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Friedensverrat  (Jürgen Rose)

Laut Artikel 26 des Grundgesetzes sind Handlungen zur Vorbereitung eines Angriffskriegs verfassungswidrig und müssen bestraft werden. Doch seit 1999 beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland an Angriffskriegen, und die Generalbundesanwaltschaft behauptet ernsthaft, das Führen eines Angriffskriegs sei von dem Verbot jeglicher Vorbereitungshandlung nicht erfaßt. Mit dieser intellektuellen und moralischen Zumutung befaßt sich Jürgen Rose, Oberstleutnant der Bundeswehr, in der hier beginnenden Artikelserie. Der Autor ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.

Seit dem 24. März 1999 ist hierzulande nichts mehr, wie es war. Denn seither wird Deutschland von Friedensverrätern regiert. An jenem denkwürdigen Frühjahrstag nämlich starteten erstmals wieder deutsche Kampfflugzeuge gen Jugoslawien – ganz so wie in jenen glorreichen Tagen, als Reichsmarschall Hermann (»Ich will Meier heißen«) Görings Bomber ihre todbringende Last über Belgrad abluden, getreu der altbekannten Parole »Serbien muß sterbien«. Doch diesmal waren es überschallschnelle »Tornado«-Jagdbomber, die mit ihren »Harm«-Raketen auf »Unterdrückung feindlicher Luftverteidigung«, wie es im NATO-Luftwaffenjargon heißt, spezialisiert sind. Beiläufig offenbart dieser Terminus technicus zugleich das Essentielle des Vorgangs: wer nämlich Angreifer und wer Verteidiger war. Denn ihre Luftangriffe – und nicht »Luftschläge«, wie hirnfaule Journalisten den englischen Begriff »Air Strike« euphemistisch ins Dummdeutsche zu übersetzen pflegen – flogen die deutschen Jetpiloten an der Seite ihrer NATO-Kameraden ohne jede völkerrechtliche Legitimation. Geschlagene 78 Tage lang bombten und schossen die NATO-Luftstreitkräfte im Rahmen der Operation »Allied Force« – entsprechend einer kriegsverbrecherisch zu nennenden Luftkriegsdoktrin der U. S. Air Force – vor allem die Infrastruktur Serbiens zu Schutt und Asche, ohne Rücksicht auf menschliche »Kollateralschäden«. Soweit zulässige militärische Ziele – zulässig im Sinne herkömmlicher Gebräuche des Krieges – getroffen werden sollten, war der Erfolg mager: Das sogenannte »Battle Damage Assessment« in den nach Beendigung des Bombenkriegs angefertigten Erfahrungsberichten der Militärs belegte nämlich, daß nur gut ein Dutzend Panzer und jede Menge geschickt plazierter Panzer-Attrappen getroffen wurden. Zugleich aber krepierten Hunderte Zivilisten – Männer, Frauen, Kinder – im NATO-Bomben- und Raketenhagel. Und Tausende an Körper und Seele Verletzter und Verstümmelter leiden noch heute an den Folgen des Bombenterrors. Terror? Gewiß doch, Terror, denn wenn Terrorismus gemeinhin bedeutet, unschuldige Menschen für politische Ziele zu opfern, dann erfüllt auch das Töten von Zivilisten aus dem Cockpit eines Kampfjets zweifellos den Tatbestand des Terrorismus, den des Staatsterrorismus nämlich.

Verschärfend kam im Falle des Angriffs auf die Bundesrepublik Jugoslawien, die immerhin ein völkerrechtlich anerkanntes, souveränes Mitglied der Vereinten Nationen war, hinzu, daß der einzig hierzu befugte Sicherheitsrat der Vereinten Nationen der NATO kein Mandat für die Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen erteilt hatte. Auch lag keine Aggressionshandlung der Bundesrepublik Jugoslawien gegen ein anderes Mitglied der Staatengemeinschaft vor, welche dieses berechtigt hätte, von seinem in der UN-Charta verbrieften Notwehrrecht Gebrauch zu machen. Aus völkerrechtlicher Sicht war somit der Bombenkrieg der NATO gegen Jugoslawien ein Angriffskrieg und somit glasklar ein Bruch des Völkerrechts.

