Die Idee, Kunst und Handwerk – »Alles in einem« verlangte Johannes Itten – zu einer neuen Einheit zu führen, später Kunst und Technik, entfaltete sich mit dem Bauhaus. Als es vor 100 Jahren vom Deutschen Walter Gropius in Weimar gegründet wurde, war es mit dem Schweizer Johannes Itten, dem Russen Wassily Kandinsky, dem Deutschen Paul Klee aus der Schweiz, dem Amerikaner Lyonel Feininger, dem Ungar László Moholy-Nagy und den Deutschen Gerhard Marcks, Adolf Meyer, Josef Albers, Georg Muche und Oskar Schlemmer – von den beitragenden Künstlern gesehen – eine internationale, vor allem europäische Leistung in einer Vielfalt, dass von einem Bauhaus-Stil nicht die Rede sein kann. Das Bauhaus stieg europa- und weltweit auf zur bedeutendsten und nicht wieder erreichten Schule für Kunst und Design, die das kunsthandwerkliche Einzelstück zum Prototyp für die Industrie überführte. Zu seinem Jubiläum werden dem Welterbe der UNESO zwei neue Bauhausmuseen eröffnet, eins in Weimar (im April) und eins in Dessau (im September).
Der Auftakt zum Bauhaus-Jubiläum wird mit der Ausstellung zu Paul Citroen (1896–1983) im Panorama Museum Bad Frankenhausen gegeben (bis zum 10. Februar, Di-So 10-17 Uhr). Sie zeigt von dem in Berlin geborenen deutsch-niederländischen Künstler Porträts, oft Ganzfiguren im Hochformat, Fotografien von befreundeten Künstlern, auch Stillleben, ebenso raffinierte Fotocollagen, Veduten von Venedig mit »Röntgenblick« zur kircheninneren Pracht, dazu überraschende Tuschzeichnungen von strukturiertem Blattwerk, Waldstücke in Untersicht, und abstrakte Kompositionen.
Paul Citroen gehört zur Bauhaus-Geschichte. Bevor ihn sein Freund Georg Muche zum Bauhaus holte, konfrontierte er ihn in der Galerie »Der Sturm« mit moderner Kunst (Feico Hoekstra). Citroen erinnert sich, wie er von 1922 bis 1924 in Weimar studiert und 1923 an der Seite Paul Klees die legendäre erste Bauhausausstellung entscheidend vorbereitet hatte, zu welcher Gäste aus ganz Europa anreisten (Katalogbeitrag). Schüler Citroen wählte vom Meister Klee die dadaistische Fotomontage »Metropolis«, 1923, aus, mit der berühmten seriellen Reihung von Wolkenkratzern, die »Fritz Lang zu seinem gleichnamigen Film von 1927 inspiriert haben soll« (Gerd Lindner).
Die Bauhaus-Idee war für Citroen in erster Linie »die Idee der Teamarbeit«. Er setzte sie in seiner Kunstschule in den Niederlanden fort, entwickelte die Konzeption von »Magie en Zakelijheid«, mit der er beim Festhalten am Figürlichen die Phantasie und mit Sachlichkeit die rationale Konstruktion zusammenfasste. Citroen ist ein Beispiel, wie jüdische Künstler die moderne Kunst Europas im 20. Jahrhundert prägten. Das brachte er allerdings nicht mit seinem Personalstil zuwege, denn er folgte der Idee künstlerischer Kollektivität und näherte sich stilistisch großen Malern an, Hodler beim »Selbstporträt«, 1914, Jawlensky beim »Porträt Heinz Aron«, 1922, Kokoschka beim »Selbstporträt mit Lotti Weiss«, 1927, Macke beim »Déjeuner sur l´ herbe«, 1929, oder Modersohn-Becker beim »Porträt Ittig«, 1936. Immerhin war Citroen mit seinen Porträts am Bauhaus alleingestellt. Mit seiner Zeichenkunst von realistischer Porträtnähe fand er treffsichere Linien und die Ausdruckskraft des Schattens bei den Porträtzeichnungen von Johfra van den Berg, Akademieschüler Wassenaar, Corry Mühlenfeld und der sensiblen Christi Frisch.
