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Titel102013

Wohltätige Treuhand  (Ralph Hartmann)

In der Bundesrepublik werden die Rufe nach einer Rekommunalisierung von Unternehmen der Energieversorgung, der Wasser- und Abfallwirtschaft immer lauter. Die Linken treten selbst für eine Verstaatlichung der großen Banken, der Stromriesen und anderer Konzerne ein.

Was für ein Unsinn! Gerade in unserem schönen Land haben wir doch erlebt, zu welch glänzenden Ergebnissen das Gegenteil führen kann. Immerhin ist im Osten des Vaterlandes eine ganze Volkswirtschaft, darunter 6.546 Industrie- und Wirtschaftsunternehmen sowie 22.340 Gaststätten, Hotels und Verkaufseinrichtungen sowie riesige Agrar- und Forstflächen bravourös privatisiert, anders ausgedrückt, in Privateigentum zerhackt worden. Allerdings mußte der ostdeutsche Übergabe-Premier, Lothar de Maizière, zum Jagen getragen werden, um der Großaktion einen rechtlichen Rahmen zu geben. Kurz nach seiner Wahl zum letzten Vorsitzenden des Ministerrates der DDR wurde er auf mehreren Treffen mit Vertretern westdeutscher Großbanken aufgefordert, für Kreditzusagen das Modrowsche Gesetz zum Schutz des Volkseigentums in sein Gegenteil zu verkehren. So geschah es. Nachdem auch Helmut Kohl dem Ministerpräsidenten auf seine väterliche Art zugeredet hatte, verabschiedete das letzte Parlament der DDR das sogenannte Treuhandgesetz, das später mit dem Einigungsvertrag Teil des Bundesrechts wurde. Der Auftrag lautete klar und unmißverständlich: »Das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren.«

Dank der Treuhandanstalt (THA) ist die Privatisierung so erfolgreich vollzogen worden, daß ihre langjährige Präsidentin Birgit Breuel anschließend mit der Vorbereitung der Weltausstellung in Hannover betraut wurde. Ihr Vorgänger, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Hoesch AG, Detlev Karsten Rohwedder, dagegen wurde heimtückisch ermordet. Ausgerechnet am Vorabend von geplanten Massenkundgebungen gegen die Treuhandpolitik, die nach dem Attentat selbstverständlich abgesagt werden mußten. Wer demonstriert schon gegen einen Ermordeten? Die Täter wurden nie gefaßt, die Ermittlungen recht bald eingestellt. Nur ein Schelm denkt dabei Arges.

Aber weg vom kriminellen Einzelgeschehen, zurück zum Wirken der THA: Diejenigen, die gegen Privatisierungen und für eine Rekommunalisierung oder gar Verstaatlichung eintreten, sind gut beraten, den Blick auf das ostdeutsche Anschlußgebiet zu richten und sich mindestens sechs entscheidende Vorzüge der Totalprivatisierung vor Augen zu führen: Erstens, die Rückkehr zur kapitalistischen Privatwirtschaft hat dem Unrechtsstaat DDR die ökonomischen Grundlagen entzogen und die Gefahr einer Rückkehr zu einer geplanten Volkswirtschaft mit all ihren schrecklichen Folgen, wie verdeckter Arbeitslosigkeit, gleichem Lohn für gleiche Arbeit, Lohn- und Gehaltsunterschiede lediglich in einer Spanne von 1 zu 7, weitgehende Chancengleichheit im Bildungswesen, niedrigen Mieten, Tarifen für Strom, Gas, Wärme, Wasser und andere Scheußlichkeiten, gebannt.

Zweitens, mit Hilfe der THA-Privatisierung ist es gelungen, die Industrieproduktion zu drosseln und die Wirtschaft im Osten vor einer Überproduktion, der Quelle ökonomischer Krisen im Kapitalismus, zu bewahren. So gelang es dank der Währungsunion und der THA die Industrieproduktion innerhalb eines Jahres um zwei Drittel zu verringern. Böse Zungen setzten deshalb die Lüge in die Welt, der Osten sei deindustrialisiert worden. Dabei verschweigen sie zum Beispiel, daß das produzierende Gewerbe 2009 bereits 64 Prozent des Ausgangsniveaus von 1989 erreichte. Das sind doch Erfolge, die durch die jüngsten Behauptungen des Institutes für Wirtschaftsforschung Halle, daß die Wirtschaftsleistung in den Ostländern gegenwärtig schrumpfe, nicht geschmälert werden können.

