Anfang Mai wies der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) in Brüssel auf einer Pressekonferenz darauf hin, daß Länder wie Luxemburg, Österreich und die Schweiz im Herbst letzten Jahres eine Ministerkonferenz der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über Steuerbetrug boykottiert hätten. Er fügte hinzu: »Sie hätten ja kommen können. Und selbstverständlich werde ich sie zur Nachfolgekonferenz im Juni in Berlin auch einladen: Luxemburg, Liechtenstein, die Schweiz, Österreich und Ouagadougou.« Das brachte ihm Lacher ein.
Wie Steinbrück auf die Hauptstadt von Burkina Faso kam, blieb verborgen, er lieferte aber damit den deutschen Großmedien für mehrere Tage Schlagzeilen, seinen Parteikollegen Gelegenheit zu schulterklopfenden Halb-Distanzierungen und geheuchelter Empörung. Das Bedürfnis, sich über das »Land der Unbestechlichen«, wie Burkina Faso übersetzt werden kann, zu informieren, tendierte gegen Null.
Das läßt sich für das deutsche Interesse an Afrika insgesamt sagen, denn es folgt der Exportquote. Im Jahre 2006 exportierte die Bundesrepublik nur für etwa 16,5 Milliarden Euro auf diesen ganzen Kontinent – rund zwei Prozent ihres Exportvolumens. Die Importe im etwa gleichen Umfang konzentrieren sich auf Erdöl und Erdgas aus Libyen, Algerien und Nigeria und auf Güter aus Südafrika.
In Berlin überläßt man Afrika denen, die schon seit Kolonialzeiten dort mit Truppen ihre Interessen immer wieder durchsetzen; man schwadroniert im Propagandakonzert des Westens von Zeit zu Zeit über die chinesische Gefahr und lenkt gern den orchestrierten Medienzorn auf mißliebige Staatsführer – um so beredter schweigt man über »unsere« korrupten Autokraten.
Wer erfährt in der Bundesrepublik schon, daß in dem hier als demokratisch geltenden Senegal kurz vor Weihnachten 2008 die Armee in eine gegen Landenteignung zugunsten westlicher Rohstoffkonzerne protestierende Menschenmenge schoß und zwei Demonstranten tötete? Viel ist über den internationalen Haftbefehl gegen den sudanesischen Staatspräsidenten Omar Al-Baschir geschrieben worden, wenig über die westlichen Interessen am Zerfall des ölreichen Sudan, der greifbar nahe scheint. Nichts dagegen erfährt der deutsche Leser über eine Stütze westlicher Werte wie den Putschgeneral Idriss Déby, das Staatsoberhaupt des Tschad.
Ähnlich steht es um Burkina Faso. Im damaligen Obervolta gab es 1983 eine sozialistisch orientierte Revolution unter Führung des charismatischen Thomas Sankara (1949–1987), der auch »Che Guevara Afrikas« genannt wird. Wer heute nach Ouagadougou kommt, stößt noch überall auf das Erbe seiner kurzen Regierungszeit, in der er – mit Unterstützung Libyens – versuchte, eine afrikanische Einheit herzustellen, die auf wirtschaftlicher Unabhängigkeit basieren sollte. Landesweite Impfaktionen, Verbot der Genitalverstümmelung bei Frauen, Aufbau eines landesweiten Bildungswesens – wer erlebt, wie viele Straßenhändler in Ouagadougou noch 2009 versuchen, seine Reden im Druck oder auf DVD unter die Leute zu bringen, könnte meinen, daß seine Ideen nach wie vor große Unterstützung genießen. Im gigantischen Präsidentenpalast außerhalb der Stadt im monströsen Neubauviertel »Ouaga 2000« residiert aber noch immer sein Mitkämpfer von 1983, Blaise Compaoré, 1987 Organisator des Putsches gegen Sankara, der dabei ermordet wurde.
In den 22 Jahren seiner Regentschaft ist Burkina Faso, dessen Einwohner wegen ihres Fleißes, ihrer Freundlichkeit und Korrektheit als »Preußen Westafrikas« beschrieben werden, auf Platz 176 des UN-Entwicklungsindexes gerutscht, einen der letzten. Die Finanzbürgermeisterin von Ouagadougou, Minata Ouédraogo, sagte der Berliner Zeitung vom 8. Mai, die eine Hälfte der etwa 1,2 Millionen Einwohner Ouagadougous lebe unterhalb der Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag, die andere Hälfte schlage sich mit Gelegenheitsarbeiten und als Straßenhändler durch. Man könne unter diesen Verhältnissen keine perfekte Finanzverwaltung erwarten, aber auch keine Nummernkonten. Das mag sein, eine Finanzoase ist die Stadt in gewisser Weise dennoch: Das höchste Gebäude der zumeist einstöckig bebauten weitläufigen Agglomeration ist die Zentralbank für die westafrikanische Währung, den CFA-Franc, der in den acht Ländern der Communautè Financière d’Afrique gültig ist. Er ist fest an den Euro gebunden, so daß sich sagen läßt: Finanzpolitisch wird Ouagadougou von Frankfurt am Main aus regiert – politisch vor allem aus Paris, das in Afrika noch immer vier große militärische Stützpunkte und eine Reihe kleinerer unterhält. Wenn Burkina noch keine Finanzoase sein sollte, von der seine Einwohner, die Bourkinabé, wahrscheinlich am wenigsten wissen, dann haben die Europäer alle Voraussetzungen geschaffen, daß es eine wird.
