Im Kalten Krieg lief das Geschäft für die Rüstungsindustrie auf Hochtouren. Mit dem Ende dieser Ära haben viele gedacht, es beginne nun ein Zeitalter mit weniger Rüstung und Kriegen, dafür mit mehr freien Mitteln für gute Zwecke, vor allem für die Beseitigung von Armut. Doch es kam anders. Die Vereinigten Staaten begannen mit einer neuen gigantischen Aufrüstung. Sie steigerten ihre Rüstungsausgaben innerhalb von zwei Jahrzehnten von 150 Milliarden Dollar (1990) auf 705 Milliarden Dollar (2011), soviel also wie die gesamte restliche Welt zusammen. Was kennzeichnet die neue Ära?
Der militärisch-industrielle Komplex (MIK) der USA scheint gegen Ende der 1980er Jahre jenen Einfluß auf die Regierung erlangt zu haben, vor dem Dwight D. Eisenhower schon vor gut fünfzig Jahren gewarnt hatte. Internationale Abrüstung, wie sie zwischen Gorbatschow und Reagan 1986 in Reykjavik vereinbart worden war, hätte für den MIK zwar nicht das Ende, aber ökonomische Einbußen und einen Verlust an politischem Einfluß auf Washington bedeutet. Entsprechend wurden die begonnenen Abrüstungsschritte beendet und die Bedrohungsängste der Europäer vor den russischen Atomwaffen befeuert. Der US-Regierung wurde zunächst die »Strategie der Vorherrschaft« verpaßt, parallel dazu mit dem massiven Ausbau der weltweiten Militärstützpunkte begonnen, die weltraumgestützten Raketenabwehrsysteme aus dem Boden gestampft, der Rüstungsetat exorbitant gesteigert und die Welt scheibchenweise militärisch umgekrempelt: die Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren, die Kriege im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordostafrika (Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien), der Atomstreit mit dem Iran seit 2003, der Ukrainekonflikt und die Vertiefung gefährlicher Spannungen in Europa, die unablässige NATO-Osterweiterung und schließlich auch die gezielte Einkreisung Rußlands. Vor wenigen Tagen wies Michail Gorbatschow in einem Interview des Senders Russia Today besorgt darauf hin, daß die USA zu Sklaven ihrer eigenen Politik und des MIK geworden seien. Die US-amerikanische Gesellschaft brauche Hilfe – etwa eine Perestroika auf amerikanische Art.
Die US-Ökonomie befindet sich seit zwei Dekaden in einer massiven Strukturkrise, in vielen Sektoren ist die Wirtschaft auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig, seit über 16 Jahren weist die US-Handelsbilanz ein Defizit auf. Trotzdem leisten sich die USA Rüstungsausgaben in Höhe von vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) – doppelt so hoch wie die der übrigen westlichen Staaten. In den USA ist das Militärbudget ein Tabuthema, auch bei der Opposition. In den Medien und in der Gesellschaft finden keine substantiellen Debatten statt. Wie ist diese Beinahe-Gleichgültigkeit der US-Amerikaner zu erklären?
Die USA finanzieren ihre Rüstungsausgaben mit Staatsverschuldung. Diese wächst fast parallel zu den Rüstungsausgaben, nur mit einer höheren Steigerungsrate. Mit allen Kriegen ist ein drastischer Anstieg von Rüstungsausgaben und Staatsverschuldung verbunden (vergleiche nachfolgende Tabelle). Regierungen – nicht nur in den USA – können Kriege und Rüstungsausgaben durch Staatsverschuldung leichter akzeptanzfähig machen, da sie die Kriegskosten zum großen Teil auf künftige Generationen verlagern. Die Finanzierung der Kriegskosten durch direkte Steuern würde dagegen die Bevölkerungen gegen jeden Krieg mobilisieren.
Kriegsschulden verursachen jedoch exponentielles Schuldenwachstum, denn Rüstungsinvestitionen sind im Unterschied zu allen anderen Investitionen unproduktiv und bewirken, ökonomisch gesehen, Kapitalvernichtung. Deshalb muß die Staatsverschuldung für Rüstung durch ständig neue Verschuldung finanziert werden. Rüstungsausgaben und Kriege sind generell die Hauptquelle steigender Staatsverschuldung und nicht, wie immer wieder behauptet wird, steigende Sozialausgaben. Richtig ist vielmehr, daß nicht nur Investitionen in die Infrastruktur produktiv sind, sondern auch die Sozialausgaben einer Gesellschaft. Sozialsysteme erhöhen direkt und indirekt, auf jeden Fall aber auf lange Sicht, die Gesamtproduktivität und Wertschöpfung, somit durch zurückfließende Steuern auch die Staatseinnahmen. Sozialkosten finanzieren sich selbst, Rüstungsausgaben nicht. Wer die Staatsverschuldung reduzieren will, muß für sinkende Rüstungsausgaben eintreten.
