Wir basteln uns eine marktkonforme Demokratie: Man senke die Steuern für Unternehmen und Wohlhabende und gehe sicher, daß dies Länder und Kommunen belastet. Man verändere also beispielsweise die Gewerbesteuer so, daß gerade noch ein geringer Teil der Unternehmen davon betroffen ist. Weiter reformiere man die Körperschaftsteuer dergestalt, daß die Finanzämter nicht nur nichts mehr einnehmen, sondern Hunderte von Millionen den Unternehmen zurückzahlen müssen. Simultan senke man den Steuersatz für einbehaltene und ausgeschüttete Gewinne, befreie die Gewinne aus dem Verkauf von Unternehmensbeteiligungen und Veräußerungsgewinne von der Steuer und öffne mit der Deregulierung des Finanzmarkts den Private-Equity-Unternehmen Tür und Tor. Außerdem lasse man Länder und Kommunen von uneigennützigen Finanzinstitutionen wie der Deutschen Bank beraten, die ihnen zum Erhalt der Infrastruktur sogenannte Public-Private-Partnership-Projekte und Cross-Border-Leasing-Geschäfte empfehlen, die kurz zuvor in Deutschland erst legalisiert wurden: Die Kommunen veräußern Teile ihrer Infrastruktur an einen Private-Equity-Fonds, mieten sie gleichzeitig von diesen und kaufen sie nach Vertragsende wieder zurück. Das spült größere Geldbeträge in die klammen Kassen, gleichzeitig halten sich die Mieten durch Steuererleichterungen für die Unternehmen in Grenzen. – So in der Theorie, denn in der komplizierten Wirklichkeit handelt es sich hierbei um ein sogenanntes strukturiertes Finanzprodukt, welches dem Investor sogleich erlaubt, seinen Kredit weiter zu verkaufen, der dann nach Kettenbriefsystemlogik abermals weiter verbrieft werden kann. Falls nicht, stürzt das Ganze, wie in der Finanzkrise, halt ein bißchen zusammen, und die Gemeinden müssen sehen, wie sie wieder an ihre Infrastruktur gelangen. Außerdem sind diese Verträge aufgrund der darin eher einseitig formulierten Bedingungen zugunsten der Investoren so beschaffen, daß sie den gegenteiligen Effekt auslösen: Die Verschuldung der staatlichen Kassen wird nicht beendet, sondern sogar verschärft. Staatliche Subventionen werden damit keineswegs zurückgefahren, sondern ausgedehnt. Diese zielen aber nicht mehr auf die Instandhaltung der Infrastruktur, sondern garantieren die Einnahmen von Unternehmen, die sich bei ausbleibenden Gewinnen aus den öffentlichen Kassen bedienen dürfen. Aufgrund des außergewöhnlichen Erfolges werden nun Privatisierungsmaßnahmen neben Sozialabbau und Niedriglöhnen auch den schwächelnden EU-Ländern empfohlen und dank Euro-päischem Stabilitätsmechanismus (ESM) und Fiskalpakt in ganz Europa sogar per Gesetz implementiert: Die nationalen Parlamente geben ihre Budgethoheit auf und werden bei Überschreitung des Etats automatisch finanziell sanktioniert. Überdies wird ein externes »Expertendirektorium« eingesetzt. Dabei trifft es sich freilich gut, daß die Politiker, sofern keine Masochisten und nicht korrupt, zu unbedarft sind, um überhaupt zu merken, daß sie damit der Entmachtung der eigenen Zunft zustimmen. Jetzt wiederum ist auch nicht schlecht, daß bereits die Regierung Kohl Funk und Fernsehen privatisiert hat, die genau den Unternehmen gehören, die von dieser Entwicklung profitieren. Ebenso finden in deren geistigem Fahrwasser die ohnehin in privaten Händen liegenden Printmedien in der Krise die staatliche Unterstützung von Bankstern und ihren Kunden ziemlich knorke, während sie die wahren Bösewichte in den Arbeitslosen, üppigen Lohnnebenkosten und mangelnder Privatisierungsbereitschaft erahnen, so daß wir die Prognose wagen, dieser Circulus vitiosus werde erst durchbrochen, wenn die Häupter von Gerhard Schröder und Joschka Fischer auf Lanzen gespießt von der Kuppel des Reichstags prangen. – Selbstverständlich nur als Skulpturen, als Denkmäler natürlich, als Kunstaktion versteht sich.