In Berlin fährt ein Sattelschlepper in den Weihnachtsmarkt unter der Gedächtniskirche. Er hinterlässt zwölf Tote und 50 Verletzte. In der Fahrerkabine sitzt ein toter polnischer LKW-Fahrer, unter dem Fahrersitz wird – o Wunder! – der Duldungsausweis eines tunesischen Asylbewerbers gefunden. Schon wieder so ein seltsamer Ausweisfund nach einem Attentat. Sie erinnern sich? In New York fand man den unversehrten Ausweis von Mohammed Atta auf den Trümmern des World Trade Centers, in Paris den Ausweis eines der Schützen, die die Redakteure von Charlie Hebdo erschossen. Gehört es zur Handlungsanweisung des IS, den Ausweis zu hinterlassen statt eines Bekennerschreibens? Oder legt der Geheimdienst da die Spuren? Ja, wer da nicht zum Verschwörungstheoretiker wird, der glaubt auch, dass Herr Amri dem Verfassungsschutz ganz unbekannt war und ganz wunderbarerweise untertauchen konnte.
Und AfD und CSU haben es schon vorher gewusst und nach der Tat auch gleich: Die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel ist schuld! Auch an dem augenscheinlichen Vorbild, dem Attentat von Nizza? Und was wird nun verlangt? Soll jetzt die Bundeswehr Bomben auf Tunesien werfen, weil der Täter anscheinend daher kommt? Oder erhält jeder Flüchtling eine elektronische Fußfessel? Und warum ist nicht auch Putin schuld? Wie an den ausgebliebenen Massakern in Aleppo?
Frau Merkel trifft es ins Herz, als ein angeblicher Bürgermeister von Ost-Aleppo vor bevorstehenden Massakern der syrischen Armee an den Einwohnern von Aleppo warnt. Nur lebt dieser »Bürgermeister« in Istanbul und ist dort Vertreter der Terroristen. Von den Opfern in kurdischen Städten, die von Erdoğans Armee bombardiert wurden, redet keiner dieser Menschenrechtler. Aleppo ist nun von Terroristen befreit, der Abzug der Kämpfer wurde organisiert, Tausende wurden evakuiert, die angeblich bevorstehenden Massaker durch die syrische Regierung blieben aus. Umso schlimmer! Dieser Assad ist ein ganz Hinterhältiger! Und die Russen auch. Mit deren Vermittlung war es möglich, eine landesweite Waffenruhe ab 30. Dezember 2016 um 0 Uhr zu vereinbaren. Garantiemächte sind Russland und die Türkei. Das liegt vielleicht auch daran, dass die syrische Regierung zwölf Offiziere aus der Türkei, den USA, Israel und Saudi-Arabien gefangen genommen und namentlich vor der UN-Versammlung benannt hat, die versuchten, mit den Terroristen aus Aleppo zu entkommen. Bilder von Bewohnern, die auf den Straßen tanzen, weil ihre Stadt nun endlich befreit ist, werden hier nicht gezeigt – ist ja alles Propaganda des Feindes. Und damit postfaktisch. Das Wort des Jahres 2016! Die Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden erklärte, der Begriff stehe dafür, dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen zunehmend um Emotionen statt um Fakten gehe.
Wie auch in unserer Innenpolitik, wo Verkehrsminister Dobrindt wieder strahlt: Die PKW-Maut kommt. Der Bundesrechnungshof bezweifelt allerdings Dobrindts Gewinnrechnung und sieht auch den Einführungstermin 2018 als unrealistisch an. Nun denn – der Sinn der Maut ist endlich klar: Sie ist eine Voraussetzung für die Privatisierung der Autobahnen, die die Bundesregierung vorantreibt – trotz aller postfaktischen Dementis.
Aber immerhin: »Die Sprache der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch.« Das soll nach dem Willen des CDU-Parteitags so ins Grundgesetz aufgenommen werden. Ja, aber – was machen denn dann die Bayern? Was wird aus »Mir san mir!«? Auf saft- und kraftlosem Deutsch heißt das nur »Wir sind wir!« und klingt durch und durch postfaktisch.