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Titel118

Der Wanderprediger  (Ralph Hartmann)

Recht still ist es um ihn geworden, um den Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Rainer Eppelmann. Hat die Stiftung etwa die Aufarbeitung abgeschlossen? Um Himmels willen, seit dem Untergang der DDR sind doch gerade erst einmal 27 Jahre vergangen. Die Aufarbeitung der »SED-Diktatur« ist bekanntlich eine Jahrhundertaufgabe. So ist es nur selbstverständlich, dass die Aufarbeitungseinrichtung unter der Führung Eppelmanns und der des Stiftungsratsvorsitzenden und bekannten Diktaturbekämpfers Markus Meckel emsig weiter »zur umfassenden Aufarbeitung von Ursachen, Geschichte und Folgen der Diktatur in SBZ und DDR« beiträgt. Schließlich will sie nach eigenem Bekunden »die Erinnerung an das geschehene Unrecht und die Opfer wachhalten sowie den antitotalitären Konsens in der Gesellschaft, die Demokratie und die innere Einheit Deutschlands fördern und festigen«. Unermüdlich folgt sie ihrem »Leitmotiv«: »Anstoßen und Fördern, Informieren und Vernetzen«. Gemäß diesem hehren Motiv hat sie seit ihrer Gründung über tausend Forschungsprojekte zur DDR auf den Weg gebracht. Auch zukünftig will sie »Partnerin von Gedenkstätten, Museen, Geschichtsvereinen, unabhängigen Archiven, der Verbände der Opfer der SED-Diktatur, der Länder und Kommunen, der Wissenschaft und der politischen Bildung sowie der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit« sein. Allein 2018 unterstützt sie bundesweit 159 Projekte zur Diktaturaufarbeitung mit rund 2,65 Millionen Euro. Das Vaterland wird es ihr danken.

 

Ein wenig still ist es um Eppelmann geworden, weil er es vorzieht, mehr und mehr im Stillen zu wirken, vor allem in Schulen aufzutreten, um die »schulische Bildungsarbeit« voranzubringen. Dabei liebt er es, die Schüler in seine Erzählungen einzubeziehen. So auch im Mai 2017 in der Lise-Meitner-Schule in Moordeich, wo er vorschlug »sozialistische Schule« zu spielen. Das ging dann so: »Eure Lehrer wurden angehalten, anlässlich meines Besuchs darauf zu achten, dass ihr anständig gekleidet seid. Das heißt, jeder trägt entweder Pionier- oder FDJ-Uniform. Wer sich kapitalistisch kleidet – sprich Jeans trägt – wird weggeschickt.« »Also du, du und du«, sagte Eppelmann und zeigte auf die Jugendlichen in der ersten Reihe. Schweigen trat ein, in das Eppelmanns leise Stimme drang: »Wie demütigend. Wie menschenverachtend.« Wie wahr, wie wahr! Oder auch nicht? Dem vortragenden Ex-Pfarrer war lediglich entfallen, dass seit Beginn der 1970er Jahre Jeans, damals noch »Niethosen« genannt, zur Alltagsbekleidung von Schülern in der DDR gehörten. Die Textilbetriebe produzierten eifrig diese Hosen mit so schönen Namen wie »Wisent«, »Boxer« oder »Shanty«. Auch importiert wurden sie, so zum Beispiel eine Million »Levi‘s« aus den USA und über eine halbe Million aus Manila. Eppelmann übersah diese Tatsachen und beendete das Schulspiel mit dem einzig möglichen Fazit, dass die Folge einer solchen Politik verheerend sei: »Aus Menschen werden Flüsterer … Leute, die sich nicht trauen zu sagen, was sie denken, fühlen oder wünschen.«

 

Ein ähnliches Programm bot der Aufarbeitungschef Ende September des Vorjahres im Neuen Gymnasium Glienicke, in dem er, organisiert von der Konrad-Adenauer- Stiftung, zum Thema »Von der Katastrophe zum Traumland Deutschland 1945–2017« referierte. Wie begeistert die Gymnasiasten anschließend vom »Traumland« Bundesrepublik waren, wurde nicht bekannt.