Die Tabelle zeigt den US-Verteidigungsetat und die -Auslandsverschuldung seit dem Jahr 1900 in Milliarden Dollar Jahresdurchschnitt:
Dekaden US-Verteidigungsetat Staatsverschuldung Kriegsbeteiligung
1900-09 keine Angaben 2,3
1910-19 keine Angaben 6,8 1. Weltkrieg
1920-29 keine Angaben 22,83 Kriegsfolgekosten
1930-39 keine Angaben 35,35 Kriegsfolgekosten
1940-49 33,350 182,71 2. Weltkrieg
1950-59 41,496 269,45 Koreakrieg
1960-69 60,280 323,82 Vietnamkrieg
1970-79 88,997 547,27
1980-89 231,612 924,05 Beginn Jugoslawienkriege
1990-99 272,495 4.635,56 Jugoslawienkriege, 2. Golfkrieg
2000-09 465,363 7.888,10 Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen
2010 693,498 13.528,81 Kriegsfolgekosten
2011 705,557 14.762,22 Kriegsfolgekosten
2012 677,856 16.050,92 Kriegsfolgekosten
2013 660,037 17.249,24 Kriegsfolgekosten
Quellen: Das Schulden-Porträt der USA 1791–2013, www.sgipl.org.; Fiscal Year 2014. Historical Tables. Budget of the U.S. Government, Washington DC., S. 143 f.; eigene Berechnungen
Jeder Ökonom weiß, daß ein Staat seine Haushaltsdefizite auf Dauer nicht durch Staatsverschuldung beheben kann. Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel aber widersprach am 18. Dezember 2014 in einer ZDF-Talkshow dieser Weisheit und führte als Beleg die USA an, die im Gegensatz zu Japan damit sehr gut führen und eine stabile Wirtschaft mit drei Prozent Wachstum vorzuweisen hätten. Was Waigel aber unterschlug oder einfach nicht wußte, ist die Sonderrolle der USA, die als einzige Ökonomie der Welt in der privilegierten Position verweilt, ihre Staatsschulden praktisch nie zurückzahlen zu müssen. Denn mit der Vergabe von Staatsanleihen verfügen US-Regierungen über eine geheimnisvolle Geldquelle, mit der sie sowohl ihre Haushaltsdefizite als auch die US-Leistungsbilanzdefizite finanzieren. In der Praxis werden beide Ziele wie folgt erreicht: Um laufende Staatsausgaben zu tätigen, tauscht das US-Finanzministerium Staatsanleihen bei der US-amerikanischen Zentralbank, der FED, gegen von dieser frisch gedruckte Dollar ein. Allein im Jahr 2013 wurden so 1.100 Milliarden Dollar in Umlauf gebracht. Die FED vermarktet die Staatsanleihen auf dem Weltmarkt und lenkt so in die US-Ökonomie neues Kapital, das für den Ausgleich der Leistungsbilanzdefizite sorgt. Der Preis für diese Geldschöpfungspolitik ist eine unermeßliche Staatsverschuldung. Um die alten Anleihen samt Renditen bei Fälligkeit zu bedienen, werden einfach neue Staatsanleihen ausgegeben, die – gegen frisches Geld bei der FED eingetauscht – erneut in Umlauf gebracht werden. Der Prozeß kann beliebig fortgesetzt werden, solange wie Kapitalanleger weltweit darauf vertrauen, daß US-Staatsanleihen eine sichere und profitable Anlage darstellen. Der weitestgehend verborgene Dollarkreislauf – Investitionen in US-Staatsanleihen, steigende Nachfrage nach Dollar, Geldschöpfung durch die FED – sorgt dafür, daß das Vertrauen in US-Staatsanleihen erhalten bleibt und der US-Wirtschaft ständig Kapital zufließt. Kein Wunder, daß dann eine unter großen Handelsbilanzdefiziten leidende Ökonomie keinen Staatsbankrott befürchten muß. In der Kapitalbilanz schlägt sich die Auslandsverschuldung als Kapitalimportüberschuß nieder. Im Zeitraum 2000 bis einschließlich 2013 stieg die Auslandsverschuldung der USA von 5.628,700 auf astronomische 17.249,239 Milliarden Dollar. In diesem Zeitraum flossen also reale Wirtschaftsleistungen aus aller Welt in Höhe von 11.620,539 Milliarden Dollar in die USA, die sich darauf beschränkten, neues Geld zu drucken und in Umlauf zu bringen.
Die privilegierte Position der USA setzt voraus, daß der Dollar absehbar sein Monopol als internationale Leitwährung nicht verliert. Das Monopol bleibt solange erhalten, wie der internationale Ölhandel in Dollar abgewickelt wird. Das ist der Fall, solange die USA sämtliche Ölstaaten des Nahen und Mittleren Ostens unter ihrer vollständigen Kontrolle haben. Das erklärt wiederum die dortigen US-Kriege und das Greater-Middle-East-Projekt der US-Neokonservativen, wonach an die Stelle starker Staaten möglichst viele schwache Ölstaaten treten sollen, die sich des US-Diktats nicht erwehren können.
So gesehen, schließt sich ein Kreis, der mit der amerikanischen Staatsverschuldung zur Finanzierung der gigantischen Rüstungsausgaben seinen Anfang nimmt, den Zufluß eines beträchtlichen Teils der Wirtschaftsleistung aus der ganzen Welt durch das Instrument des Dollar-Imperialismus einschließt und mit der kriegerischen Umwälzung des Nahen und Mittleren Ostens endet, die die Nachfrage nach Rüstungsgütern aufrechterhält. Zur Ironie der Geschichte gehört, daß die Welt für die Kosten dieser verbrecherischen Politik der USA aufkommen muß. Damit der militärisch-industrielle Komplex der USA fortbesteht, müssen Millionen Menschen sterben, Millionen Menschen müssen aus ihren Dörfern und Städten flüchten, und die Welt muß im Chaos permanenter Kriege gehalten werden.