Johan Simons hat für das Wiener Burgtheater den »Radetzkymarsch« nach Joseph Roths Romanvorlage inszeniert. Eine Elegie auf den Untergang einer ganzen Welt. Der Radetzkymarsch wird im Stück nicht gespielt. Das stört die Österreicher! Ein weiteres Schauspiel begann am 12. Dezember 2017 im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichtes: der Korruptionsprozess gegen Karl-Heinz Grasser, den Finanzminister der ÖVP/FPÖ-Koalition 2000 bis 2007. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm und 14 weiteren Angeklagten Untreue, illegale Absprachen und Provisionszahlungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von 60.000 Bundeswohnungen vor. (Die BUWOG ist übrigens in Berlin der zweitgrößte Immobilienbesitzer.) Das ist fast 15 Jahre her. Die damals regierende ÖVP/FPÖ-Koalition hatte sich ein radikales Privatisierungsprogramm gegeben – wie die jetzige neue ÖVP/FPÖ-Regierung.
Die Vergehen dieser ersten bürgerlich-rechtspopulistischen Schüssel-Haider-Koalition sind noch nicht geklärt, da wurde am 18. Dezember 2017 in der Bundespräsidentenkanzlei der kaiserlichen Hofburg in Wien, dem ehemaligen Sitz der absolutistischen Habsburger, die Kurz-Strache-Koalition angelobt. Gegenwart und Vergangenheit treffen sich, und der Traum eines Teils der österreichischen Bevölkerung samt Politikerinnen und Politiker vom großen k. u. k. Reich lässt den Schluss zu, man habe gegen eine absolutistische Herrschaft heute wenig einzuwenden. Wer dann da den neuen »Grasser« geben wird, ist noch offen. Die Wählerinnen und Wähler wussten, dass Vizekanzler Heinz-Christian Strache mit 15 Jahren Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft Vandalia war und auch Treffen der deutschen Wiking-Jugend besuchte. Von den 51 Nationalratsabgeordneten der FPÖ sind laut Dokumentationszentrum Österreichischer Widerstand (DÖW) 20 »völkisch korporiert«, unter ihnen Martin Graf.
Im Vergleich zur ersten rechtspopulistischen Regierung in Österreich herrscht diesmal schon fast jene Friedhofsruhe, die sich die Herrschenden wünschen. Die Medien kommentieren höchstens stirnrunzelnd, man will die zu erwartenden Anzeigenaufträge der neuen Regierung nicht verlieren. Und die EU-Granden haben kaum Sorgenfalten, wenn der Welt jüngster Regierungschef, Sebastian Kurz, das in seiner Regierung fortsetzt, was er schon im Wahlkampf verkündete: »Österreich zurück an die Spitze. Für uns alle. Tun, was richtig ist.« Für Österreich: »Diesmal Kurz. – Damit sich was bewegt«, das andere Mal mit »Jetzt. Oder nie! Wieder mehr für die Fleißigen tun! Wieder mehr zum Leben haben!«
Die Nationalratswahl am 15. Oktober in Österreich hat gezeigt, dass es keine linke Kraft gibt, die ohne Wenn und Aber für soziale Reformen kämpft und dazu auch noch antikapitalistisch machbare Perspektiven anbietet.
»Ein neuer Stil – es ist Zeit« – so warb der junge Kurz, der die bürgerliche Bündepartei ÖVP zur »Bewegung« machte. Ja, die Zeit rückt näher, die in Österreich jene Angst schürt, hoffnungslos in eine Zukunft zu gehen, die rasch zur Vergangenheit werden könnte. Hier die wichtigsten Maßnahmen von ÖVP-Kurz/FPÖ: Flexibilisierung der Arbeitszeit einschließlich Zwölf-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche; noch stärkere Benachteiligung von Frauen, besonders alleinerziehenden; Studiengebühren; Schwächung der Arbeiterkammer und der Gewerkschaften; Erosion der Kollektivverträge (Manteltarifverträge) und damit schlechtere Arbeitsbedingungen; eine systematische Politik der Spaltung der Lohnabhängigen nach Nationalität, Passfarbe, Herkunft, Alter, Geschlecht und Wohnort; noch schärfere Diskriminierung von Migrant/innen und Asylsuchenden; Erhöhung der Mieten durch Aufweichung des Mietrechts und Eigentumsförderung; Stärkung der privaten Versicherungen; Steuergeschenke für Wohlhabende; Normalisierung rechtsextremer und deutschnationaler Organisationen.
Eine besonders schlaue Maßnahme ist eine Idee, die dem türkischen Despoten Erdoğan abgeschaut wurde und ihm den Machterhalt sicherte: den Südtirolern neben ihrem italienischen Pass auch einen österreichischen Pass anzubieten, samt Wahlrecht in Österreich. Auch so lässt sich Macht absichern, denn die Südtiroler Bevölkerung wählte schon immer konservativ.
Das Regierungsprogramm, fast 200 Seiten stark, ist ein Programm, bei dem die Reichen reicher werden und das Kapital mehr denn je den Ton angeben wird. Nur wenige Seiten sind der Kulturpolitik gewidmet, die vor allem den freien Kultur- und Kunstprojekten die Zuwendungen kürzen wird, wie es die ÖVP/FPÖ-Koalition im Bundesland Oberösterreich bereits praktiziert. Das Programm ist Ausdruck einer autoritären Wende. ÖVP, FPÖ und NEOS verfügen im Nationalrat über eine verfassungsändernde Mehrheit. Nichts deutet darauf hin, dass das neue rechts-autoritäre Staatsprojekt nicht stabil und erfolgreich sein wird. Nach der Angelobung der Regierung war der Protest in Wien mit etwa 10.000 Menschen gering. Bei der Angelobung der Regierung Schüssel/Haider hatten an die 300.000 protestiert! Und außer der Liste Pilz, die in der ersten Nationalratssitzung vier Entschließungsanträge zu den Themen CETA-Volksabstimmung, Eurofighter-Ausstieg, Unterhaltsvorschuss und VW-Sammelklage einbrachte, gab es wenig Substantielles zu hören.
Da 2018 in Kärnten, Niederösterreich, Tirol und in Salzburg Landtagswahlen stattfinden, dürfte die schwarz-blaue Regierung erst nach diesen Wahlen, bei denen sich ÖVP und FPÖ weiter stärken könnten, ihre »Zurückhaltung« aufgeben.
Wie lange wird es noch in Deutschland dauern, bis – wie in Österreich – eine CDU/CSU/AfD-Regierung möglich wird?
Der Roman »Radetzkymarsch« endet so: Kaiser Franz Joseph I. stirbt am 21. November 1916. An dem Tag, an dem er in der Kapuzinergruft bestattet wird, schließt auch Baron Franz von Trotta für immer die Augen. Doktor Skowronnek meint: »Ich glaube, sie konnten beide Österreich nicht überleben.«
Diese Regierung in Österreich hält mehr von sich, als sie ist, und das Volk hat jenen erweiterten Horizont schon lange verloren, um das zu durchschauen, denn Kapital und herrschende Politik hat nicht nur in Österreich die Börse, die Presse und das Unterbewusstsein der Bevölkerung erobert.
Was tun?
Zwo-drei-vier – Radetzkymarsch!