Otto Köhler zum 75. (Stefan Huth)
Seit Jahrzehnten ist Otto Köhler einer der kritischsten Chronisten der BRD. Als im vergangenen Jahr die Jubelfeiern zum 60. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes und zum 20. der DDR-Grenzöffnung anhoben, meldete er sich mit einer Reihe von Beiträgen zu Wort, in denen er die Nachkriegsgeschichte dieser Republik gegen den Strich bürstete. Solcherart Staatsereignisse bewirken bei ihm stets einen Produktivitätsschub. So war bei ihm nachzulesen, wie der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard im Januar 1945 zusammen mit dem später gehängten SS-Einsatzgruppenführer Otto Ohlendorf die »soziale Marktwirtschaft« ersann oder wie Theodor Maunz, Autor des herrschenden Kommentars zum Grundgesetz, nach 1933 aus den »Wirklichkeiten des völkischen Lebens: Rasse, Boden, Führer, Gefolgschaft, Treue, Ehre« den »Neubau« der Rechtswissenschaft vollziehen wollte. Die Gründungslegenden von der »Stunde Null« oder einem »demokratischen Neuanfang« nach 1945 im Westen führt Köhler in seinen Arbeiten ad absurdum. Mit ihm, dem radikalen Demokraten und unermüdlichen Aufklärer, ist wahrlich kein imperialistischer Staat zu machen. Mit feiner Ironie und in geschliffenem Deutsch gehen Otto Köhlers Interventionen stets aufs Ganze: Er verfolgt die langen Wellen des Faschismus. Wie sich dieser auch im Verhalten heutiger Amtsträger äußert – von Erika Steinbach über Thilo Sarrazin bis zu Horst Köhler –, arbeitet er mit kriminalistischem Spürsinn, akribisch und detailversessen heraus. Die Kunst, in einem scheinbar abseitigen Zitat eine ganze Welt der Niedertracht aufscheinen zu lassen, beherrscht er meisterhaft. So erweist sich bei ihm deutsche Nachkriegsgeschichte stets als Vorkriegsgeschichte, von Jugoslawien bis Afghanistan.
Möge Otto Köhler den Mächtigen und Offiziellen dieser Republik noch viele Jahre fröhlich die Festlaune verderben.
Der Autor ist Redakteur der Thema-Seiten der Tageszeitung junge Welt.