Vor gut einem Jahr, am 16. Dezember 2016, endete eine dreimonatige Offensive der syrischen Armee und ihrer Verbündeten mit der Einnahme der Stadtteile im Osten Aleppos, die seit August 2012 von regierungsfeindlichen Milizen besetzt gewesen waren. Fast zeitgleich hatte auch die Rückeroberung der nordirakischen Millionenstadt Mossul aus den Händen des »Islamischen Staates« (IS oder arab. despektierlich Daesch) begonnen.
Die Ausgangslage war in den beiden Metropolen ähnlich. Sowohl Ost-Aleppo als auch ganz Mossul standen unter Kontrolle islamistischer Kräfte. Beide wurden von Regierungstruppen mit ausländischer Unterstützung belagert, bombardiert und schließlich gestürmt. Die Darstellung in Politik und Medien hätte jedoch unterschiedlicher kaum sein können.
Die Schlacht um Mossul, wo sich nach Schätzung westlicher Geheimdienste 7000 bis 10.000 Dschihadisten unter rund eineinhalb Millionen Einwohnern verschanzt hatten, wurde durchgehend als Feldzug für die Befreiung begrüßt. Die Offensive zur Rückeroberung Ost-Aleppos aus den Händen von rund 8000 islamistischen Kämpfern wurde hingegen als ungerechtfertigter, grausamer, verbrecherischer Angriff auf die »Opposition«, die »Rebellen« oder gar die gesamte Bevölkerung der Stadt verurteilt. In Ost-Aleppo lebten noch 150.000 bis 250.000 Bewohner.
Indem man den Charakter dieser »Opposition« und ihr tatsächliches Verhältnis zur Mehrheit in der Stadt ausblendete, ließ man den Eindruck entstehen, es handele sich um fortschrittliche Kräfte. Kämpfer, die Stadtviertel verteidigen, die von den Aleppinern allgemein als »befreite Gebiete« angesehen würden.
Ausgehend von diesem Narrativ entwickelte sich die wohl größte Propagandaschlacht im Rahmen des Krieges in und gegen Syrien. Der Name »Aleppo« sei in deutschen Medien, so Daniela Dahn, geradezu zum »Synonym für einen mythischen Kampf zwischen Gut und Böse« geworden.
Aleppo war für das Regime-Change-Projekt der NATO-Mächte und ihrer lokalen Verbündeten von zentraler Bedeutung. Die Niederlage der dortigen Milizen bedeutete auch faktisch dessen Ende. Der Westen suchte daher den Preis für die syrische und russische Regierung so hoch wie möglich zu treiben, indem er deren militärisches Vorgehen auf allen möglichen Ebenen skandalisierte.
Dabei war es kein Geheimnis, dass die heroisierten Verteidiger überwiegend aus dschihadistischen Milizen bestanden, die vom syrischen Al-Kaida-Ableger, der in »Fatah asch-Scham« umbenannten Al-Nusra-Front, dominiert wurden. Gruppen also, die dem IS hinsichtlich ihrer reaktionären, islamistischen Ideologie und Brutalität kaum nachstehen. Berichte von Flüchtlingen über deren islamistische Terrorherrschaft wurden ignoriert. Ebenso die Angriffe der Milizen mit Raketen, Mörsergranaten, Autobomben und Selbstmordattentaten auf die westlichen Viertel der Stadt. So wurde der Eindruck vermittelt, die syrischen und russischen Luftangriffe würden durchgängig auf zivile Einrichtungen zielen. Oft wurde nicht einmal erwähnt, dass sich die Offensive nur auf den Ostteil richtet, und so der Anschein geweckt, Regierungstruppen und russische Luftwaffe wollten die ganze Stadt in einem Inferno untergehen lassen. Westliche Befürworter eines direkteren militärischen Eingreifens erklärten Aleppo zum Symbol für eine hilflose internationale Gemeinschaft. »Aleppo, Chiffre für moralisches Totalversagen« überschrieb zum Beispiel der Spiegel einen Artikel über eine Talk Show von Anne Will zum Thema »Ist Aleppo verloren?«, in der sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen (CDU), für Flugverbotszonen eingesetzt hatte.
Während die Medien den Sturm auf Mossul mit Schlagzeilen wie »Die Offensive kommt schnell voran« begleiteten, hieß es zu Aleppo »Assad und Putin bomben Syrien zurück in die Steinzeit« und »Nichtstun ist die schlechteste Option«. Westliche Medien hatten keine Scheu, sich offen hinter die Al-Kaida-nahen Gruppen zu stellen. So berichtete der Spiegel in einem Artikel durchaus korrekt, dass die kampfstärksten Milizen »für einen syrischen Staat kämpfen, in dem ihre fundamentalistische Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia« gelten solle, bezeichnete sie aber dennoch als »Aleppos letzte Hoffnung«.
Dieser Ansicht waren sicherlich nur wenige Bewohner Aleppos. Die Milizen waren von außen in den Osten eingedrungen und hatten mit Gewalt ihr islamistisches Regime errichtet. Der Großteil der Bewohner war geflüchtet, meist in den Westteil. Die Mehrheit in Aleppo betrachtet daher die »Vertreibung der Terroristen«, wie sie von interviewten Bürgern meist genannt wurden, durchaus als Befreiung.
