Abschottung und Abschreckung sind schon seit längerem wesentliche Elemente der Asylpolitik der Europäischen Union. Der Rechtsruck in zahlreichen Mitgliedsstaaten sorgt für weitere Verschärfungen. Es geht mittlerweile nicht mehr »nur« um unwürdige Unterbringungen, unfaire Asylverfahren und rigorose Abschiebungen: Als Ziel der europäischen Politik wird immer offener ausgegeben, dass Flüchtlinge überhaupt nicht mehr in die EU gelangen sollen. Markstein dieses Konzeptes ist die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten, allen voran den nordafrikanischen Staaten.
Im Frühjahr 2018 starteten die CSU und die italienischen Regierungsfaschisten einen, unterschiedlich motivierten, Angriff auf die EU-Flüchtlingspolitik.
Horst Seehofer forderte am EU-Recht vorbei eine Radikalisierung des Dublin-Systems (das die Zuständigkeit jenes EU-Landes für das Asylverfahren festschreibt, das ein Flüchtling zuerst betritt) und ultimativ von der Bundeskanzlerin feste Vereinbarungen zur drastischen Absenkung der Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland gelangen. Andernfalls drohte er, eigenmächtige Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen zu veranlassen. Die italienische Regierung forderte hingegen das faktische Ende der Dublin-Regelung. Eine Einigung wurde dadurch verkompliziert, dass besonders osteuropäische Staaten sich kategorisch weigern, Flüchtlinge von anderen EU-Staaten zu übernehmen. Auf einem Krisengipfel Ende Juni 2018 einigten sich die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten letztlich auf zwei Ideen: Für Flüchtlinge sollten künftig »kontrollierte Zentren« innerhalb der EU sowie »Anlandeplattformen« (disembarkation platforms) außerhalb der EU eingerichtet werden.
Die sogenannten kontrollierten Zentren (im englischen Original »controlled centres«; deutsche Behörden zeigen eine Tendenz, sie falsch als »kontrollierte Einrichtungen« zu bezeichnen, um eine politisch sensible Semantik zu vermeiden) sollen zur Aufnahme und Abfertigung jener Flüchtlinge dienen, welche aus Seenot gerettet und nach Europa gebracht werden. Details vereinbarten die Regierungen damals nicht, ein Konzeptpapier der EU-Kommission sieht aber vor, dass die Flüchtlinge in den Zentren innerhalb von acht Wochen identifiziert und registriert und ihre Asylanträge vorgeprüft und in die Kategorien »aussichtsreich«, »nicht aussichtsreich«, »unzulässig« sortiert werden. Es fehlt nicht der Hinweis auf einen zügigen Abschiebemechanismus. Wie das »Binnenregime« der Zentren gestaltet werden soll (Stichwörter Residenzpflicht, Rechtsberatung, medizinische Versorgung, Verpflegung), darüber schweigt sich das Konzept aus. Es versichert lediglich, EU-Recht werde eingehalten, ohne allerdings darauf einzugehen, dass dessen Auslegung in den Mitgliedsstaaten zum Teil ganz erheblich variiert, genauso wie die Anerkennungsquoten von Flüchtlingen. Die Zustände in den bereits existierenden »Hotspots« vor allem in Griechenland, die von massiver Überbelegung und katastrophalen hygienischen Zuständen geprägt sind, lassen jedenfalls für die neuen Zentren nichts Gutes erwarten. Auch die Problematik, dass die Einstufungspraxis sogenannter sicherer Herkunftsstaaten innerhalb der EU uneinheitlich geregelt wird, blendet das Papier völlig aus. Mitgliedsstaaten, die solche Zentren einrichten, sollen eine Art Kopfgeld von 6000 Euro pro Flüchtling erhalten. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission hätte schon vor Monaten eine Pilotphase starten sollen – tatsächlich kommt die Umsetzung aber nicht voran. Denn entscheidend für die Einrichtung der Zentren ist die Freiwilligkeit des Aufnahmelandes. Und bisher hat niemand »hier« gerufen.