Mit diesem Völkerrechtsbruch ging ein zu Zeiten des Bonner Provisoriums undenkbarer, präzedenzloser Akt der Mißachtung des im Grundgesetz in Gestalt des Artikels 26 verankerten Friedensgebotes als zentraler Verfassungsnorm einher. Auf der Grundlage eines soliden Rechtsnihilismus, wie er bekanntlich nicht allein in den Kreisen der politischen Elite unseres Landes notorisch ist, befahlen die an den Schalthebeln der Berliner Republik befindlichen rot-grünen Friedensverräter: »Germans to the Front!« Sagte ich Friedensverräter? Ja, denn im deutschen Strafgesetzbuch firmiert der im § 80 geregelte einschlägige Tatbestand der »Vorbereitung eines Angriffskrieges« unter dem Rubrum »Friedensverrat«.

In Sachen Verrat am Frieden hat die deutsche Sozialdemokratie, die 1999 den Kanzler stellte, schon eine beeindruckende Bilanz vorzuweisen. Die beginnt mit der Bewilligung der kaiserlichen Kriegskredite anno 1914 und reicht über den Weimarer »Bluthund« Gustav Noske, der die Reichswehr auf deutsche Arbeiter hetzte, zu Rudolf Scharpings Propagandamärchen wie dem vom »Hufeisenplan« und den von Serben »gegrillten Föten«; sie führt von Gerhard Schröders Zusicherung »uneingeschränkter Solidarität« bei Bushs globalem Kreuzzug gegen den Terror und der darauf folgenden völkerrechtswidrigen Besetzung Afghanistans über die vorbehaltlose Unterstützung des angloamerikanischen Völkerrechtsverbrechens gegen den Irak und seine Menschen zur rechtsverräterischen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die wider besseres Wissen behauptet, das NATO-Bündnis verpflichte zum Bruch des Grundgesetzes, sowie zum Westentaschen-Noske Rainer Arnold, dem Militärexperten der SPD im Bundestag, der unbelehrbar die»Operation Enduring Freedom« als völkerrechtskonform verkauft, und endet vorläufig bei der den USA von der schwarz-roten Großkoalition prophylaktisch erteilten Genehmigung, für den von langer Hand geplanten Überfall auf den Iran wiederum umfassend den deutschen Luftraum sowie die auf deutschem Boden befindliche Transport- und ihre Führungsinfrastruktur zu nutzen.

Das Meisterstück an bellizistischer Perfidie freilich lieferte der vom einstigen Capo der Frankfurter »Putztruppe« nach einem Intermezzo im Auswärtigen Amt mittlerweile zum Princeton-Professor und Zeit-Kolumnisten avancierte Joseph Fischer. Gemeinsam mit seinem Spießgesellen Daniel Cohn-Bendit gelang es diesem Friedensverräter par excellence, ohne viel Federlesens den Grundkonsens vom Tisch zu fegen, auf den sich die Bonner Republik verständigt hatte, nachdem die Angloamerikaner im Westen im Bunde mit der Roten Armee im Osten den Deutschen ihren größenwahnsinnigen Militarismus gründlich ausgebombt hatten. »Nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg«, so hatte die auf diese drakonische Lektion gegründete Raison d’être der neuen deutschen Demokratie gelautet. Doch Fischer, der von seiner Kollegin im Amte Madeleine Albright gelernt hatte, die Bombe zu lieben, schiß seinen Parteijüngern kurzerhand die Parole »Nie wieder Auschwitz und deshalb Krieg!« ins politische Kleinhirn. Womit vormals Friedensgrüne zu fürderhin Kriegsgrünen mutierten. Zur überschäumenden Freude all jener, die seit langem schon den Tag herbeigesehnt hatten, an dem der Marschtritt deutscher Soldatenstiefel wieder durch die Welt hallen würde.

