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Damit der Krieg weitergeht  (Paul Schreyer)

Die Bundeswehr verstrickt sich weiter am Hindukusch. Welche Ziele verfolgt die »internationale Gemeinschaft«?

Zu Weihnachten flackerten wieder solche Meldungen über die Bildschirme in deutschen Wohnzimmern: »Angriff auf Bundeswehrsoldaten im Norden Afghanistans«. Derartige Schlagzeilen scheinen allerdings nicht stärker zu wirken als die jährlichen Warnungen vor der Gefahr von Feuerwerkskörpern. Alles verpufft im Rauch.

Doch die Zahl der Attacken von Taliban und Widerstandsgruppen wächst unaufhaltsam. Pünktlich zum Jahreswechsel hat auch der US-Botschafter in Kabul seine Statistik aktualisiert. Derzufolge sind 2008 in Afghanistan etwa 2.000 Anschläge verübt worden – gut doppelt so viele wie im Vorjahr. Zeitversetzt wächst die Zahl westlicher Soldaten in der Region. Die USA wollen ihr Truppenkontingent bis zum kommenden Sommer von derzeit etwa 31.000 auf über 50.000 Soldaten erhöhen. Und die NATO plant, die Stärke der Schnellen Eingreiftruppe (Quick Reaction Force) in Nordafghanistan zu verdreifachen. Seit Juli 2008 stellt die Bundeswehr diese Kampftruppe. Bisher scheint noch offen zu sein, welches Land die zusätzlichen Soldaten stellen soll; das Verteidigungsministerium in Berlin dementierte eine deutsche Aufstockung.

Der eskalierende Konflikt greift auch immer weiter auf Pakistan über. Der US-Geheimdienst CIA verschießt schon seit einiger Zeit regelmäßig von unbemannten Drohnen aus Raketen auf pakistanisches Gebiet, so auch am Neujahrstag. Nach den Anschlägen im indischen Bombay verstärkte sich der öffentliche Druck auf das Nachbarland. US-Außenministerin Rice ermahnte die Regierung in Islamabad: »Pakistan spielt eine entscheidende Rolle dabei sicherzustellen, daß diese Terroristen nicht weiter operieren können.«

Doch was geschieht wirklich in Pakistan?

Dexter Filkins, ein Journalist des New York Times Magazine, der in seinem aktuellen Buch »The forever war« die nach dem 11. September 2001 entstandenen Krisenherde aus eigener Anschauung beschreibt, macht in einer in diesen Tagen in der Zeitschrift Geo erschienenen Reportage klar, warum der sogenannte Antiterrorkampf in Pakistan nicht vorankommt. Von einem früheren hohen Beamten der pakistanischen Regierung ließ er sich erklären: Die Taliban am Leben zu erhalten, sei für Pakistan die sicherste Methode, weiterhin in den Genuß der Finanzzuschüsse aus den USA für den Antiterrorkampf zu kommen. Tatsächlich hat die US-Regierung seit 2001 schon zehn Milliarden US-Dollar an die Verbündeten in Islamabad überwiesen. »Ohne dieses Geld würde die pakistanische Wirtschaft zusammenbrechen«, sagte der ehemalige Beamte. »Wir können es uns schlicht nicht leisten, die Taliban endgültig zu besiegen.« Immerwährender Krieg als Finanzquelle?

Stimmen im Westen wie der Council on Foreign Relations regen nun an, mit Hilfe der Stammesführer einen Keil zwischen Bevölkerung und Extremisten zu treiben. Doch offenbar sind auch die Stammesführer Teil des Problems. Denn die Kämpfe in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion haben auch eine soziale Dimension. Filkins schreibt: »Es ist den Islamisten vermutlich nicht allzu schwergefallen, die Maliks (Stammesführer) zu verdrängen. Viele Pakistani hegten längst einen tiefen Groll gegen das überkommene Malik-System mit seinen erblichen Privilegien. Die Taliban und ihre Kämpfer kommen dagegen meist aus dem einfachen Volk. (...) Überall in der Fata-Region (den Stammesgebieten) erzählen mir die Menschen Robin-Hood-Geschichten über die Taliban: wie sie die Reichen und Mächtigen in einem Dorf vor ein ›Laster-und-Tugend-Gericht‹ gezerrt haben, damit sie den Armen geben, was ihnen zusteht. Unter der Herrschaft der Maliks gab es so etwas nicht. Den Aufstieg der Taliban nehmen viele Pakistani in der Fata nicht als Bedrohung durch Fanatiker wahr, sondern als eine soziale Revolution zugunsten der kleinen Leute.«