Beinhalten die »kontrollierten Zentren« wenigstens noch einen Rest an Asylverfahren, setzt das Konzept regionaler »Anlandeplattformen« darauf, Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa abzufangen. Bisher werden sie nach Rettung auf hoher See in der Regel in Häfen der EU gebracht; künftig aber sollen sie nach Nordafrika zurückverbracht und dort abgefertigt werden. Auch jene Flüchtlinge, die innerhalb Afrikas in Richtung Mittelmeerküste unterwegs sind, sollen in diese »Anlandeplattformen« gebracht werden. In den »Anlandeplattformen« soll in kurzer Zeit zwischen »irregulären Migranten« und solchen, die einen Schutzanspruch geltend machen könnten, unterschieden werden. Für erstere ist die Abschiebung in ihre Herkunftsländer vorgesehen, wobei Maßnahmen zu treffen seien, um ihre erneute Migration zu verhindern. Wer als schutzberechtigt eingestuft wird, soll trotzdem nur im Ausnahmefall nach Europa kommen dürfen: Vorgesehen wird, das Asylsystem in den nordafrikanischen Aufnahmeländern zu stärken. Die Umsiedlung in die EU sei lediglich eine von mehreren Optionen, heißt es im EU-Konzept. Es könne durchaus das Problem entstehen, dass man Migranten hat, die weder umgesiedelt noch vor Ort verbleiben, aber auch nicht abgeschoben werden könnten, wie beispielsweise allein geflüchtete Kinder. Dem müsse man sich widmen, heißt es im Ton völliger Belanglosigkeit.
Auch für die »Anlandeplattformen« wird die Kostenübernahme durch die EU zugesagt, die ebenso für die Abschiebung der abgelehnten Asylsuchenden aufkommen will. Wie das Leben im Innern der Lager aussehen und ob – und welche – europäischen Rechtsstandards in den dort durchgeführten Asylverfahren eingehalten werden sollen, darüber schweigt sich das EU-Papier aus. Es heißt lediglich allgemein, die Orte müssten »sicher« und »menschenwürdig« sein, andererseits wird aber auch mehrfach betont, man wolle keinesfalls »Pullfaktoren« schaffen – die Lager sollen deshalb erstens weit von der Küste entfernt liegen und zweitens so beschaffen sein, dass sie keine Anreize zur Migration darstellen.
Die EU hofft darauf, die geplanten Lager in jenen Ländern aufbauen zu können, mit denen sie bereits enge Partnerschaften bei der Stärkung des jeweiligen Grenzregimes unterhält – im Prinzip also alle nordafrikanischen Staaten. Tatsächlich ist sie aber noch keinen Schritt vorangekommen: Die in Frage kommenden Länder zeigen kein Interesse daran, asylpolitische Exklaven der EU zuzulassen. Auch die Afrikanische Union hat den EU-Plänen eine Absage erteilt.
Geht es nach Österreich – und einer ganzen Reihe osteuropäischer EU-Mitgliedsstaaten –, soll das Asylsystem in Europa ohnehin abgeschafft werden: In ihrer Einladung zu einem Treffen des Ständigen Ausschusses für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit (COSI) Anfang Juli 2018 in Wien sprachen die Österreicher, die damals die EU-Ratspräsidentschaft innehatten, Klartext. Konsequent ihrer rassistischen Logik folgend, formulierte die österreichische Regierung das Ziel »eines neuen, besseren Schutzsystems, bei dem keine Asylanträge mehr auf EU-Boden gestellt werden«. Das Einladungsschreiben strotzte vor rassistischen Klischees. So hieß es darin etwa, Migranten hätten »wegen ihrer Prägung«, oftmals »beträchtliche Probleme mit dem Leben in freien Gesellschaften« oder lehnten Letztere sogar ab. Die Rettung von Menschenleben auf hoher See wurde darin als »wirkungslos« bezeichnet – mit der Begründung, die Geretteten würden anschließend in EU-Häfen gebracht – als ob die Rettung von Menschenleben nicht per se anzustreben sei. Ferner wird in dem Schreiben der Vorschlag geäußert, Flüchtlinge, die sich »nicht rechtmäßig« in der EU aufhalten, in »Rückkehrzentren« von Drittstaaten zu verbringen.
Zwar mag es für diese zynischen Pläne noch keine politische Mehrheit geben, und deutsche Diplomaten zeigten sich zumindest über die Wortwahl der österreichischen Gastgeber befremdet, doch wäre es vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen, mit solchen rassistischen Tönen zu einem EU-Treffen einzuladen. Der neue Ton zeigt exemplarisch, wie stark sich der politische Diskurs in der EU und die Zielformulierung der EU-Asylpolitik nach rechts verschoben haben.
