Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland wurden in der Charta des Nürnberger Tribunals und dessen Urteilen neben »Kriegsverbrechen« und »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« auch »Verbrechen gegen den Frieden« geächtet. Welche Tatbestände darunter zu verstehen und demzufolge strafbar sind, legte 1950 die International Law Commission (ILC) fest, die von der UNO-Generalversammlung beauftragt worden war, die »Nürnberger Prinzipien« zu formulieren. Laut Prinzip VI fallen unter die »Verbrechen gegen den Frieden« im einzelnen: »(I) Planung, Vorbereitung, Beginn oder Führung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen; (II) Teilnahme an einem gemeinsamen Plan oder einer Verschwörung zum Zwecke der Ausführung einer der genannten Handlungen unter (I).«
Mit dieser Begriffsbestimmung nahm die Kommission Formulierungen des vom Alliierten Kontrollrat für Deutschland erlassenen Gesetzes Nr. 10 auf, das bereits einen Straftatbestand stipuliert hatte, aber außer Kraft getreten war, als die neugegründete Bundesrepublik Deutschland ihre Souveränität erlangt hatte. Der Bundestag ließ sich viel Zeit, bis er 1967 einen »Sonderausschuß für die Strafrechtsreform« einsetzte, der sich unter anderem mit der Umsetzung des im Grundgesetz kodifizierten Aggressionsverbotes in ein korrespondierendes Ausführungsgesetz im Strafgesetzbuch (StGB) befaßte. Ihm diente das Kontrollratsgesetz als Ausgangspunkt und Grundlage seiner Überlegungen.
Nach Auffassung des Sonderausschusses duldete die Erfüllung jenes »schwer-wiegenden rechtsethischen Anliegens« und »bewundernswürdigen Gebotes im Grundgesetz, die Erhaltung des Friedens unter einen wenigstens relativen Schutz zu stellen«, nach fast zwei Jahrzehnten Tatenlosigkeit »keinerlei Aufschub mehr«, denn: »Eine Nichtbefolgung dieses Verfassungsgebotes des Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GG wäre sogar eine Verfassungsverletzung durch Unterlassung.«
Die mehrere Tausend Seiten umfassenden Protokolle der Beratungen des Sonderausschusses zeugen von den Schwierigkeiten, welche die Ausformulierung der in das neue Strafgesetzbuch (StGB) aufzunehmenden Friedensverratsbestimmungen bereiteten. Als Hauptproblem schlechthin erwies sich die unzureichende Präzisierung des Tatbestandes im Völkerrecht. Denn damals wie heute existierte keine in der Staatenwelt allgemein anerkannte Definition des Angriffskrieges. Daher sowie aufgrund der internationalen Verflechtung der Bundesrepublik, so wurde argumentiert, könne ein nationales Gericht im Fall des Falles gar nicht entscheiden, ob ein verbotener Angriffskrieg vorliege. Zudem bestimme üblicherweise der Ausgang des Krieges, wer der Aggressor sei.
Diese unbestreitbaren, nicht leichterhand aufzulösenden terminologischen Unklarheiten kollidierten indes mit dem verfassungsrechtlichen Postulat der Gesetzesbestimmtheit der Straftatbestände (Art. 103 Abs. 2 GG): »Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.« Des weiteren wurde über die »richtige Begrenzung des Täterkreises« räsoniert, da ansonsten »eine Flut von Anzeigen wegen angeblichen Friedensverrats zu befürchten« sei. So stehe es »außer Zweifel, daß für die Zukunft der Tatbestand des Friedensverrats nicht auf Soldaten ausgedehnt werden solle ...«. Besondere Bedeutung maßen die Ausschußmitglieder der Zielsetzung bei, die Normierung des Angriffskriegsverbots territorial auf den bundesrepublikanischen Rechtsraum zu beschränken, keinesfalls sei eine Art »internationale Gerichtsbarkeit in der Bundesrepublik zu Lasten desjenigen zu errichten, der einen Angriffskrieg geführt« habe. Denn es könne nicht der Wille des Verfassungsgesetzgebers sein, daß durch ein deutsches Strafgesetz jemand in der Welt, der zu einem Angriffskrieg aufrufe, vor die deutsche Strafjustiz gezogen werde. Ganz konkret war in diesem Kontext mehrmals die Rede davon, daß ansonsten ja auch der »Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vor einem deutschen Gericht wegen Friedensverrats angeklagt werden könnte«. Bezeichnenderweise war es gerade eine Abgeordnete der SPD, die solche Skrupel plagten. Nicht zuletzt aus diesem Grunde einigte sich der Sonderausschuß darauf, die neue Strafvorschrift einzig auf denjenigen Angriffskrieg zu beschränken, an dem die Bundesrepublik beteiligt sei und durch den die konkrete Gefahr entstehe, daß »die Bundesrepublik in einen Krieg hineingezogen« werde oder jemand die Bundesrepublik in einen bereits ausgelösten Angriffskrieg hineinziehe.
