen.
Behauptungen über prinzipielle Gegensätze zwischen Generalität und »Führer« oder Wehrmacht und SS weist Förster als den Akten widersprechende Legendenbildungen nach. Nicht Hitler ließ die Wehrmacht auf seine Person vereidigen, sondern diese ergriff selber die Initiative. Nach der Blomberg- und Fritsch-Krise übernahm Hitler 1938 »mehr aus momentaner Verlegenheit heraus zusätzlich zu seinen Funktionen als Parteiführer, Regierungs- und Staatschef auch die tatsächliche Befehls- und Kommandogewalt über die Wehrmacht«. Und beim entscheidenden Weltanschauungskrieg um politischen und wirtschaftlichen »Lebensraum« im Osten war man sich einig: Die Frage nach einer verbrecherischen Kriegführung stellte sich nicht, denn jedes Mittel zur Schwächung des Bolschewismus und der ihn tragenden Menschen war legitim, insbesondere deren Dezimierung, gleichgültig ob durch klassische Kriegshandlungen, Liquidierungen hinter der Front oder planmäßiges Verhungernlassen von Kriegsgefangenen und großstädtischer Zivilbevölkerung. Wigbert Benz
Jürgen Förster: »Die Wehrmacht im NS-Staat. Eine strukturgeschichtliche Analyse«, Oldenbourg Verlag, 221 Seiten, 19,80 €
Fußnoten zu Brecht
Brecht-Forscher haben es heute nicht mehr leicht, wenn sie Neues entdecken wollen. Der ausgewiesene Brecht-Kenner Werner Hecht hat seiner großartigen Brecht-Chronik als »Ergänzungen« 2007 seine neuesten Funde hinzugefügt und hielt diese für schwergewichtig genug für ein neues Brecht-Buch. Das ist bei der Vielzahl vorhandener Brecht-Biographien sehr mutig, denn alles Wesentliche ist gesagt. Kühn zu faseln oder scharfsinnig zu interpretieren, ist weniger sein Metier, er ist Sammler und Chronist, und so ergänzt er lediglich Bekanntes mit teilweise neuen Details. Beispielsweise wie Brecht zu seinen Autos kam und um das von den Nazis weggenommene mit der Auto-Versicherung kämpfen wollte. Für verschiedene Lebensetappen findet sich einiges, wenig fürs Exil, um so mehr für die Zeit nach 1945, da es Hecht offensichtlich vor allem darum geht, das frühere Bild einer Harmonie zwischen DDR-Oberen und Brecht (»Gleichgesinnten«) zu zertrümmern.
Wenn mich nicht alles täuscht, hat es dieses Bild nur in der hohlen Propaganda (oder noch nicht einmal da) gegeben, und so können Hechts Beweise verbissener Kämpfe – um ein eigenes Haus, um Theateransichten, um Aufführungen – nicht überraschen. Andererseits bedarf es auch keiner großen Mühe, Brecht als widerständigen Zeitgeist gegen DDR-Bürokratie und »Murxisten« für den heutigen Zeitgeist zu retten und damit ein einseitiges Bild zu bedienen.
