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Titel1008

Das sicherste Gemeinwesen  (Wolfgang Bittner)

Der Bundesinnenminister und die Justizministerin wollen der Bevölkerung die Angst nehmen. Sie haben einen Gesetzentwurf zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus vorgelegt. Neben Online-Durchsuchungen, über die seit längerem diskutiert wird, sind weitere wirkungsvolle Maßnahmen vorgesehen. Zum Beispiel könnte das deutsche Bundeskriminalamt demnächst noch leichter als bisher Telefone anzapfen sowie Wohnungen »verwanzen«, mit Kameras ausspähen und zu diesem Zweck auch Wohnungen heimlich betreten und durchsuchen. Damit würde sich das BKA, das einst neben den Länderpolizeibehörden mehr als Datensammelstelle, technisches Labor und internationales Verbindungsbüro gegründet wurde, in eine moderne und schlagkräftige Staatssicherheitspolizei verwandeln. Zwar sollen die vorgesehen Maßnahmen nur erlaubt sein, wenn Leib, Leben oder Freiheit einer Person in Gefahr oder wenn die Grundlagen des Staates bedroht sind. Aber diese Voraussetzungen liegen nach bewährter nachrichtendienstlicher Wahrnehmung des Bundesinnenministers jederzeit vor, und bei Gefahr im Verzuge darf ohnehin sofort gehandelt werden, so daß für die neue deutsche Stasipo ähnlich wie für das US-amerikanische FBI endlich die lästigen rechtsstaatlichen Behinderungen entfallen.

In Zukunft werden wir also öfter als bisher durch unsere beliebte Boulevardpresse reich bebildert erfahren können, wer von den Politikern, Managern, Stars, königlichen Hoheiten und den Nachbarn im Hotelzimmer kokst, zu Hause verbotenen Sex betreibt oder Steuern hinterzieht. Zu denken wäre auch an Minikameras in der Wahlkabine, wodurch schon beim Kreuzchenmalen Wahlfälschungen ausgeschlossen werden könnten. Es soll höheren Orts sogar Überlegungen geben, wie sich Sozialämter, Jugendämter und Krankenkassen die neuen Möglichkeiten zu Nutze machen können und ob nicht künftig sämtliche Neubauten entsprechend auszurüsten sein werden. Auf diese Weise könnten erhebliche Kosten eingespart und zeitaufwendige Manipulationen und Nachforschungen vermieden werden.

Auch Demonstrationen, wie sie beispielsweise während der Studentenrevolte von 1968 oder in jüngerer Zeit anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm stattfanden, könnten bereits im Vorfeld ausgekundschaftet und gestoppt werden. Die Rädelsführer könnten beizeiten in Gewahrsam genommen werden, sind doch nicht selten Leib und Leben von Polizeibeamten, wenn nicht sogar die Grundlagen des Staates durch solche Quertreiber bedroht. Und durch die Ortung von Mobiltelefonen sowie eine umfangreiche und flächendeckende Fingerabdruck-Kartei wäre der Zugriff auf jeden Nestbeschmutzer und natürlich überhaupt auf jede Bürgerin und jeden Bürger, die schließlich nichts zu verbergen haben, zu jeder Zeit an jedem Ort gewährleistet.

Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu erfahren war, sollen außer führenden Politikerinnen und Politikern der Papst und andere hohe kirchliche Würdenträger die Einführung der neuen kriminaltechnischen Möglichkeiten warm befürworten, da Gläubige ohnehin unter ständiger oberster Kontrolle stehen. Wir anderen haben die Genugtuung, künftig in dem sichersten Gemeinwesen, das je auf deutschem Boden existierte, leben zu dürfen.