Darüber erfährt man hierzulande wenig. Solche Informationen passen schlecht ins Bild. Ohne sie zu berücksichtigen, dürfte es allerdings schwer werden, Extremisten langfristig das Wasser abzugraben – doch wollen das die verantwortlichen Strategen im amerikanischen Sicherheitsapparat überhaupt? Einiges spricht dagegen. Zum Beispiel die Erkenntnisse eines anderen Kenners der Region: Christoph R. Hörstel. Der ehemalige ARD-Mitarbeiter (s. seinen Beitrag in Ossietzky 19/08: »Pakistan – unser nächster Gegner«) bereist seit über 20 Jahren die Region und arbeitete zuletzt als Coach im Fach »Landeskunde Afghanistan« für Führungskräfte der Bundeswehr-Schutztruppe für Afghanistan. In seinem kürzlich erschienenen Buch »Brandherd Pakistan« schreibt er:

»Wir müssen uns darüber klar sein, daß am Hindukusch, in Zentralasien, mitten zwischen Iran und China, die Feststellung ›mission accomplished‹ eine Art Horrorvorstellung für amerikanische Interessenvertreter darstellt: Denn in diesem Fall müßten die USA ihre Truppen zurückziehen. Und dann macht Asien sich sozusagen selbständig. Der Iran stellt seine Energierohstoffe chinesischen Abnehmern zur Verfügung – abgerechnet werden diese Lieferungen bereits heute nur noch zu 40 Prozent in US-Dollars – und dann haben die USA tatsächlich Macht und Einfluß verloren.«

Diese Überlegungen stehen in diametralem Widerspruch zur offiziell verlautbarten Position der USA. Barack Obama verkündete schon Monate vor seiner Wahl zum US-Präsidenten, daß er etwa 7000 zusätzliche Soldaten in die Region entsenden wolle – selbstverständlich zur Terrorbekämpfung. O-Ton Obama: »Ich glaube, daß hier der Hauptfokus, die Hauptfront im Kampf gegen den Terrorismus sein muß.«

Bereits zu Beginn des Jahres 2008 legte zudem der regierungsnahe deutsche Think Tank »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) in einer Studie nahe, daß Deutschland »die Aufstandsbekämpfung als neue Einsatzrealität akzeptieren« müsse. Ein SWP-Mitarbeiter antwortete mir auf die Frage, warum seiner Meinung nach die USA diesen Krieg eigentlich führen, schlicht: Er werde nicht dafür bezahlt, solche Fragen zu beantworten.

Die realen Kriegsgründe und einige unangenehme Wahrheiten hat nun Hörstel im Detail recherchiert. Er faßt zusammen: »Zur Legitimierung ihrer militärisch durchgesetzten strategischen Hegemonialinteressen in Asien lassen die USA heimlich über pakistanische Geheimdienste ihre Gegner hochpäppeln, die sie gleichzeitig durch gewaltsame Eingriffe zu steuern versuchen. Dieses Doppelspiel sichert den ständigen Zuwachs an eigenen und verbündeten Truppen in der Region, die dann dazu benutzt werden, weitergehende geschäftliche Ziele zu erreichen.« Von einem Gespräch mit einem regelmäßigen Teilnehmer der allwöchentlichen Geheimdienst-Lagekonferenz im Bundeskanzleramt berichtet Hörstel: »Als ich fragte, ob denn der BND über diese Doppelpolitik der USA informiert sei, den Krieg am Hindukusch heimlich zu befördern, um ihn offen ausweiten zu können, senkte mein Gegenüber den Kopf, sah plötzlich sehr müde aus und gab völlig schnörkellos zu: ›Ja, wir wissen das.‹«

Die gute Informationslage der Bundesregierung verwundert kaum, ist doch der BND in Afghanistan traditionell sehr aktiv, »bis an die Grenzen des Verträglichen«, wie im April 2008 der Spiegel schrieb, der nebenbei enthüllte: »Als im November 2001 auf dem Petersberg bei Bonn 38 afghanische Politiker und Stammesvertreter unter Führung der UNO zusammenkamen, ›wurde manchem von uns ganz flau im Magen‹, erinnert sich ein Geheimer: Die Anzahl der BND-Zuträger bei der Tagung ging in den zweistelligen Bereich, mehrere der Minister aus Hamid Karzais Übergangsregierung führte der Dienst als V-Leute.«

Nicht nur Christoph Hörstel fragt sich angesichts all dessen: »Wie bekommen wir nur unsere Abgeordneten dazu, diesen Wahnsinn nicht mehr mitzumachen?«