Es ist halt so wie immer mit Fußnoten: Manche belegen, erhellen und andere beweisen lediglich den Fleiß und die Akribie des Autors. Daß nun auch noch eine dumme Bemerkung Erich Mielkes über Brecht gefunden wurde, verändert kaum etwas an Brechts Rolle, bezeugt aber die Sammelwut des Chronisten. Für die »Ergänzungen« der Chronik wichtig, hat das neue Material zu wenig Eigengewicht für eine neuerliche Brecht-Biographie. Christel Berger
Werner Hecht: »Brechts Leben in schwierigen Zeiten«, Suhrkamp Verlag, 308 Seiten, 22,80 €
Mit Sympathie und Sachlichkeit
Über die »Rote Armee Fraktion« und die sogenannten 68er mag ich eigentlich nichts mehr lesen; noch mehr geschwätzige und irreführende Erinnerungspolitik in der Manier von Wolfgang Kraushaar et al. ist schwer zu ertragen. Aber es gibt Ausnahmen. Eine soll hier hervorgehoben werden: Jutta Ditfurth hat jetzt eine Biographie von Ulrike Meinhof vorgelegt, die sich durch Sympathie wie durch Sachlichkeit auszeichnet und sich von modischer Legendenbildung fernhält. Mit historischer Genauigkeit (abgesehen von einigen Fehlinformationen in Nebensachen) wird der Lebensweg einer hoch begabten und ebenso couragierten jungen Frau geschildert, der man durchaus nicht gerecht wird, wenn man sie nur als »RAF-Gründerin« in den Blick nimmt. Ulrike Meinhof wird bei Jutta Ditfurth sichtbar als frühe Aktivistin im Kampf gegen die atomare Rüstung, als engagierte SDS-Genossin und illegale Kommunistin, als konkret-Redakteurin in der produktiven Phase dieses Blattes und als hervorragende sozialkritische Funk- und Fernsehautorin. Deutlich werden auch die gesellschaftlichen und persönlichen Umstände, die damals dazu führen konnten, daß die Wahnwelt des »bewaffneten Kampfes in den Metropolen« einer so fähigen und nichtopportunistischen Gegnerin imperialistischer Gewaltpolitik als reale Chance erschien. Und am Schicksal der Angeklagten und Gefangenen Ulrike Meinhof wird in Erinnerung gebracht, auf welch verkommene Weise der westdeutsche »Rechtsstaat« die RAF zum willkommenen Anlaß nahm, Grundrechte beiseite zu schieben und entschiedene Opposition auch dann zu unterdrücken, wenn sie mit Terrorismus nichts im Sinne hatte.
Nicht behandelt wird bei Jutta Ditfurth die Frage, welche Verwerfungen in Theorie und Praxis der linken Opposition selbst damals zu Fehlentscheidungen wie der für eine »deutsche Stadtguerilla« geführt haben, auch nicht, inwieweit dabei verborgene »Dienste« der herrschenden politischen Klasse mitwirkten. Aber das ist ein Thema jenseits der Biographie von Ulrike Meinhof. Arno Klönne
Jutta Ditfurth: »Ulrike Meinhof. Die Biographie«, Ullstein Verlag, 480 Seiten, 22.90 €
Vielen ein Ärgernis
Dieses Buch ist eine Zumutung: zu viele Seiten, zu viele Stoffe, ein gewöhnungsbedürftiger Stil, der atemlos wirkt, von Wiederholungen wimmelnd. Und der Inhalt: Der ungeliebte Sohn schildert den Vater, den DDR-Oppositionsheiligen Robert Havemann, als faul, inkonsequent und gemein gegenüber der eigenen Frau und Familie und den Ziehsohn Wolf Biermann als erbärmlichen Feigling und Fiesling. Ein solches Buch ist vielen ein Ärgernis, unterschiedliche, verfeindete Gruppen fühlen sich getroffen und schreien auf.
Florian Havemann hat mehr als die Denunziation des Vaters im Sinn. Wenn er die Lebenswege des Großvaters, des Vaters und seinen eigenen schildert, geht es ihm um die Frage nach Entscheidungsmöglichkeiten des einzelnen in verschiedenen Gesellschaften und Situationen. Charaktereigenschaften wie Geltungsbedürfnis, Anpassungswilligkeit, Korrumpierbarkeit wirken auf die Entscheidungen ein. Bei Robert Havemann kommt hinzu, daß er mit seiner Vergangenheit als antifaschistischer Widerstandskämpfer zu einem neu etablierten »DDR-Adel« gehörte, der alte aristokratische Spielregeln übernahm. Von anderen, vor allem von einstigen Mitläufern des Faschismus, erwartete man so viel Respekt, daß man glaubte, sich Privilegien herauszunehmen zu können. So kam es zu Willkür.