Frontex als »echte« Polizeitruppe
Die Absichtserklärungen zu »kontrollierten Zentren« und »Anlandeplattformen« deuten die allgemeine asylpolitische Entwicklungsrichtung an, doch die EU-Kommission kann durchaus auch konkreter werden: Am 12. September 2018 stellte sie den Vorschlag zur Änderung der Frontex-Verordnung vor (EU-Ratsdokument 12143/18). Er sieht eine massive Aufrüstung der Agentur auf 10.000 Mitarbeiter vor – und zwar schon bis 2020. Deutschland soll 1257 Einsatzkräfte stellen. Zum Charakter einer »echten Grenzpolizei« (O-Ton EU-Kommissionschef Juncker) gehört, dass Frontex-Beamte an den EU-Außengrenzen auch hoheitliche Aufgaben übernehmen sollen, also beispielsweise Reisedokumente überprüfen, Einreisen zulassen oder ablehnen und Abschiebungen durchführen. Als Ziel wird auch die Bekämpfung von »Sekundärmigration« genannt, das heißt, Flüchtlinge sollen daran gehindert werden, in andere EU-Länder zu gelangen. »Teammitglieder dürfen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Befugnisse Dienstwaffen, Munition und Ausrüstung mit sich führen.« Auch das ist neu.
Die Zahl von 10.000 Mitarbeitern stellt mehr oder weniger die aufgerundete Summe des Personals dar, das die EU-Mitgliedsstaaten bereits aktuell zugesagt haben. Nur: Die Zusagen erfolgten freiwillig, und sie sind unverbindlich. Es klappt einfach nicht, aus Sicht der Kommission. Nach ihren Angaben sind im Jahr 2017 an den Landgrenzen »lediglich 49 Prozent der Grenzschutzbeamten und vier Prozent der Ausrüstung« zusammengekommen, die zugesagt waren. Außerdem klagt sie, die Zusagen erstreckten sich immer auf konkrete Standorte und Zeiträume und könnten deshalb nicht flexibel umgeschichtet werden. Deswegen brauche es nun eine stehende Truppe von 3000 fest angestellten Frontex-Mitarbeitern. Die restlichen 7000 sollen sich weiterhin aus von den EU-Staaten abgeordneten Personen zusammensetzen, aber mit einem höheren Verbindlichkeitsgrad. Ein Teil des Personals soll zudem langfristig abgestellt werden.
Der EU-Haushalt müsste für die Jahre 2019 und 2020 um insgesamt 577,5 Millionen Euro aufgestockt werden. Für den Zeitraum von 2021 bis 2027 wäre ein Gesamtbeitrag von 11,27 Milliarden Euro erforderlich. Besonders brisant: Im »Notfall« sollen die Frontex-Leute ihre exekutiven Befugnisse auch wahrnehmen können, ohne dass ein Mitgliedsstaat zuvor darum gebeten hat, eventuell sogar gegen dessen Willen. Es ist fraglich, ob die betroffenen Staaten zu diesem Souveränitätsverzicht bereit sind, aber auch hier ist die Richtung deutlich. Der von der EU-Kommission vorgestellte Zeitplan hat sich allerdings in kurzer Zeit als zu ambitioniert herausgestellt, auf dem Treffen der Innenminister Anfang Dezember 2018 wurde die Aufstockung von Frontex auf die Jahre 2025 bis 2027 verschoben.
Afrikanische »Partnerschaften«
Ein Baustein auf dem Weg zur Totalverhinderung von Asylanträgen auf europäischem Boden ist die Zusammenarbeit der EU mit Transitstaaten, um Fluchtmigration so schwierig wie möglich zu machen. In ihrem Beschluss für Anlande- und kontrollierte Asylzentren von Ende Juni 2018 hielt die EU daher auch fest, die Ausbildung und die Ausrüstung der libyschen Küstenwache seien »Schlüsselkomponenten« ihres Konzeptes. Denn Libyen ist aufgrund des Verfalls staatlicher Strukturen – der wiederum eine Folge des Krieges von 2011 gegen das Land ist – eines der Haupt-Transitländer afrikanischer Flüchtlinge. Dementsprechend arbeitet die EU bei der Abwehr von Flüchtlingen mit dem derzeit herrschenden Milizenbündnis. Die 2013 eingesetzte Polizeimission EUBAM Libyen dient der Aus- und Fortbildung der libyschen Polizei inklusive des Grenzschutzes und soll die libyschen Behörden bei Aufbau und Umsetzung einer »integrierten Grenzmanagementstrategie« unterstützen. Die Umsetzung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen wird derzeit jedoch durch den Umstand gehemmt, dass aufgrund der nach wie vor instabilen Sicherheitslage der Großteil der momentan 38 von der EU abgeordneten Polizeibeamten (davon maximal zwei Bundespolizisten) außerhalb Libyens, nämlich in Tunis, stationiert ist.
