Sigmar Gabriel, oberster Sozialdemokrat. – Jetzt können Sie mitregieren, Ihre Mitglieder haben es mehrheitlich zugelassen, ihr Ja zur Koalition gegeben. Was blieb ihnen auch anderes übrig, der Gedanke an Neuwahlen kann derzeit für Sozialdemokraten nichts Verlockendes haben. Der Zusendung des Vertragstextes, er ist 185 Seiten lang, hatten Sie ein Vorwort hinzugefügt, das die Lektüre der Details ersparte und Zustimmung leichtmachte; darin heißt es: »Wir haben Folgendes erreicht und ausgehandelt ...«, und dann folgt als einer dieser schönen Erfolge: »die strikte Regulierung der Finanzmärkte und Banken«. Die ist also schon mal zustande gebracht. Wir haben weiter hinten im Vertrag nachgeschaut, im Europakapitel, wie denn nun das wilde Kapital gezähmt wurde, konnten darüber jedoch nichts finden. Bleibt nur die Annahme, daß bei den Koalitionsgesprächen die Herren des supranationalen Finanzwesens teilgenommen haben, freilich unter Tarnkappen, was man ja verstehen kann; und die ließen sich ein »Nur zu, reguliert uns! Strikt!« abhandeln.
Jörg Dräger, im Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. – »Besorgnis-erregend« haben Sie das Ergebnis einer Studie Ihrer Forschungsfirma genannt: »Je prekärer die Lebensverhältnisse, desto geringer die Wahlbeteiligung«, mit steigender Tendenz. Ausgewiesen auch durch die Daten der jüngsten Bundestagswahl. Wir vermuten, daß sich dieser Trend in der Bundesrepublik bei den Europawahlen demnächst fortsetzen wird, hierzulande haben wir es ja noch nicht mit einer rechtspopulistischen Partei zu tun, die Sozialdemagogie effektvoll zu betreiben versteht. Die »Demokratie wird sozial gespalten«, sagen Sie; aber was wollen Sie dagegen tun? Zur Ausdehnung von Prekarität hat die Stiftung, der Sie vorstehen, politikberatend beigetragen. Durch Bertelsmannbildung wird sich der Schaden nicht heilen lassen. Da werden wohl andere Mittel notwendig sein als Expertisen aus Gütersloh.