In seinem Abschlußbericht vom 9. Mai 1968 erläuterte der »Sonderausschuß für die Strafrechtsreform« die Friedensverratsbestimmungen der Paragraphen 80 und 80a, auf die er sich nach vielen Sitzungen geeinigt hatte (Bundestagsdrucksache V/2860). Wesentlich erscheint dabei, daß mit jenen Normen »mit Rücksicht auf den Bestimmtheitsgrundsatz ... nicht unmittelbar an den Tatbestand des Art. 26 Abs. 1 S. 1 GG angeknüpft«, sondern »nur auf das Verbot des Angriffskrieges abgestellt« wurde. Gemeint war damit, daß durch die neue Strafrechtsnorm nicht, wie vom Verfassungsgeber eigentlich gefordert, jedwede Handlung, die geeignet war und in der Absicht vorgenommen wurde, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, unter Strafe gestellt werden sollte, sondern ausschließlich der Angriffskrieg – dieser als Inkarnation der friedensstörenden Handlung freilich unter allen Umständen!
Angesichts der in der Ära Schröder vollzogenen »Enttabuisierung des Militärischen« ist jedenfalls die unmißverständliche Klarstellung des Ausschusses kaum zu überschätzen, daß »§ 80 ... nicht nur, wie der Wortlaut etwa annehmen lassen könnte, den Fall der Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern erst recht den der Auslösung eines solchen Krieges [umfaßt]. Gerade mit Rücksicht auf diesen Fall enthält die Strafandrohung auch lebenslanges Zuchthaus.«
Nach alledem verblüfft es jeden logisch Denkenden, wie der Generalbundesanwalt in stupider Regelmäßigkeit die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen des Verdachts auf Vorbereitung eines Angriffskrieges ablehnt. So teilte die für die Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof tätige Oberstaatsanwältin Schübel mit Schreiben vom 3. August 2006 dem Arbeitskreis »Darmstädter Signal«, einem Zusammenschluß friedenspolitisch aktiver Soldatinnen und Soldaten, wörtlich mit: »Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 80 Abs. 1 StGB ist nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges und nicht der Angriffskrieg selbst strafbar, so daß auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten Angriffskrieg nicht darunter fällt. Ein Analogieschluß dahingehend, daß dann, wenn schon die Vorbereitung eines Angriffskrieges strafbar ist, dies erst recht für dessen Durchführung gelten müsse, ist im Strafrecht unzulässig. Art. 103 Abs. 2 GG verbietet die Anwendung einer Strafvorschrift über ihren eindeutigen Wortlaut hinaus.« Wie diese Juristin zu ihrer, der unzweideutigen Rechtsauffassung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform widersprechenden Interpretation gelangte, bleibt ihr Geheimnis. Das Leipziger Bundesverwaltungsgericht jedenfalls bekräftigt in seinem schon erwähnten Urteil zur Gehorsamsverweigerung des Bundeswehrmajors Pfaff (s. Ossietzky 8/08) die Intention des Sonderausschusses, wenn es ausführt: »Das in Art. 26 Abs. 1 GG normierte Verbot des Angriffskrieges, das an die völkerrechtliche Begrifflichkeit anknüpft, umfaßt nach seinem Wortlaut zwar (neben den anderen friedensstörenden Handlungen) ›nur‹ dessen ›Vorbereitung‹. Vorbereitung ist jede zeitlich vor einem Angriffskrieg liegende Tätigkeit, die seine Herbeiführung oder gar seine Auslösung fördert. Wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassungs wegen bereits nicht ›vorbereitet‹ werden darf, so darf er nach dem offenkundigen Sinn und Zweck der Regelung erst recht nicht geführt oder unterstützt werden. Denn die Führung eines Angriffskrieges sowie dessen Förderung und Unterstützung ereignen sich nicht nur – in der nach dem Grundgesetz bereits verfassungswidrigen – Phase der Vorbereitung. Sie erfolgen vielmehr schon im Stadium der Realisierung des (bereits im Vorfeld) Verbotenen.« (Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 21. Juni 2005)
Berücksichtigt man zudem noch die in den Protokollen des Sonderausschusses verzeichnete Aussage, daß der Tatbestand des Angriffskriegs auch dann vorliege, wenn »jemand die Bundesrepublik in einen bereits ausgelösten Angriffskrieg hineinziehe«, dann ergibt sich gegen den Generalbundesanwalt der dringende Verdacht der Rechtsbeugung.
