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Titel115

Kuschen vor der NSA  (Ulla Jelpke)

Dem US-Geheimdienst NSA ist es egal, ob er seine Schnüffelaktionen von den USA aus startet oder vom Gelände US-amerikanischer Einrichtungen in Deutschland. Aus deutscher Sicht ist das freilich relevant: Das Telekommunikationsgeheimnis ist in Artikel 10 des Grundgesetzes festgelegt, es darf nur in besonderen Ausnahmen eingeschränkt werden. Was tun?


Eigentlich ist es Aufgabe deutscher Staatsgewalt, die Bürger vor Grundrechtsverletzungen zu schützen. Der frühere Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier führt dazu aus, deutsche Behörden hätten die Aufgabe, »Eingriffe ausländischer Mächte in das Telekommunikationsgeheimnis, die von deutschem Boden aus vorgenommen werden, zu verhindern beziehungsweise zu unterbinden. Sie sind dazu auch verpflichtet.«


Aber davon ist nicht viel zu erkennen. Die Bundeskanzlerin beschwört die »transatlantische Partnerschaft«, der Verfassungsschutz hüllt sich in Schweigen, der Bundesnachrichtendienst (BND) beteuert, sich streng an Recht und Gesetz zu halten, und die Bundesanwaltschaft windet sich, um Ermittlungsverfahren gegen die Täter mit Wohnsitz USA zu vermeiden. Wenn die USA »weltweit übermäßig Internetkommunikation überwacht, kritisiere ich das«, säuselt Innenminister Thomas de Maizière in der FAZ, aber das sei immer noch »weniger kritikwürdig, als wenn private Unternehmen aus reinem Gewinninteresse den umfassenden Handel mit persönlichen Daten zum Geschäftsmodell machen.« Das alles drückt nicht gerade kämpferische Entschlossenheit zur Verteidigung unserer Grundrechte aus.


Manchen Politikern platzt da der Kragen: Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl warf im Juli 2014 den USA vor: »Sie führen sich in Deutschland auf wie eine digitale Besatzungsmacht.« Und auch Gregor Gysi erörterte in einer Bundestagsrede schon vor einem Jahr die Frage, ob Deutschland wirklich »souverän« sei, und warf der Kanzlerin »Duckmäusertum« vor.


Es ist allerdings fraglich, ob diese Kritik zutrifft. Denn sie suggeriert, Deutschland sei die vom amerikanischen Bösewicht verfolgte Unschuld. Dabei zeigt ein genauerer Blick auf die Machenschaften deutscher Geheimdienste, daß diese es auch nicht so genau mit den Grundrechten nehmen. Der Verfassungsschutz bespitzelt immer wieder linke Aktivisten, aber auch Rechtsanwälte und Journalisten. Demgegenüber hat er jahrelang die Naziszene mittels V-Leuten gesponsert und bei den Nazimördern vom NSU weggesehen. Was das Verhältnis zu den USA angeht, so hat die Übermittlung von Daten an US-Geheimdienste in den letzten vier Jahren um das Fünffache zugenommen.


Ein »Sicherheits«-Abkommen mit den USA sieht schon seit Jahren vor, bei »besonders« Terrorverdächtigen Daten etwa zur Gewerkschaftsmitgliedschaft oder zu religiösen und sexuellen Präferenzen auszutauschen. Demnächst folgt der automatisierte Fingerabdruck-Vergleich zwischen dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem US-Inlandsgeheimdienst FBI.


Der BND, der im Inland nicht mithören darf, stürzt sich umso eifriger auf die »strategische Fernmeldeaufklärung« im Ausland. Seiner Prämisse, dabei unterliege er den Grundrechtsvorbehalten des Grundgesetzes nicht, wird allerdings von führenden Verfassungsrechtlern widersprochen: Hans-Jürgen Papier, Wolfgang Hoffmann-Riem (beide ehemalige Verfassungsrichter) und Matthias Bäcker weisen in ihren Stellungnahmen für eine Anhörung des NSA-Untersuchungsausschusses darauf hin, daß Artikel 10 »nicht nur Deutsche, sondern auch Ausländer« schützt, auch dann, wenn sie im Ausland telefonieren. Das Fernmeldegeheimnis sei kein »Deutschenrecht«, und deutsche Behörden unterliegen überall der deutschen Verfassung. Der BND bräuchte also auch beim Schnüffeln im Ausland eine gesetzliche Ermächtigung, die ähnlich streng ist wie im Inland. Die gibt es aber nicht. Daten, die derart illegal erhoben werden, dürfen selbstverständlich nicht weitergegeben werden. Aber genau das passiert, weil die Bundesregierung eine abweichende Rechtsauffassung hat.


Was die Bundesregierung unter Aufklärung versteht, zeigt sie im oben erwähnten Untersuchungsausschuß des Bundestages: Zwar stellt sie mitunter ganze Wagenladungen voller Aktenordner bereit – aber häufig ist darin fast alles geschwärzt. »Schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen« heißt es dann. Nicht zu vergessen: Die Bundesregierung stellt sich quer, was die Einladung Edward Snowdens, des wohl wichtigsten Zeugen in der Affäre, angeht. Diese liefe »wichtigen politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland zuwider«, erklärt sie. Inwiefern? Obama »könnte die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheitsbehörden zumindest vorübergehend einschränken« – im Klartext: Der BND könnte nicht mehr von der NSA-Schnüffelei profitieren. So definiert die Bundesregierung deutsches Interesse. Im Untersuchungsausschuß wurde bereits das »Tauschgeschäft« beschrieben: Daten für die US-Amerikaner, Technik für den BND. Bundesjustizminister Heiko Maas gab Ende Juli den Zyniker und empfahl Snowden, er solle sich doch am besten in den USA einem Verfahren stellen, damit wäre ihm »am besten gedient«. Klar – Snowden in den Knast, auf Nimmerwiedersehen, das würde den Verantwortlichen auf beiden Seiten des Atlantiks gefallen.


Unter dem Druck der Öffentlichkeit werden lediglich symbolische Aktionen unternommen, wie etwa die Ausweisung des obersten US-Geheimdienstkoordinators aus Deutschland. Sein Nachrücker kann nahtlos weitermachen. Effizienter wäre allemal die Kündigung des NATO-Truppenstatuts, das den Aufenthalt von NATO-Streitkräften auf dem Gebiet anderer NATO-Staaten regelt.


Daß dies nicht geschieht, zeugt aber nicht davon, daß sich die BRD zu den USA wie ein duckmäuserisches Land zu einer Besatzungsmacht verhält. Die Bundesregierung hat sich den USA nicht unterworfen. Sie ist vielmehr Juniorpartnerin eines internationalen Datenräubers. Es ist das Verhältnis zweier Komplizen, die zwar nicht gleich hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und ihres Einflusses sind, aber sehr wohl hinsichtlich ihrer Entschlossenheit, die Grundrechte fallen zu lassen, wenn dies ihrem jeweils selbstdefinierten Interesse entspricht. Seinen Teil dieser Komplizenschaft erfüllt der BND, indem er jetzt ein 300-Millionen-Euro-Programm für seine technische Aufrüstung aufgelegt hat – ein Programm, das weitere Grundrechtsverletzungen garantiert.