Bei den schönen schwarz-weißen Porträtfotos spürte er der Ausdrucksstärke offener und fast geschlossener Augen nach. Mitreißend das Foto der in die Niederlande geflohenen Tänzerin und Sängerin Chaja Goldstein. Ein Gemälde von ihr aus der Zeit antijüdischer Pogrome in Deutschland ist ein kostbares Zeugnis für sein Bekenntnis zum jüdischen Glauben und seine Hochschätzung jüdischer Künstler. Die Ausstellung »Der Mensch vor der Kunst« und ihr Katalog (23 €) erinnern an eine beeindruckende künstlerische Leistung.
Herausragend porträtierte Citroen europäische Künstler und Schriftsteller. Das von ihm gezeichnete Antlitz des konzentriert lesenden Thomas Mann empfand dieser als etwas »recht Löbliches«. Die hoch geöffneten Augen von Erika Mann sprechen von hoher wissender Aufmerksamkeit. Manchmal ließ Citroen wie Emil Stumpp seine Bildnisse von den Porträtierten neben seiner eigenen Signatur gegenzeichnen. Als Übereinstimmung mit der porträtierten Leistung können die Unterschriften von Hans Arp (1959), Johannes Itten (1963), Otto Dix (1964) gelten, vor allem wenn das Oskar Kokoschka (1965) ausdrücklich kommentiert: »Citroen hat es gut gemacht.« Eventuell gefiel ihm, wie sein Kollege den Porträtierten mit dessen eigener Stilauffassung fasste, also seinen Personalstil gleichsam mitporträtiert hat: bei Arp die geschlossenen glatten Formen und das zusammengezogene Hell-Dunkel; bei Dix die kraftvoll eingegrabenen Lebensspuren und bei Kokoschka das Empfindsame in erregten, nebeneinander laufenden Wangenlinien.
Ergreifend sind die Selbstporträts. Über der hellen Gesamtfigur ragt der vom Schicksal in Falten zerlegte Kopf und sein furchtvoller Blick, das Bedrohliche fixierend, in der Zeit, als 1961 seine Frau starb. Verschärft kritisch sieht Citroen die Situation im magisch-realistischen Gemälde von 1946, als er im Hintergrund ohne Kopf an der Staffelei sitzt und kein Bild malen kann, während sein abgeschnittener Kopf vorn auf dem Hocker verzweifelt blickt. Eventuell reflektiert er damit die Zeit nach 1942, in der er als Jude untertauchen musste. In der karikierenden Zeichnung »Selbstporträt mit Eselsohren«, 1945, könnte an die Demut oder an sein Störrischsein oder an Faulheit oder Geilheit gedacht werden, was dem Tiere zugesprochen wird. Auch an den Narren Midas könnte man denken, der Eselsohren von Apollon verpasst bekam zur Strafe für sein falsch empfundenes Urteil.
Als ausschließlicher Leihgeber konnte das Museum de Fundatie in Zwolle (mit Katalogbeiträgen), im Gegenzug zu den Leihgaben vom Panorama Museum, fast alles bedienen. Aber um den Konflikt zwischen dem Mazdaisten Itten mit seiner »Geist = Körper«-Ideologie und Gropius, der die Verbindung zur Industrie suchte, zeigen zu können, hätten sich solche Zeichnungen Citroens vom Bauhaus-Museum Berlin angeboten wie die »Mazdaznan-Kuren«, die ironisch an den Motiven von Kotzern und Scheißern oder der Auszehrung – ganz in der Tradition Adriaen Brouwers – zeigen, wie die Kräfte des Materiellen aus dem Leibe vertrieben werden.