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Der Sozialabbau geht weiter  (Tilo Gräser und Franziska Walt)

Kurze Meldungen aus dem Weihnachtsmonat 2010:
1. Dezember: Mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland arbeiten in einem 400-Euro-Job. Für 4,93 Millionen ist es nach einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung die alleinige Verdienstmöglichkeit. Unter ihnen sind überproportional viele Frauen in den westlichen Bundesländern.

2. Dezember: Der Anteil der Unternehmergewinne und Kapitalrenditen am Volkseinkommen ist laut WSI-Verteilungsbericht im ersten Halbjahr 2010 weiter gestiegen, die Lohnquote weiter gesunken. WSI-Vorsitzender Claus Schäfer spricht von einem »alten Muster«: Die Gewinn- und Kapitaleinkommen einer relativ kleinen Bevölkerungsgruppe wachsen deutlich schneller als die Lohneinkommen. Den verantwortlichen deutschen Politikern wirft Schäfer vor, aus den Krisen der letzten Jahre nichts gelernt zu haben. Schlimmer noch: Sie wirkten daran mit, die nächsten Krisen vorzubereiten.

8. Dezember: Rund 20 Prozent aller Haushalte in der Bundesrepublik müssen mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von weniger als 1.500 Euro auskommen, wie das Statistische Bundesamt errechnet hat. Auf der anderen Seite hätten rund 24 Prozent der Haushalte mehr als 5.000 Euro zur Verfügung. Ostdeutsche Haushalte bezögen durchschnittlich nur drei Viertel des Einkommens der westdeutschen Haushalte. Von 2003 bis 2008 habe sich das durchschnittliche Nettoeinkommen (nominales Einkommen nach Abzug von Steuer- und anderen Abgaben von Bruttoeinkommen) der westdeutschen Haushalte um 3,3 Prozent erhöht, während es im Osten stagnierte (und das reale, inflationsbereinigte Lohneinkommen abstürzte). Der Ost-West-Abstand wurde also größer.

9. Dezember: Soziale Unterschiede behindern die Integration von Migranten, stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem Wochenbericht fest. »Migranten in Deutschland leben aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen häufig räumlich isoliert. Diese räumliche Trennung steht einer erfolgreichen Integration im Wege.« Besonders Zuwanderer aus der Türkei und Osteuropa seien dadurch isoliert. Den Schlüssel zur Integration sieht DIW-Experte Lutz Sager darin, die Ungleichheit im Zugang zu Bildung und Einkommen zu beseitigen.

13. Dezember: Die vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ins Leben gerufene Reform-Kommission »Für ein solidarisches Gesundheitssystem der Zukunft« aus Gewerkschaften und Sozialverbänden bewertet in ihrem Abschlußbericht die von der Bundesregierung geplante Kopfpauschale als »gesundheitspolitisch gefährlich und in höchstem Maße ungerecht«. Sie benachteilige Geringverdienende und Rentner. Die Kommission empfiehlt als »nachweislich überlegene Alternative« die Bürgerversicherung, die auch Selbständige und Beamte einbeziehen würde. Dann könne ein finanzieller Gestaltungsspielraum entstehen, der 2,2 Prozentpunkten des Beitragsaufkommens entspräche; außerdem könne den 70 Millionen Versicherten die von der Koalition geplante Beitragserhöhung zum 1. Januar 2011 erspart bleiben.

15. Dezember: Die Arbeitseinkommen der unselbständig Beschäftigten in der Bundesrepublik sind in den letzten zehn Jahren zwar nominal um 10,2 Prozent gestiegen, inflationsbereinigt aber um 4,5 Prozent gesunken, da die Verbraucherpreise im selben Zeitraum um 15,4 Prozent gestiegen seien, so die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihrem neuen globalen Lohnbericht. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen gehe weltweit langfristig zurück. »Die Löhne wachsen längst nicht mehr im Gleichschritt mit der Produktivität, und die Einkommensunterschiede werden größer.« Der Anteil der Geringverdiener habe international zugenommen, so auch in der Bundesrepublik. Immerhin verzeichneten die meisten Industrienationen einen Reallohnzuwachs (beispielsweise die USA um 2,2 Prozent), Deutschland dagegen liege mit seinem Reallohnabbau auf dem letzten Platz.

19. Dezember: Das Jahr 2010 war das »Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung«. Doch in der Bundesrepublik habe es »nicht einmal im Ansatz zu notwendigen strukturellen Änderungen bei der Armutsvermeidung und -bekämpfung geführt«, resümieren der DGB und die Kommission Justitia et Pax der Katholischen Kirche in Deutschland. Statt konkreter Schritte zur Verbesserung der Lage von Menschen, die durch prekäre Beschäftigung von Armut und Ausgrenzung bedroht sind, habe es von der Regierung nur »warme Worte« gegeben.

1. Januar 2011: Wer auf »Hartz IV«-Leistungen angewiesen ist, muß im neuen Jahr mit weniger zurechtkommen: Das Elterngeld in Höhe von 300 Euro monatlich wird jetzt als Einkommen angerechnet. Der bisherige befristete Zuschlag zum Arbeitslosengeld II (ALG II) von höchstens 160 Euro im ersten Jahr und 80 Euro im zweiten Jahr wird nicht mehr gezahlt. Das trifft rund 165.000 Arbeitslose. Die Bundesagentur für Arbeit zahlt für ALG II-Bezieher den Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr. Ebenso entfällt der Zuschuß zu den Beiträgen zur Rentenversicherung, den vor allem Selbständige, die sich arbeitslos meldeten, erhielten. Die geplante minimale Erhöhung des »Hartz-IV«-Regelsatzes um fünf Euro – nicht ausreichend zum Ausgleich des Inflationsverlustes in den vergangenen Jahren – sowie die Einführung des sogenannten Bildungspaketes für Kinder und junge Erwachsene verzögern sich; nach dem Veto des Bundesrates wird darüber noch verhandelt, ebenso bedürfen neue Zuverdienstmöglichkeiten für »Hartz IV«-Leistungsbezieher noch der Zustimmung durch den Bundesrat.