Die romantisierende Darstellung der Dschihadisten als Verteidiger der Freiheit führte dazu, dass Quellen aus ihrem Umkreis eine enorme Glaubwürdigkeit zugebilligt bekamen. Nicht nur bei den Medien, die ohnehin gern bereit sind, alles anzunehmen, was zu dem Bild passt, das sie präsentieren wollen, sondern auch bei Organisationen, wie Amnesty International und Human Rights Watch. Egal ob es sich um Berichte über »Fassbomben-Abwürfe«, »Angriffe auf Krankenhäuser« oder ähnliche Vorwürfe handelte, primäre Quellen waren in den meisten Fällen ausschließlich oppositionelle Gruppen, wie das »Aleppo Media Center«, die mehr oder weniger eng mit den Milizen verbandelt waren.
Unabhängige Journalisten hingegen konnten kaum in die von den Milizen kontrollierten Gebiete vordringen. Kritik kam vom Nahost-Korrespondenten des britischen Independent, Patrick Cockburn. Er beklagte, dass in dieser Situation ausländische Medien es zuließen, dass Leute, die nur mit dem Segen der Al-Kaida-nahen Gruppen vor Ort aktiv sein konnten, die Berichterstattung dominierten.
Das hat nicht nur die antisyrische, konfliktverschärfende Propaganda verstärkt, sondern nebenbei auch die Gefahr für Auslandskorrespondenten in Syrien, die aus den umkämpften Gebieten berichten wollen. Denn die Dschihadisten taten nun alles ‒ von Entführungen bis zur Ermordung ‒, um sicherzustellen, dass Berichte ausschließlich von »lokalen Aktivisten« oder »Bürgerjournalisten«, wie sie in den Medien oft genannt werden, kommen, die mit ihnen sympathisieren oder von ihnen kontrolliert werden.
Es wäre allerdings blauäugig, anzunehmen, dass die ansprechende, professionelle und erfolgreiche PR-Arbeit allein das Werk der Milizen und der mit ihnen verbündeten Gruppen wäre. Arabische und westliche Regierungen haben von Beginn an ziemlich offen eine große Rolle bei der Finanzierung und Ausbildung regierungsfeindlicher Mediengruppen gespielt.
Das »Aleppo Media Center« beispielsweise, das zu den wichtigstes Informationsquellen westlicher Medien in Aleppo zählte, wurde maßgeblich vom französischen Außenministerium finanziert, erhielt aber auch Millionenzuschüsse aus Washington, London und Brüssel. Gleichzeitig war es aber eng vernetzt mit den dschihadistischen Gruppen. Finanziell noch besser ausgestattet sind die sogenannten Weißhelme, von denen ebenfalls viele Berichte und Bilder aus Aleppo stammten. Den Weißhelmen flossen bisher weit über 100 Millionen Euro zu. Der größte Teil kam aus Washington, London und den Golfstaaten, aber auch das deutsche Auswärtige Amt hatte bis Ende 2016 schon zwölf Millionen Euro beigesteuert. Das meiste Geld stecken die Weißhelme offensichtlich in professionelle Medienarbeit. Betreut werden sie dabei von der »Syria Campaign«, einer finanzstarken PR-und Lobby-Firma, die eng mit der US Agency for International Development (USAID) zusammenarbeitet.
Diese seltsame Zivilschutzgruppe entstand keineswegs auf Initiative syrischer Aktivisten, sondern der ehemalige britische Offizier James Le Mesurier gegründete sie. Er ist heute unter anderem als Militärberater für Katar tätig. Im Unterschied zum offiziellen syrischen Zivilschutz kennen in Syrien nur wenige die Weißhelme, da sie nur in den von regierungsfeindlichen Milizen kontrollierten Gebieten aktiv sind. Sie sind nachweislich eng mit dschihadistischen Gruppen verbunden. Beispielsweise existiert ein Video, das zeigt, wie sie bei der Exekution eines Mannes durch die Al-Nusra-Front assistieren, indem sie anschließend seine Leiche wegtragen.
Doch dies schadet ihrer Popularität so wenig, wie der häufige Nachweis, dass Bilder, die sie verbreiten, nicht das zeigen, was sie vorgeben. Die Weißhelme erhielten dennoch den Alternativen Nobelpreis, und eine Kurz-Dokumentation über sie bekam einen Oscar. Im Dezember 2016 überreichte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier ihrem Chef Raed al-Saleh gar den »Deutsch-französischen Preis für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit«.
Im Dezember 2016 überreichte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier ihrem Chef Raed al-Saleh gar den »Deutsch-französischen Preis für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit«.
In allen Kriegen wird Desinformation betrieben. Aber in Bezug auf Syrien haben fabrizierte und absolut einseitige »Nachrichten« die Berichterstattung in einem Maße dominiert, wie vermutlich seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr, so das Fazit von Patrick Cockburn, der in den letzten Jahrzehnten viele Kriege beobachten konnte.
Nur durch die breite, massive Beeinflussung der internationalen Öffentlichkeit war es möglich, die aggressive Regime-Change-Politik fortzusetzen.