Die polizeiliche Komponente wird durch eine militärische ergänzt, die wesentlich umfangreicher ist: Die 2015 begonnene EU-Mission EUNAFVOR Med »Sophia« dient offiziell dem Ziel der Bekämpfung der Schleuser – was faktisch mit der Verhinderung »irregulärer« Migration identisch ist. Zum Auftrag dieser Militärmission gehören die Seeraumüberwachung, das Aufbringen von Schleuserbooten – auch innerhalb libyscher Hoheitsgewässer – sowie die Ausbildung und der Aufbau der libyschen »Küstenwache«. Nach Angaben der Bundesregierung erhielten bis Oktober letzten Jahres 238 Angehörige dieser – im Wesentlichen aus Bürgerkriegsmilizen gebildeten – »Küstenwache« eine Ausbildung, zumeist auf EU-Kriegsschiffen, zum Teil aber auch auf dem kroatischen oder italienischen Festland.
Besonders zynisch: Die libysche »Küstenwache« wird auch aus dem sogenannten Nothilfefonds der EU für Afrika finanziert. Mindestens 46 Millionen Euro wurden 2017 für das »Management der See- und Landgrenzen« bereitgestellt, womit die Ausbildung gemeint ist, aber zum Beispiel auch die Instandsetzung von Schiffen, der Aufbau von Lage- und Koordinierungszentren. Zum Programm gehört auch die Lieferung materieller Güter wie Kommunikationsmittel, Schlauchboote, Fahrzeuge, kugelsichere Westen und so weiter. Wie viel Geld die EU insgesamt in den Aufbau des libyschen Grenzregimes pumpt, ist schwer zu bestimmen, weil der Begriff »Migrationsmanagement« teilweise auch humanitäre Hilfe etwa für Flüchtlingslager umfasst. Der Guardian schätzte die Kosten für den Ausbau der Küstenwache Ende 2017 auf rund 285 Millionen Euro, die von der EU und Italien getragen würden.
Der Begriff »Küstenwache« suggeriert eine »ordentliche« und disziplinierte Truppe. Tatsächlich handelt es sich aber im Wesentlichen um eine Gang aus Bürgerkriegsmilizen, die fortlaufend in die Schlagzeilen gerät, weil sie mit Schleusern zusammenarbeitet und gewaltsam gegen Boote privater Seenotretter vorgeht. Meldungen, denen zufolge diese Küstenwache im ersten Halbjahr 2018 10.000 Personen »gerettet« hat, sind daher mit Skepsis zu bewerten. Häufig werden die Flüchtlinge schlichtweg daran gehindert, die libyschen Hoheitsgewässer zu verlassen oder sogar aus internationalen Gewässern nach Libyen zurückgeholt. Bezeichnend war ein Vorfall im November 2018: Rund 80 Flüchtlinge, die von der »Küstenwache« »gerettet« und in den libyschen Hafen Misrata gebracht worden waren, weigerten sich, das Schiff zu verlassen. Sie wurden schließlich gewaltsam von Bord gebracht. Der UN-Menschenrechtskommissar beschuldigt die »Küstenwache«, Menschen als Zwangsarbeiter an Farmen und Privathaushalte zu verkaufen.
Die Flüchtlinge hatten guten Grund, sich nicht in die Hände der libyschen Behörden-Milizen zu begeben, denn auf sie wartete die Inhaftierung in einem von 24 sogenannten detention centres. In diesen sind nach Kenntnis der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zwischen 8000 und 10.000 Flüchtlinge interniert, die auf ihre Abschiebung warten. Die Zahl war zwischenzeitlich geringer, ist aber »dank« der erweiterten Arbeit der Küstenwache wieder gestiegen. Journalisten, die Zugang zu den Gefängnissen erhielten, berichten über verheerende hygienische Zustände. Statt Toiletten müssen die Insassen Plastiktüten benutzen und erhalten nur eine Mahlzeit und eine kleine Flasche Wasser pro Tag. Der UN-Menschenrechtskommissar attestiert den Einrichtungen regelmäßige schwere Verletzungen der Menschenrechte. Es muss nicht extra betont werden, dass es in Libyen keine Möglichkeit gibt, sich juristisch gegen diese Zustände zur Wehr zu setzen. Noch erheblich schlimmer geht es in den »privaten« Gefängnissen zu, zu denen Journalisten und internationale Organisationen keinen Zugang haben. In ihnen sind Misshandlungen, Folter, Vergewaltigungen und Versklavung an der Tagesordnung. All das wird in als Verschlusssache eingestuften Analysen des Auswärtigen Amtes bestätigt.