 

Am 10. Oktober 2017 war der Vortragsreisende zu Gast beim Evangelischen Arbeitskreis Mönchengladbach und referierte zu seinem Lieblingsthema »DDR aus heutiger Sicht«. Zwei Tage danach trat er in Schongau auf. Im dortigen Ballensaal blickte er, wie nicht anders zu erwarten, auf die SED-Diktatur zurück. Auch hier schilderte er die furchtbare Unterdrückung der DDR-Bewohner, um sich dann an seine Zuhörer zu wenden und neidvoll einzugestehen, dass diese »uns 40 Jahre Demokratie voraus« hätten. Die Menschen aus der ehemaligen »Ostzone« dagegen müssten erst einmal lernen, was es heißt, frei wählen zu dürfen. Und mit dieser Freiheit verantwortlich umzugehen.

 

Je weiter der Wanderprediger im Westen Deutschlands auftritt, umso größer sind in der Regel die Aufmerksamkeit und die Dankbarkeit seiner Zuhörer. Als er im März des vergangenen Jahres einen Vortrag im Rhein-Kreis Neuss hielt, konnte die erste stellvertretende Vorsitzende der dortigen CDU nicht mehr an sich halten, es brach förmlich aus ihr heraus: »Ich bin beeindruckt von Ihrem Lebensweg. Gegen Sie sind viele Männer Waschlappen – Anwesende ausgenommen.« Eppelmann hatte sich dieses Lob redlich verdient. Als er die Unterdrückung in der DDR schilderte, erinnerte er sich, noch immer entsetzt über die erlebte Unfreiheit: »Wir alle sollten uniformierte graue Mäuse werden.« Mit anderen Worten: Die SED-Diktatur habe aus allen DDR-Bürgern »unscheinbare Personen, die wenig aus sich zu machen verstehen, denen wenig Beachtung geschenkt wird und die man für farblos hält« (Duden), machen wollen. Schrecklich, einfach schrecklich! Aber der Aufarbeitungsexperte weiß, wovon er spricht, und so fügte er zur Erläuterung hinzu, dass Angst das öffentliche Leben beherrscht habe und »die Bürger in allen kommunistischen Diktaturen zu Flüsterern wurden«. Neuerdings liebt Eppelmann diese Formulierung, möglicherweise hat er das fundamentale Werk von Orlando Figes »Die Flüsterer« gelesen, in dem ein Einblick in die Innenwelt gewöhnlicher Sowjetbürger gegeben und gezeigt wird »wie Einzelne oder Familien in einem von Misstrauen, Angst, Kompromissen und Verrat beherrschten Alltag um ihr Überleben kämpften«.

 

In seinem Hass auf die »kommunistische Diktatur« wird er von wenigen übertroffen, möglicherweise von Hubertus Knabe, er schmäht und verurteilt sie nach seinen besten Kräften. Ein wenig auffällig ist allerdings, dass er sich zur faschistischen Diktatur so gut wie nicht äußert. Zitierbare Erklärungen über Hitlerfaschismus, NSDAP und Gestapo sind nicht bekannt. Dieses schwarze Loch damit zu erklären, dass sein Vater SS-Unterscharführer und Wächter in den Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsenhausen war, wäre möglicherweise eine böse Unterstellung.

 

Auf der schon erwähnten Veranstaltung in Schongau bekannte Eppelmann, erst kürzlich zu seiner Frau gesagt zu haben: »Mein größter Wunsch ist es, 93 Jahre alt werden. Dann habe ich ein Jahr länger in einer Demokratie gelebt, als in einer Diktatur.« Möge sein Wunsch in Erfüllung gehen. Er hat es wahrlich verdient.