Fortan war in der Berliner Republik keine Rede mehr von der vormals so emphatisch betonten »Kultur der Zurückhaltung«, mit der die desaströse deutsche Politik der kriegerischen Mittel nach 1945 beantwortet wurde. In den untersten Schichten des Schutthaufens der Geschichte endgelagert ist der von Franz-Josef Strauß mit triefendem pazifistischem Pathos hingeheuchelte Schwur aus den Gründertagen der Bundesrepublik, daß jedem Deutschen, sollte er jemals wieder ein Gewehr anfassen, der Arm verdorren möge (das war selbstredend, bevor Strauß als Verteidigungs- und Atomminister amtierte). Nachgerade kongenial korrespondiert heutzutage die von Brioni-Kanzler Gerhard Schröder stolz verkündete »Enttabuisierung des Militärischen« mit einem in den letzten Jahren unter politischen Entscheidungsträgern mehr und mehr in Mode gekommenen Bellizismus. Seit dem Ende des Kalten Krieges werden – mit tatkräftiger Unterstützung durch das Bundesverfassungsgericht! – die in der Charta der Vereinten Nationen kodifizierten Einschränkungen des Rechts zur militärischen Gewaltanwendung immer weiter ausgehöhlt. Gerade die in der NATO verbündeten westlichen Demokratien mißbrauchen ihre Streitkräfte immer häufiger für Einsätze, die durch völkerrechtliche Mandate entweder keine hinreichende oder gar keine Rechtsgrundlage haben. In besorgniserregender Weise entwickelt sich ein global ausufernder militärischer Interventionismus, der in Deutschland mit der Rhetorik von der »Normalisierung der deutschen Außenpolitik« legitimatorisch unterfüttert wird. Nahezu unisono konstatiert die politische Klasse dieser Republik – konterkariert allenfalls von der oppositionellen LINKEN –, daß Deutschland »keinen Sonderstatus« mehr beanspruchen könne. Von der Nation werde fortan erwartet, vermehrt »internationale Verantwortung« zu übernehmen. Darüber hinaus wird proklamiert, daß eine solche »Friedensmacht, die seit langem für Ausgleich und internationale Hilfe« sorge, historisch nunmehr als unbelastet zu gelten habe – man ist halt wieder wer.

Derlei Worthülsen, mit denen versucht wird, die unrühmlichen Etappen vor allem der jüngeren deutschen Vergangenheit hurtig zu entsorgen, gehören heute zum Dummdeutsch der politischen Klasse in diesem Lande. In ihnen reflektiert sich eine Art pubertärer Unbefangenheit der Berliner Republik. Die Geschichte wird dabei geklittert, wie man sie gerade braucht. Doch die Bundesrepublik Deutschland kann nur im Bewußtsein der deutschen Geschichte ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden. Eine Erkenntnis, die wiederum zwingend eine Kultur der Zurückhaltung beim militärischen Agieren in der internationalen Politik fordert.

Unter Federführung der USA hat sich in Politik und Armee in geradezu atemberaubender Weise ein fundamentaler Paradigmenwechsel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik vollzogen. Galt zu Zeiten des Kalten Krieges die Parole »Frieden schaffen mit weniger Waffen«, so handeln die schwarz, rot, grün und manchmal gelb gewandeten Hohepriester des globalen Interventionismus getreu der Maxime: Frieden schaffen mit aller Gewalt. Propagandistisch camoufliert wird diese Politik mit Begrifflichkeiten wie »Politischer Pazifismus«, »Krieg gegen den Terrorismus« oder »Humanitäre Intervention«. De facto handelt es sich indes vornehmlich um Globalisierungskriege im Interesse des Clubs der Reichen. Anlaß genug also zum Start einer »Kampagne gegen Angriffskrieg«. (Wird fortgesetzt.)