Wenn die Außenministerin der USA unterwegs ist, muß sie überall ihre imperiale Sorgenlitanei herunterhaspeln. Besonders bitter klagte sie bei einem Besuch in Brasilien – und nicht nur dort – über die »äußerst schlechte Idee«, sich dem Iran zu öffnen und von Mahmoud Ahmadinedschad becircen zu lassen. Dieser war kurz zuvor mit Interesse und Sympathie von den Regierungschefs der aufmüpfigen Staatswesen Venezuela, Bolivien und Ekuador und auch von Brasiliens Präsident Lula da Silva empfangen worden. Nicht minder besorgt zeigte sich Clintons israelischer Kollege Liberman, der sogleich Lulas Botschafter in Jerusalem einbestellte. Brasilien spricht dem Iran das gleiche Recht auf ein ziviles Nuklearprogramm zu, das es sich selbst vorbehält. Das ist allemal Grund für US-Kritik mit aufgeschminkten Sorgenfalten, zumal es sonst wenig gibt, was sich Brasilien anhängen ließe.
Zweimal, so Clinton, sollten sich die Latinos den Flirt mit dem »größten Promoter und Exporteur des Terrorismus« überlegen, ansonsten setze es »Konsequenzen«. Die Washington Times sekundierte: Die iranische Revolutionsgarde habe »weltweite Operationskapazität« und baue terroristische Netzwerke in Lateinamerika auf, um die USA im Konfliktfall anzugreifen. Sie bewaffne die Taliban und sonstige Feinde Amerikas. Auch für die horrendesten Anschläge der letzen 30 Jahre sei sie verantwortlich, zum Beispiel auf die US-Botschaft in Beirut (1983) und auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires (1994). Brasilien mit seinem Anspruch auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat solle nun gefälligst Druck auf den Iran ausüben, auch auf Kuba und Venezuela, zwecks mehr Demokratie, Menschenrechte et cetera. Der brasilianische Außenminister Celso Amorim beschied der Bekümmerten: »Wir denken mit unserem eigenen Kopf.« Die Kirche blieb im Dorf, zumal die US-amerikanische Wirtschaft in Lateinamerika gut verdient und Lula gerade dabei war, die letzten Hindernisse für das einzige Freihandelsabkommen zwischen dem Mercosur und einem nicht-südamerikanischen Staat – Israel – auszuräumen, das am 3. April in Kraft trat.
Brasilien ist seit einiger Zeit Ziel einer diplomatischen Offensive. Am Weihnachtsabend 2009 plazierte Präsident Obama ein Schwergewicht aus dem Bush-Erbe auf dem wichtigsten Botschafterposten in Lateinamerika: Thomas A. Shannon jr. mit einer langen Liste unrühmlicher Aktivitäten, zuletzt bei der Einfädelung und Abwicklung des Putsches gegen den legitimen Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, und bei dessen Entsorgung. Der langjährige Präsidentenberater und Chef der Abteilungen »Westliche Hemisphäre« im Nationalen Sicherheitsrat sowie im State Department (dort spezialisiert auf die explosiven »Anden-Belange«) zählt zu den führenden Planern innerer Zersetzung und Balkanisierung unbotmäßiger Nationen. Brasilien akkreditierte Shannon trotz der Vorahnung, daß er sich in den baldigen Präsidentschaftswahlkampf einmischen wird – gegen die Kandidatin der Arbeiterpartei und somit gegen die Fortführung des US-skeptischen Kurses, den Lula da Silva stets gesteuert hat.
Nachdem US-Falken mehrmals Lulas auf Ausgleich bedachte Außenpolitik angegriffen haben (es kauft seine wenigen Kampfhubschrauber paritätisch in den USA und in Rußland, seine Jets in der Europäischen Union), hat Brasilien am 12. April dem Clinton-Shannon-Gespann ein Erfolgserlebnis beschert: ein Schönwetter-Abkommen über militärische Zusammenarbeit, auffällig inhaltslos bis auf eines: Das Papier schließt ausdrücklich US-amerikanische Stützpunkte und Militärpräsenz in Brasilien aus. Im übrigen neutralisiert es Vorwürfe der brasilianischen Rechten, Lulas Politik – man ist im Vorwahlkampf um die Präsidentschaft – brüskiere systematisch den wichtigsten Handelspartner.
Stärker noch als bisher aus dem fernen Washington wird Shannon sich nun auch um Venezuela, Bolivien, Ekuador und Argentinien sowie um Uruguay sorgen, wo am 1. März ein ehemaliger Tupamaro-Kämpfer, José Alberto Mujica Cordano, die Präsidentschaft übernommen hat.
Hillary Clintons plakative Besorgnis gründet tiefer. Washington braucht eine plausible Erklärung, besser: Beschönigung für die militärische Einkreisung der lateinamerikanischen Staaten. Neben dem Kuba-Embargo und den Wirtschaftsschikanen gegenüber Bolivien, Venezuela, Ekuador und Nikaragua ist die US-amerikanische Militärpräsenz Grund wirklicher und zunehmender Sorge – der Betroffenen. Friedensnobelpreisträger Obama betreibt die Zernierung noch intensiver als sein Vorgänger Bush. Ungewollt beschleunigt er aber damit die südamerikanischen Integrationsbestrebungen. Mit der »Declaración de Santiago de Chile« ging die Union der Südamerikanischen Nationen (UNASUR) schon im März 2009 in Schulterschluß. Ein eigens kreierter Verteidigungsrat soll die Sicherheit des Subkontinents überwachen, einer Region mit 362 Millionen Bewohnern, den größten Wald- und Süßwasserbeständen und der größten Nahrungsmittelproduktion weltweit. Das nördliche Argument einer fürsorglichen US-Präsenz zwecks Bekämpfung von Drogenhandel und Rebellion (»insurgency«) mag US-Statthalter wie Álvaro Uribe in Kolumbien und Alan Garcia Pérez in Peru überzeugen, wird im übrigen aber als imperialistischer Zynismus empfunden.
Laut Foreign Policy in Focus verfügen die USA weltweit über rund 1000 militärische Stützpunkte und Einrichtungen im Ausland. Das Pentagon bestätigt 865, wobei es die Standorte in Afghanistan und Irak ausklammert. Allein 19 Basen kontrollieren die Karibik, Nikaragua und Venezuela: in Guantanamo, Panama, Porto Rico, El Salvador, Honduras, Costa Rica. In Kolumbien, das zur wichtigsten US-amerikanischen Festung ausgebaut wird, bestehen zehn Basen. Die personelle Besetzung, heißt es, sei gering. Doch binnen Tagesfrist kann sie aus der Luft oder von der allgegenwärtigen Vierten Flotte ergänzt werden. Die Schiffe des US Southern Command wurden 2008 entmottet und eigens für lateinamerikanische Eventualitäten ausgerüstet. »We are back« trompetete damals Thomas Shannon (vgl. Ossietzky, 16/08). Aber diese Präsenz ist nicht unangefochten. In Paraguay hält Präsident Lugo die Basis Marechal Estigarribia zur Zeit unter Verschluß. Der Leasingvertrag für die Luftstützpunkte Aruba und Curação auf den niederländischen Antillen, gerade mal 26 beziehungsweise 60 Kilometer von Venezuela entfernt, ist in diesem Jahr abgelaufen; die Regierung im Haag wird ihn voraussichtlich verlängern. Das Internationale Netzwerk zur Abschaffung ausländischer Militärbasen aber und sein Koordinator Wilbert van der Zeijden empfehlen »Ladenschluß« – nicht nur auf den Antillen.