Roland Koch hat in der Schlußphase des hessischen Landtagswahlkampfs eine Kampagne losgetreten, mit der er sich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zunutze machen will. Mit dieser Methode ist er bekanntlich 1999 Ministerpräsident geworden, als er eine Unterschriftenaktion gegen den »Doppelpaß«, also die doppelte Staatsangehörigkeit, inszenierte. Seine Wähler kamen damals an die Werbestände der CDU und stellten die Frage: »Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?« Man möchte meinen und hoffen, daß eine so plumpe Masche kein zweites Mal verfängt. Aber Koch hat eine perfide Verknüpfung zwischen der latenten Ausländerfeindlichkeit in der Gesellschaft und der Angst vor Kriminalität hergestellt und deshalb in seinem am 2. Januar 2008 vorgelegten Sechs-Punkte-Plan, mit dem er auf mehrere Gewalttaten Jugendlicher mit Migrationshintergrund zu reagieren vorgab, mit der Forderung nach erleichterter, beschleunigter Ausweisung und Abschiebung an die Spitze gestellt. Dabei ist es ihm einerlei, ob ein Jugendlicher in der BRD geboren ist und vielleicht keinerlei Bezüge mehr zum Herkunftsland seiner Eltern hat. Hauptsache, man zeigt Härte gegen Ausländer, auch wenn es sich in Wahrheit um Inländer ohne deutschen Paß handelt.
Zugleich griffen Koch und seine Helfer aus der CDU und CSU wie Volker Kauder und Wolfgang Bosbach sowie seine publizistischen Sekundanten in der Springer-Presse tief in die Mottenkiste, indem sie Uralt-Forderungen zur Verschärfung des Jugendstrafrechts wiederholten: Warnschußarrest (eine Formulierung, die vor allem die Neigung ihrer Urheber zum Schießen und Erschießen verrät; was konkret damit gemeint ist, sagte Koch so: »Jugendliche müssen kennenlernen, wie sich ein Gefängnis von innen anfühlt«), Anhebung der Höchststrafe für Jugendliche von 10 auf 15 Jahre Freiheitsentzug, kein Jugendstrafrecht mehr für Heranwachsende, Sicherungsverwahrung (also lebenslanges Wegsperren) für Jugendliche und Heranwachsende wie bisher schon für Erwachsene, sogar durch nachträgliche Anordnung, falls diese schärfste Maßnahme im ursprünglichen Urteil noch nicht vorgesehen ist.
Die Fachwelt lehnt diese Forderungen ab, weil Jugenddelinquenz fast immer mit fehlenden Perspektiven, abgebrochener Schulausbildung, beschämenden sozialen Verhältnissen zu tun hat. Der hannoversche Kriminologe Christian Pfeiffer empfahl daher, »in Schulen statt in Gefängnisse« zu investieren. Aber von solchen Vorschlägen wollen die Law-and-Order-Politiker der Union nichts wissen, sondern tun sozialtherapeutische Maßnahmen zynisch als »Kuschelpädagogik« ab. Auf die brutalen Gewaltexzesse von Neonazis und auf die steigende Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten hat die CDU/CSU nie mit dem Ruf nach mehr Härte reagiert. Auf die intensiven Fragen der Linksfraktion im Bundestag konnte nach langer öffentlicher Auseinandersetzung auch die Bundesregierung nicht mehr verschweigen, daß die Delikte mit rechtem politischem Hintergrund Jahr für Jahr zunehmen. An einer Debatte, wie dieser Bedrohung mit den Mitteln des Strafrechts Einhalt geboten werden könnte, zeigte sich die Union nicht interessiert. Nur wenn nun wie neulich bei einem Überfall in der Münchner U-Bahn die Beschuldigten türkischer und griechischer Herkunft sind, fordert die Union Härte. Das ist kein Zufall, sondern von den Initiatoren der Kampagne gewollt.
Dabei führte der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundstag, Volker Kauder, ein neues Stichwort in die Diskussion ein: »Erziehungscamps«. Zwar beeilte sich Kauders Stellvertreter Wolfgang Bosbach zu versichern, daß damit keine menschenunwürdigen Haftbedingungen gemeint seien. Aber die US-amerikanischen Vorbilder sind nicht mißzuverstehen.
Als die ersten »Boot Camps« für straffällige Jugendliche in den USA entstanden, schwärmte das Justizministerium in Washington von »einer der innovativsten und aufregendsten Formen« des Jugendstrafvollzugs. Heute ist sogar bei konservativen Amerikanern Ernüchterung eingekehrt. Die Rückfallquote ist keinesfalls geringer als bei Entlassenen der herkömmlichen Jugendstrafanstalten. Und es gibt erschreckende Berichte über das grausame Lagerleben. Zum Beispiel über den Jugendlichen Aaron Bacon, der in einem Camp im Bundesstaat Utah verhungert sei; er habe als Strafe nichts zu essen bekommen, aber gleichwohl täglich bis zu 16 Kilometer laufen müssen. In einem anderen Lager in Utah sei eine 15-Jährige gestorben, die eine erlittene Vergewaltigung seelisch habe überwinden sollen und zu diesem Zweck zum Langstreckenlauf gezwungen worden sei. Viele Jugendliche berichteten von täglicher Gewalt, sexuellem Mißbrauch und menschenverachtenden Züchtigungsmethoden. In einem jüngst vom US-Kongreß vorgelegten Bericht heißt es. »Kinder werden gezwungen, Erbrochenes zu essen, in Urin oder Kot zu liegen. Sie werden getreten, geschlagen und zu Boden geworfen. Auch über zahlreiche Selbstmordversuche und etliche Todesfälle wird berichtet. Die Parlamentarier wollen jetzt zumindest eine stärkere Aufsicht der Bundesstaaten über diese Camps einführen. Aber die Absicht wird bleiben: Jungen Menschen soll mit inhumanen Methoden der eigene Wille gebrochen werden.
Die Bundskanzlerin hat sich von Roland Koch nicht distanziert. Er bekommt einstweilen viel Beifall von ganz rechts. In einer Pressemitteilung vom 31.12.2007 erklärten die Republikaner in Hessen: »Wir freuen uns, daß der hessische Ministerpräsident unsere Kampagne aufgegriffen hat und diesem Tabu-Thema eine breite Öffentlichkeit verschafft hat. Die Plakataktion der Republikaner, die bereits seit einiger Zeit angelaufen ist, wird durch die angekündigte CDU-Kampagne noch bessere Resonanz erzielen.« Gemeint war die hetzerischen Republikaner-Plakate mit den Themen »Mach mich nicht an, Ali!«, »Minarettverbot« und »Kriminelle Ausländer raus!«
Der NPD-Landesverband Hessen bescheinigte auf seiner Homepage am 1.1.2008 Roland Koch einen »guten Anfang«, stellte aber die Frage: »Wann folgen endlich Taten?« Weiter ließ die NPD verlauten: »Nichtsdestotrotz freuen wir uns natürlich darüber, daß ein etablierter Politiker unsere Forderungen aufgreift und einem größeren Publikum gegenüber kommuniziert. Jetzt kommt es aber darauf an, zu beweisen, daß man es wirklich ernst meint mit der Rückführung krimineller Ausländer, mit härterer Gangart und Erziehungscamps für notorische Ethno-Delinquenten.« So arbeiten Rechte und Rechtsextreme einander zu.