Den Mißbrauch von Gesetzen, vor allem die Verleugnung offiziell verkündeter Gleichheitsprinzipien kritisiert der rigorose Moralist und derzeitige brandenburgische Verfassungsrichter Florian Havemann und zeigt, wie die Verletzung demokratischer Grundsätze das Ganze und den Einzelnen korrumpiert und unglaubhaft macht. Indem er aus intimer Kenntnis diese Mechanismen aufdeckt, wird er weniger zum Voyeur als zum Aufklärer und Ankläger. Christel Berger
Florian Havemann: »Havemann«, Suhrkamp Verlag, 1092 Seiten, 25 €
Press-Kohl
Kaffee, weiß der Berliner Kurier, der vielleicht von jüngeren Männern fabriziert wird, soll Frauen schlau machen, und zwar ältere Frauen: »Mindestens drei Tassen Kaffee oder sechs Tassen Tee fördern das Gedächtnis von Frau über 65. Dadurch seien sie intellektuell leistungsfähiger, so die Wissenschaftler vom Französischen Institut für Gesundheit und Medizinische Forschung. Koffein fördere auch das Sprachvermögen und das logische Denken der Frauen.«
Man beachte den feinen Unterschied zwischen Sprachvermögen und logischem Denken. Das Sprachvermögen, genauer gesagt: das quantitative Sprechvermögen, insbesondere beim Kaffeetrinken, ist den Damen bekanntlich angeboren. Das logische Denken üben manche Frauen beim Kreuzworträtsel-Raten, welches neuerdings als Denksport gilt. »Pralinen-Produktion?« – »Ähähemhum ... Konfektion!!!« Mit Auskünften dieser Güte kann man in Fernseh-Kwitz-Schauen einen Würfelbecher aus Hartpappe oder eine Reise nach Altsiebersdorf (mit Getränk) gewinnen.
»Die Forscher befragten 4200 Frauen und 2800 Männer über vier Jahre.« Bevor die Männer über vier Jahre antworteten, fragten sie erst mal die Muttis.
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Diese Meldung einer deutschen Presse-Agentur habe ich mir ausgeschnitten: »Ausgerechnet eine Toilettentür an Bord führte vor mehr als sechs Jahren zur verheerenden Flugzeugkatastrophe über dem Nordkaukasus. Ein Passagier hatte sie mit großer Wucht zugeschlagen, so daß die Erschütterung zu einer Kettenreaktion im Flugzeugheck führte, das durch undichte Toiletten-Abflüsse bereits verrostet war, schreibt die Untersuchungskommission jetzt in ihrem Abschlußbericht. Die Maschine brach in 6000 Metern Höhe auseinander ...«
In Rußland haben sich schon viele schreckliche Unglücksfälle ereignet, wie man aus alten Chroniken und Zeitungen weiß. Überfälle durch Rudel ausgehungerter Wölfe ... In Schneestürmen verschwundene Kutschen ...
Ich darf mir eine kühne Bemerkung erlauben: Das typisch Russische an der durch Toiletten-Abflüsse bewirkten Verrostung eines Flugzeug-Teils, welche schließlich zum Absturz führen mußte, ist der Umstand, daß die Untersuchungskommission sechs lange Jahre benötigte, um ihren Abschlußbericht zu vollenden. Rost wirkt vielleicht nicht ganz so tödlich wie Bürokratie.
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Vor einiger Zeit meldete dpa, das vom Coca-Cola-Konzern in Großbritannien vertriebene »Dasani«, ein sogenanntes stilles, aber tiefes Wasser, komme aus dem Leitungshahn. Während das Erfrischungswasser in der 500-Milliliter-Flasche 95 Pence (1,40 Euro) kostet, bezahlt man für die gleiche Menge durch Aufdrehen des Wasserhahns »gerade einmal 0,03 Pence«. Tja – aber ohne Flasche! Der Coca-Cola-Konzern erklärte, »Dasani« werde »in einem aufwendigen Verfahren von Bakterien, Viren, Salzen und giftigen Partikeln gereinigt«. Daraus darf man schließen, das Erfrischungswasser enthalte auch keinerlei der berüchtigten und gefürchteten Coca-Cola-Krümelchen. In diesem Falle wäre der Preis von 95 Pence pro Flasche (zuzüglich 10 Pence Pfand) moralisch gerechtfertigt.
Felix Mantel