Die Witzeleien der FAZ, die am 9. Mai ein Bild mit primitiven Blech-Spardosen auf die Titelseite stellte und darüber schrieb: »Im Ouagadougou-Wahlkampf«, bewegen sich auf derselben Ebene wie Steinbrücks Lustigkeiten. Am 10. Mai machte die Sonntagsausgabe der FAZ auf demselben Niveau weiter, stellte ein Bild einer afrikanischen Rundhütte aus Lehm und Stroh »unweit von Ouagadougou« auf Seite eins und titelte: »Es gibt kein Bier in Ouagadougou«. Der deutsche Qualitätsjournalismus weiß »Herrenwitze«, wie Werner Pirker in junge Welt die Sache im doppelten Sinn charakterisierte, zu goutieren. Der rassistische Subtext vom »Negerdorf«, das gemeint ist, aber bei Strafe der bürgerlichen Existenz nicht mehr so genannt werden darf, schimmert nicht nur verhalten durch.
Das hat Kontinuität. Afrika ist nicht nur wegen seiner relativen ökonomischen Bedeutungslosigkeit medial hierzulande ein vergessener Kontinent, auch wegen des systematisch verdrängten Umgangs des deutschen Imperialismus mit ihm. Im offiziösen bundesdeutschen Geschichtsbild kommt das alles nicht vor. Das machen zwei jüngst erschienene Publikationen deutlich, die hier gleich genannt seien. Der an der Humboldt-Universität tätige Afrikanist Ulrich van der Heyden geht in »Auf Afrikas Spuren in Berlin« kolonialen Erblasten im Straßenbild der Stadt nach. Er berichtet über das abenteuerliche Vorhaben des Großen Kurfürsten – Größe als Namensbestandteil deutet auf Eroberungen hin –, mit der Gründung von Großfriedrichsburg im heutigen Ghana die Kasse des verarmten Preußen zu füllen, was unter anderem den mehrmonatigen Aufenthalt einer größeren afrikanischen Delegation in Berlin und die »Mohrenstraße« nach sich zog. Friedrich Wilhelms Kolonialunternehmen scheiterte, obwohl Preußen sich bald am transatlantischen Sklavenhandel beteiligte; van der Heyden schätzt, daß ungefähr 30.000 Afrikaner aus Großfriedrichsburg nach Amerika verschleppt wurden.
An die zweite Phase deutscher Kolonisation erinnert das Afrikanische Viertel im Wedding mit 25 Straßennamen zum Gedenken an deutsche Kolonien und Kolonialisten. Über die sogenannten Völkerschauen seit 1900 und die sich mit ihnen entwickelnde afrikanische Diaspora in Berlin ist über den lokalgeschichtlichen Rahmen hinaus Wichtiges zu erfahren. Der Autor verweist auch auf Traditionen des Antikolonialismus wie die von dem Kommunisten Willi Münzenberg gegründete »Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit«, die von 1927 bis 1933 ihren Sitz in der Wilhelmstraße hatte.
Van der Heyden geht auch kurz auf den Umgang der Nazis mit den in der Stadt lebenden Afrikanern ein, eine echte Forschungslücke zu diesem Thema schließt aber der in den USA arbeitende deutsche Historiker Raffael Scheck mit seinem soeben erschienenen Buch »Hitlers afrikanische Opfer«. Vor einigen Jahren stieß Scheck auf Berichte über Massaker der Wehrmacht an schwarzen Soldaten im kurzen Feldzug Hitlers gegen Frankreich im Mai/Juni 1940. Er stellte fest, daß darüber fast nichts bekannt war, und begab sich in die Archive. Sein Ergebnis: Geprägt durch jahrzehntelange rassistische Vorurteile seit den stets als Vernichtungskriegen geführten deutschen Kolonialkriegen, angestachelt durch die nazistische Propaganda (»Tiere aus dem Dschungel«) und in Wut versetzt durch den zumeist hartnäckigen Widerstand der Tirailleurs Sénégalais (»Senegalschützen«), machten viele deutsche Wehrmachtseinheiten grundsätzlich keine afrikanischen Gefangenen, sondern erschossen sie an Ort und Stelle. Scheck schätzt, daß bei den Massakern insgesamt etwa 3.000 Afrikaner ermordet wurden. 63.000 Afrikaner hatte Frankreich an die Front gebracht, von denen etwa 10.000 ums Leben kamen oder als vermißt gelten. Das waren prozentual ungleich höhere Verluste als bei den Weißen. Nach 1945 verfolgte Paris diese Verbrechen nur lustlos. Der hier beseitigte Mythos vom »sauberen« Frankreichfeldzug kommt Scherzbolden wie Steinbrück oder FAZ-Redakteuren wahrscheinlich nicht in den Sinn. Verbrechen wie die von Scheck präzise belegten sowie die von ihm untersuchten rassistischen Einstellungen gehören aber in den historischen Hintergrund ihrer »Witze«.
Ulrich van der Heyden: »Auf Afrikas Spuren in Berlin. Die Mohrenstraße und andere koloniale Erblasten«, Tenea Verlag, 162 Seiten, 17,80 Euro; Raffael Scheck: »Hitlers afrikanische Opfer. Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten«, Assoziation A, 196 Seiten, 20 Euro