Die Bundesregierung will allerdings nicht zugeben, dass der Fehler im System liegt. Sie interpretiert Berichte über solche Menschenrechtsverletzungen als Beleg dafür, dass die libyschen »Behörden« besser ausgebildet werden müssen. »Weiter so!« ist ihre Devise. Hauptsache, die Flüchtlinge werden ferngehalten.
Doch nicht nur Libyen steht im Fokus. Auch die tunesische Grenzpolizei erhält seit Jahren vielfältige Ausbildungsleistungen der deutschen Bundespolizei. Sie soll lernen, gefälschte Dokumente zu erkennen, »Illegale« aufzuspüren und zu erfassen und Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräte zu bedienen. Dazu wird sie auf Kosten der EU mit Technik, Laboreinrichtungen, Fahrzeugen, Schnellbooten, Bürogeräten und so weiter ausgestattet. Die Tageszeitung Die Zeit zitierte im Jahr 2016 einen tunesischen Polizeigeneral, der seinen deutschen »Freunden« euphorisch versicherte: »Bis spätestens 2020 wird an allen Grenzen Tunesiens nach deutschem Standard patrouilliert.« Der Mann hat offenbar nicht mitbekommen, dass Grenzpatrouillen in Deutschland längst zur Ausnahme geworden sind, aber seinen Auftrag hat er verstanden. Allein im dritten Quartal 2018 führte die Bundespolizei 14 Projekte mit der tunesischen Nationalgarde durch, darunter die »Schulung von Grenzpostenführern«, die »Schulung von Leitenden Maschinisten« und die »Fortbildung von Führungskräften«.
Darüber hinaus werden auch subsaharische afrikanische Staaten zunehmend in die EU-Flüchtlingsabwehrpolitik einbezogen. Mit Mali und Niger gibt es umfangreiche Programme, die das von der EU-Kommission unverhohlen eingeräumte Ziel verfolgen, »Migrationsbewegungen in Richtung Libyen zu verhindern«. Zu den Maßnahmen der Programme zählen Ansiedlungszusagen, Unterstützung bei der »freiwilligen Rückkehr«, Absprachen zur Verstärkung der Grenzkontrollen, verschärfte Maßnahmen »gegen den Menschenhandel« und die Entsendung europäischer Verbindungsbeamter zur Stärkung der einheimischen Sicherheitsapparate. Die EU sponsert mit bislang 100 Millionen Euro die G5 Sahel Joint Force, eine gemeinsame militärische Truppe aus Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad, deren operative Ziele recht allgemein gehalten sind: die Bekämpfung terroristischer und krimineller Gruppierungen und die Wiedererlangung voller Kontrolle über die Staatsgrenzen.
Am Umgang mit privaten Seenotrettern im Mittelmeer lässt sich seit Monaten beobachten, wie die EU gegen jene vorgeht, die ihre Abschottungspolitik zu durchkreuzen versuchen. Immer wieder wird Schiffen die Anlandung an Häfen in Italien oder Malta verweigert. Zum Teil über eine Woche lang mussten Boote mit mehreren Hundert oft kranken und verletzten Flüchtlingen an Bord warten, bis sie endlich anlanden und an Land gehen durften. Seenotretter-Schiffe wurden beschlagnahmt und die Besatzungen teilweise inhaftiert und verschiedener Delikte beschuldigt. Bundesinnenminister Seehofer forderte, ungeachtet der Tatsache seiner fehlenden Zuständigkeit fürs Mittelmeer, diejenigen »zur Rechenschaft« zu ziehen, welche einen »Shuttle« zwischen Libyen und Europa eingerichtet hätten. Rettungsschiffe, die von der libyschen »Küstenwache« beschossen werden, müssen sich anschließend anhören, sie sollten deren Tätigkeit nicht behindern. Die Rettung von Menschenleben als kriminalisierte Handlung, die Verunglimpfung der Bergung aus Seenot als »Shuttle«-Service – deutlicher lässt sich kaum zeigen, wie die EU das humanitäre Asylrecht zugrunde richtet.