Für diesen Verdacht spricht auch ein weiteres Argumentationsmuster, mit dem der Generalbundesanwalt regelmäßig seine Untätigkeit gegenüber den regierungsamtlichen Angriffskriegern begründet: Die Auslegung des § 80 StGB dürfe sich »nicht allein am militärisch verstandenen Begriff des Angriffskrieges ausrichten«. Vielmehr stelle diese Rechtsnorm eine solche Handlung nur dann unter Strafe, wenn sie als eine absichtsvolle Störung des Friedens zu bewerten sei. Was der Generalbundesanwalt dem konsternierten Publikum damit zu verstehen gibt, ist nichts anderes, als daß es seiner Auffassung nach auch Angriffskriege geben kann, die dem Frieden dienen – und maßgeblich hierfür sei allein die Intention derjenigen, die diese Kriege entfesselt hätten. Besonders im Falle der »humanitären Intervention« lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, daß von Rechts wegen ein Ermittlungsverfahren wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges einzuleiten sei. Ebenso trocken wie treffsicher merkt das schon zitierte Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf solchen generalbundesanwaltlichen Unfug an: »Dabei ist ein Angriffskrieg nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG unabhängig davon verfassungswidrig, mit welcher subjektiven Zielsetzung er geführt wird. Die Regelung geht davon aus, daß er in jedem Falle der Verfassung widerspricht, und zwar offenkundig deshalb, weil er stets objektiv geeignet ist, ›das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören‹«.
Im übrigen liefe die schlechthin groteske Einlassung des Generalbundesanwalts, sollte sie ernsthaft in Betracht gezogen werden, unweigerlich darauf hinaus, die Strafvorschrift des § 80 ad absurdum zu führen, denn kein Politiker auf dieser Welt – auch nicht der eines demokratischen Staatswesens – würde jemals, sofern er auch nur einigermaßen bei Sinnen ist, zugeben oder erklären, daß sein Land eine andere Nation in der Absicht angegriffen habe oder attackieren werde, um den Völkerfrieden zu stören. Selbst Adolf Hitler hatte bekanntlich den Überfall seiner Großdeutschen Wehrmacht auf Polen mit der Behauptung legitimiert: »Ab 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen.« Der vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsauffassung zufolge hätte gegen den GröFaZ jedenfalls kein Verfahren wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges eingeleitet werden können. Angesichts solcher Spitzenleistungen juristischer Rabulistik aus dem Hause der Generalbundesanwaltschaft merkt Jörg Arnold, Professor am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, sarkastisch an: »§ 80 StGB ist eine Vorschrift der Straflosigkeit der Führung eines Angriffskrieges und der Beihilfe zum Angriffskrieg.« Unübersehbar klafft heutzutage eine Lücke groß wie ein Scheunentor in jenem Normenbollwerk, das die verfassungsgebende Versammlung einst gegen das Wiedererstehen des verbrecherischen Militarismus früherer Zeiten errichtet hatte.
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.