Am 1. Mai war es wieder soweit: Die Weltöffentlichkeit erfuhr von einem versuchten Terroranschlag in einer westlichen Metropole. Diesmal lag die Bombe in einem Auto am belebten New Yorker Times Square. Wurde also erneut ein Blutbad knapp verhindert? Bürgermeister Bloomberg sagte vor laufenden Kameras, man habe großes Glück gehabt. Denn der Geländewagen war mit Propangasflaschen und Benzinkanistern gefüllt. Die New York Times berichtete einige Einzelheiten: Das Auto habe mit laufendem Motor und eingeschalteter Warnblinkanlage schräg auf dem Bordstein des von Touristen überlaufenen Times Square gestanden, aus den Fenstern sei Rauch gequollen. Dann habe man kleinere Kracher aus dem Wageninneren vernommen – entzündete Feuerwerkskörper, wie sich später herausstellte.
Die Täter legten es also rätselhafterweise geradezu darauf an, daß ihr Auto vorzeitig bemerkt wurde. Und waren – wieder einmal – nicht in der Lage, ihr bedrohliches Gebräu tatsächlich zur Explosion zu bringen.
Das weckt Erinnerungen an eine ganze Reihe von gescheiterten Anschlägen der letzten Jahre, für die allesamt »Islamisten« verantwortlich gemacht wurden. Im Juni 2006 zum Beispiel hatte ein Anschlagsversuch im kanadischen Toronto für ähnliche internationale Schlagzeilen gesorgt. Den ersten Meldungen (CBC) zufolge hatte die Polizei dort 17 Terroristen verhaftet sowie drei Tonnen Ammoniumnitrat beschlagnahmt, aus denen eine Bombe gebaut werden sollte. Die Sicherheitskräfte seien gerade noch rechtzeitig eingeschritten, bevor die Gruppe ihre Pläne in die Tat habe umsetzen können, so der internationale Medientenor. Auf einer Pressekonferenz wurde erklärt, daß die Verdächtigen (allesamt Araber) Anschläge im Süden Kanadas geplant hätten, wenn auch keine konkreten Ziele genannt werden könnten. Auch könne nicht gesagt werden, für wann die Anschläge geplant gewesen seien.
Eine der größten kanadischen Zeitungen, der Toronto Star, brachte bald weitere überraschende Neuigkeiten. Ihren Recherchen zufolge war die Lieferung der drei Tonnen Ammoniumnitrat nämlich Teil einer Undercover-Operation der Polizei, von ihr komplett eingefädelt. Die Polizei hatte Verkauf und Transport des Bombenmaterials kontrolliert. Erst als der Deal abgeschlossen war, schritt sie ein und verhaftete die Beteiligten. Auf der ursprünglichen Pressekonferenz war diese Information verheimlicht worden. Verständlich, denn so stellte sich die Angelegenheit doch in einem anderen Licht dar. Es drängte sich die Frage auf, inwieweit die komplette Gruppe von Geheimdienst und Polizei unterwandert und ferngelenkt worden war. Inwieweit man also gewissermaßen von »Phantom-Terroristen« sprechen konnte, die für eigene Ziele benutzt wurden. Soweit der Fall in Toronto im Juni 2006.
Nur einen Monat später wurde Deutschland von den sogenannten »Kofferbombern« heimgesucht. Ganze Züge hätten sie sprengen wollen, doch auch hier: Zünderversagen. Im Sommer 2007 schließlich war der Flughafen von Glasgow Schauplatz nicht explodierter Autobomben. Es folgte im September 2007 in Deutschland die Festnahme der »Sauerlandzelle«. Erneut ging es um große Zerstörungspläne, doch was dann explodierte, war wieder einmal nur das Medienecho. Ein Jahr später recherchierten Spiegel und Stern, daß die (funktionsunfähigen) Zünder von einem CIA-Spitzel geliefert worden waren.
Schließlich im Dezember 2009, man erinnert sich, verbreitete der »Weihnachtsbomber« Angst und Schrecken in den USA. Ein ganzes Flugzeug wollte er angeblich zum Absturz bringen und schaffte es doch nur, seine eigene Unterhose zu entzünden. Das Foto gab immerhin einen spektakulären Aufmacher für einige Zeitungen her. Für eine Begründung des US-»Engagements« im Jemen zur Jahreswende reichte es dann im Focus aber auch noch.
Seltsam und überaus rätselhaft ist, daß dieselben Dschihadisten, die in Pakistan beinahe täglich gewaltige Autobomben zur Detonation bringen, in Europa und den USA immer dieses Problem mit den Zündern haben.
Zynisch betrachtet könnte man (ausgehend von der Hypothese einer geheimdienstlichen Co-Steuerung der Planungen beziehungsweise einer Mitwisserschaft daran) auch von einem zivilisatorischen Fortschritt sprechen. Wenigstens im Westen müssen für die Fortsetzung der alliierten Kriegspolitik keine Menschen mehr sterben – wie noch 2001 in New York, 2004 in Madrid und 2005 in London.
Oder ist der Fortschritt doch nur psychologischer Natur und somit noch abgefeimter? Ist den Menschen hier durch reale Anschläge in New York, Madrid und London ein Pawlowscher Reflex antrainiert worden, der jetzt nur noch durch kurze Erinnerungen an die mögliche Gefahr abgerufen werden muß?
Der Times Square als Bühne eines großen Experimentes, das in endloser Wiederholung seit Jahren in den westlichen Metropolen zur Aufführung gebracht wird?
Daß die Bombe in New York eine reale Gefahr war, bezweifeln jedenfalls auch Experten. Die New York Times zitiert unter anderem den ehemaligen Chef des Bombenentschärfungsteams der New Yorker Polizei: Wenn die »Bombe« funktioniert hätte, so Kevin B. Barry, »wäre es eher zu einem feuerähnlichen Ereignis gekommen« als zu einer Explosion. Und erstaunlicherweise gab einen Tag später sogar Bürgermeister Bloomberg vorsichtige Entwarnung: Al-Qaida stecke wohl eher nicht hinter dem Anschlagsversuch.