In der Zeit des Kalten Krieges förderte das New Yorker Museum of Modern Arts (MoMA) besonders die Vertreter des »abstrakten Expressionismus«, weil von ihnen kaum Neigungen zu einem Umsturz zu befürchten waren. Rund fünfzig US-amerikanische Künstler warfen in einem Manifest dem MoMA vor, es werde von der Öffentlichkeit nur noch als »Verfechter einer abstrakten und gegenstandslosen Kunst« wahrgenommen. Auch Edward Hopper gehörte zu den Protestierenden, von denen sich viele in einer Künstlergruppe zusammengefunden hatten, die 1953 die Zeitschrift Reality gründete. Hopper schrieb dort, die Malerei müsse sich erst intensiver auf das Leben einlassen, bevor sie wieder Großes hervorbringen könne. Schon vorher hatte er erkannt: »Die Menschen hungern nach Inhalten.«
»Modern Life – Edward Hopper und seine Zeit« heißt die neue Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum als letzter Teil der Trilogie »150 Jahre amerikanische Kunst«. Gemeint ist ausschließlich Kunst der USA aus der Zeit von 1800 bis 1950. Acht Gemälde Hoppers (auch drei Radierungen und ein Aquarell) sind umgeben von etwa 90 Werken seiner Zeitgenossen, von denen viele bei uns unbekannt sind. Alle aus dem Whitney-Museum in New York.
Die Vertreter der unterschiedlichen Strömungen der neuen amerikanischen Kunst waren sich darin einig, die elitären Denkmuster des Gilded Age (Ossietzky 12/08) zu überwinden. Am weitesten entfernten sich davon die »Urban Realists«, zu denen Hopper zeitweilig gehörte. Sein Lehrer Robert Henri war ihr geistiges Zentrum. Er schuf seine eigene – später als »Ashcan school« (Mülleimer) bekannte Richtung. Dagegen nahmen sich die Modernisten die experimentelle Kunst europäischer Maler zum Vorbild, begannen die Stadt und die Natur in abstrakte Formen aufzulösen. Aber auch sie hatten das Ziel, eine neue eigenständig amerikanische Kunst zu schaffen.
Edward Hopper stand zwischen allen Stilen. Kritiker sprechen von »Zeitlosigkeit« in Hoppers Bildern, obwohl er, oft schon im Bildtitel, eine präzise Zeitangabe macht. Etwa bei »Sieben Uhr morgens« (1948), einem Gemälde, auf dem die Wanduhr in einem Schaufenster im grellen Sonnenlicht vor dem düsteren Wald daneben irritiert. Oder »South Carolina Morning« (1955): Was will die junge Frau im roten eleganten Kleid, mit Hut und Pumps in der Tür der Holzhütte, umgeben von einem Weizenfeld? Alles, was der Künstler weggelassen hat, was nicht sichtbar ist, regt die Fantasie des Zuschauers an. Haben wir hier den Anfang oder das Ende einer Geschichte? Hopper malte nie schnell, er fertigte viele Entwürfe und Vorzeichnungen, ließ dann oft die Menschen weg.
Menschen in der Großstadt – die malten die Vertreter der »Ashcan School«, Robert Henri hatte sie angeregt, das zu zeigen, was sie umgibt: die Realität. Reginald Marsh begab sich unter die Mädchen, die käuflich sind: »Jeder Tanz zehn Cent« (1933). Oder Raphael Soyer: Seine »Office Girls« (Sekretärinnen) auf der Straße spiegeln sich im Schaufenster, prüfen das Blumengesteck am Revers, den Sitz des Hutes. Hinter ihnen ein verhärmter Mann mit Schiebermütze. 1936 entstanden. Hinweis auf die Arbeitslosigkeit damals. Diesen Mann – er taucht auf manchen Gemälden Soyers auf – nahm der Maler bei sich auf, weil er obdachlos war. Er beschäftigte ihn, Walter Broe hieß er, für 50 Cent am Tag. Soyer, ein 1912 auf der Flucht vor dem Antisemitismus in die USA emigrierter Russe, war Mitbegründer des Magazins Reality und Mitglied der Kommunistischen Partei. John Sloan, auch ein Ashcan-Schüler, wird 1910 Mitglied der Sozialistischen Partei, organisiert mit Robert Henri die »Exhibition of Independent Artists« im gleichen Jahr. Edward Hopper nimmt daran teil. Ab 1912 leitet Sloan die Kunstredaktion von The Masses, einer sozialistischen Zeitschrift, die von 1911 bis 1917 erschien. In der Ausstellung sind zwei seiner Gemälde zu sehen. Besonders »The Hawk« (der Habicht) aus dem Jahr 1910 bleibt im Gedächtnis. Das 18-jährige Modell wirkt so, als würde es gleich in ein großes Gelächter ausbrechen: der verzogene Mund, die funkelnden Augen. Es ist der riesige schwarze Hut, der sie als koboldhaften Habicht erscheinen läßt.
Der Maler und Graphiker Ben Shahn, der 1931 einen Zyklus über die hingerichteten Anarchisten Sacco und Vanzetti gemalt hatte, wurde als Photograph im Rahmen eines von Roosevelt eingeleiteten Sanierungsprogramms für die amerikanische Wirtschaft in Gebiete mit besonders hoher Arbeitslosigkeit geschickt. In West Virginia, das zu Beginn der 20er Jahre noch von 37 Kohleminen gelebt hatte, war die Verelendung 1935 am stärksten. Sein Gemälde von 1937 »Scotts Run, West Virginia« verbreitet Hoffnungslosigkeit – er beschränkte sich auf drei Bergarbeiter, die am Streik teilnehmen, aber aneinander vorbeischauen. Links im Bild Güterwagen, rechts trostlose Häuserreihen auf Stelzen. Ein Laternenpfahl mit Wahlkampfplakaten, die aussehen, als wären es Steckbriefe.
Diese Bilder haben mit dem nach 1945 propagierten abstrakten Expressionismus gar nichts zu tun. Edward Hoppers Weg – die Einsamkeit seiner Häuser, seiner Menschen – war ein anderer. Er war ein Kind seiner Zeit, das ihr vorauslief und sie hinter sich ließ.
Das neue Jahrtausend hat ihn eingeholt.
Katalog: 240 Seiten, 24,80 Euro