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Titel1010

Das Trennungsgespräch  (Klaus Hansen)

Zwei Topfitte
Der eine prahlt mit seiner üppigen Gesundheit, als ob ihm nichts zustoßen könnte. Ein Unverletzlicher, so scheint es, ein Kandidat fürs ewige Leben, obwohl schon 70. Der andere klopft dreimal auf Holz, auf daß er nicht krank werde. Topfit auch er, der ebenfalls 70jährige, aber ohne rechte Zuversicht. Zwei intakte »Best-Ager«. Wen von beiden wird sich Freund Hein, wohl als ersten schnappen? Natürlich den Bangschisser. Beschwört sein Glück mit kraftlosen Gesten, statt es in vollen Zügen auszuleben. Trübselige Spaßbremse! Den Prahlhans hebt er sich für später auf. Auch Freund Hein ist nur ein Arbeitnehmer im Weinberg des Herrn und will, wie wir alle, Spaß bei der Arbeit haben. Der Prahlhans soll weiter an seine Unsterblichkeit glauben und den strammen Max markieren. Auf das dumme Gesicht, wenn er an die Reihe kommt, obwohl »fit wie ein Turnschuh« (so seine letzten Worte), freut sich Freund Hein schon heute.

Schön braun
Die Maikäfer begannen zu fehlen. Die Menschen bemerkten es nicht. Ihre Unkenntnis ersetzte den Maikäfer durch den Junikäfer, den es noch gab. Als der Junikäfer zu fehlen begann, setzte eine heftige Debatte über das Aussterben des Maikäfers ein. Das war zur Zeit des Tiefs »Magdalena«. In jenem Jahr wurden Schlechtwetterzeiten mit weiblichen Vornamen benannt, während man den meteorologischen Hochdruckphasen männliche Namen gab. Als das Wetter wieder besser wurde und die Sonne herauskam, »Kai« hatte »Magdalena« abgelöst, entdeckten die Menschen, daß man auch ohne Maikäfer schön braun wird.

Das Trennungsgespräch
Das betriebliche Trennungsgespräch hat den Zweck, dem »Mitarbeiter« (Beschönigung für »abhängig Beschäftigter«) zu eröffnen, daß er im Unternehmen nicht mehr gebraucht und darum »freigesetzt«, sprich: »entlassen« wird, obwohl er 20 Jahre lang seine Leistung gebracht hat und nichts gegen ihn vorliegt.

Den »Mitarbeiter« wird man von seiner Entlassung nicht überzeugen können. Darum sollte der Vorgesetzte jeden Versuch in diese Richtung unterlassen. Häufig gestellte Fragen wie »Warum gerade ich?« sind mit einem freundlichen Kopfnicken zu übergehen. Wer auf das Wort »Trennungsgespräch« hereinfällt, hat schon verloren. Ein Trennungsgespräch ist überhaupt kein Gespräch. Es dient einzig und allein der Information über eine unumstößliche Entscheidung der Geschäftsleitung. Am Ende steht immer ein Dissens, niemals eine einvernehmliche Lösung. Einen Täter-Opfer-Ausgleich gibt es nicht. Das muß man als Führungskraft wissen und aushalten können. Das ist nicht leicht. Im Gegenteil. Nicht nur der Geschaßte hat es schwer. Verbandsvertreter Hinrich Halbritter wurde bei einem Geheimtreffen mit führenden CEOs der Chemie-Branche deutlich: »Nehmen wir zum Beispiel den notwendigen Rausschmiß unserer so anhänglichen wie unflexiblen Stammbelegschaft. Die meisten von euch werden wissen, was es heißt, wenn ein Mob von 100 Entlassenen vor der Tür steht, wenn es 500 oder 1000 langjährig Beschäftigte sind, denen wir rigoros den Faden abschneiden mußten. Dies, ohne mit der Wimper zu zucken, durchzustehen, dabei anständig zu bleiben und nicht in Gefühlsduselei zu verfallen, das stählt und adelt uns als Chief Executive Officers an der marktwirtschaftlichen Arbeitsfront. Im Klartext zu sagen: Wir haben die moralische Pflicht gegenüber unseren Unternehmen, jene Blutsauger auszumerzen, die uns durch ihr impertinentes Anspruchsdenken, vom Lohn ihrer Arbeit auskömmlich leben zu wollen, über kurz oder lang kaputt machen.«

So weit Hinrich Halbritter vom Arbeitgeberverband.

Das Trennungsgespräch hat also noch eine zweite Seite. Es eignet sich auch dafür, langjährig bewährte Führungskräfte auf die Probe zu stellen. Wer nicht die notwendige Härte aufbringt, den »Mitarbeiter« unmißverständlich vor die Tür zu setzen, wer gutmenschelnd und den Konjunktiv strapazierend um den heißen Brei herumsalbadert, der wird automatisch zum Kandidaten für das nächste Trennungsgespräch. Trennungsgespräche haben also immer einen doppelten Zweck. Man entledigt sich überflüssiger Untergebener und zugleich fauler Weicheier in der Führungsetage.

Was am Ende übrig bleibt? Duckmäuser auf der einen Seite, Tyrannen auf der anderen. Auf diesen beiden Säulen beruht die heute viel gerühmte »kooperative Unternehmenskultur«, zu der auch ein Betriebshumanist auf Honorarbasis gehört. »Unser Ethik-Heini«, wie die Bosse sagen. Er hat darauf zu achten, daß bei Trennungsgesprächen gewisse moralische Mindeststandards, wie sie im »Bad Harzburger Konsens« vereinbart worden sind, eingehalten werden. So wird zum Beispiel empfohlen, immer eine Anzahl von Papiertaschentüchern griffbereit zu halten, um dem Freigesetzten zur Seite zu stehen, sollte ihm danach sein. Auch heißt es, daß Trennungsgespräche immer vormittags stattfinden sollten, am besten freitags vormittags. Damit der Kandidat im Anschluß an die Unterredung noch genug Mußezeit hat, um in aller Ruhe sein Leben zu überdenken und Abschied von alten Gewohnheiten zu nehmen. »Viel Glück« und »Bon Voyage« sollten in jedem Trennungsgespräch die letzten Worte sein.