Drittens, eines der schönsten Ergebnisse der THA-Privatisierung und der vorausgegangenen Währungsunion ist es, daß 2,6 Millionen Ostbürger von der Geisel des tagtäglichen Ganges zur aufreibenden Lohnarbeit befreit wurden. Endlich konnten sie sich in die soziale Hängematte legen und in aller Ruhe ihr Arbeitslosen- und später »Hartz IV«-Geld verprassen. Ein Traum war wahr geworden, den viele altbundesdeutschen Politiker noch vor der Rückgewinnung der ostdeutschen Gebiete so formuliert hatten: Die Arbeiter im Osten wären glücklich, wenn sie so gut leben könnten wie die Arbeitslosen im Westen. Dieses Glück hat ihnen die THA-Privatisierung gebracht.

Viertens, es ist nicht zuletzt ein Ergebnis der Treuhandpolitik, daß eine Überbevölkerung im Osten vermieden werden konnte. Von 1991 bis 2011 verringerte sich die Einwohnerzahl von 18,07 auf 16,3 Millionen. Seit 1990 haben nahezu zwei Millionen ostdeutsche Bürger, vor allem junge, gut ausgebildete, die Möglichkeit genutzt, auf der Suche nach Arbeit in Richtung Westen zu ziehen. Ganze Landstriche in Vorpommern, der Uckermark, der Prignitz, der Altmark verwandelten sich in menschenleere »blühende Landschaften«. Sie wurden »renaturiert« oder, wie es der Direktor des Berliner Institutes für Bevölkerung und Entwicklung zutreffend formulierte, »der Schöpfung zurückgegeben«.

Fünftens, ein großer Vorzug bestand darin, daß die führenden Vertreter der Konzerne, Banken und Versicherungen den Ostdeutschen die aufreibende Arbeit der Privatisierung abnahmen. Unter den 100 THA-Direktoren stammte kein einziger aus der DDR. Bei den Aufsichtsratsvorsitzenden war es nicht anders. Zu ihnen zählte auch der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen Ernst Albrecht, der Vater unserer Bundesministerin für Arbeit, Ursula von der Leyen, Er führte Aufsicht über das Stahl- und Walzwerk Thale. Um es zu retten, kaufte er es für 1 (eine) DM und erhielt dafür als Zubrot eine Reihe von Immobilien und Werkswohnungen sowie ein großes Betriebsferienheim und ein Kinderferienlager nebst dazugehörigen Ländereien und Wald. Ein schönes Beispiel für die Selbstlosigkeit der Privatisierer.

Sechstens, die THA zeigte, daß eine Privatisierungsanstalt auch karitativ tätig sein kann. Einerseits verhalf sie armen Schluckern zu einem gewissen Wohlstand, andererseits trug sie dazu bei, altbundesdeutsche Konzerne vor lästiger Konkurrenz zu schützen. Zwei Beispiele illustrieren dieses wohltätige Wirken: Ein knapp 30 Jahre alter Sparkassen-Betriebswirt, sein Name war Zinsmeister, war mit der Liquidation ehemals volkseigener Betriebe befaßt und erhielt dafür ein Netto-Honorar in Höhe von 6.804.337,80 DM. Um eine weitaus größere Summe ging es, als die BASF-Tochter Kali+Salz AG Kassel die Kali-Schächte in Bischofferode und Roßleben übernahm, dafür 1,3 Milliarden DM staatlichen Zuschuß erhielt und anschließend beide ostdeutschen Werke schloß. So wurden rund 23.000 Bergleute von ihrer schweren Arbeit und das altbundesdeutsche Unternehmen von seinem Marktkonkurrenten befreit.

Trotz der angeführten Vorteile der Privatisierung in Ostdeutschland, und es sind bei weitem nicht alle, erdreisteten sich einige Querulanten, die Treuhand in den Dreck zu ziehen. Ein gewisser Rolf Hochhuth nannte sie eine »Variante des Kolonialismus, wie er nirgendwo gegen Menschen des eigenen Kontinents, geschweige denn des eigenen Volkes praktiziert wurde«. Günter Grass sah in ihr eine »beispiellose Enteignung und Bevormundung der ostdeutschen Bevölkerung«. Und die Zeitschrift metall, Organ der IG Metall, sprach angesichts der Verwandlung des Treuhandvermögens von 600 Milliarden DM in einen Schuldenberg von 275 Milliarden DM von der »wohl größten Vernichtung von gesellschaftlichen Reichtum«.

Wie wohlwollend hebt sich von diesen Diffamierungen die Einschätzung von Birgit Breuel ab, die die Treuhand als eine »Privatisierungsagentur« rühmte, »die die schnellste Privatisierung einer Volkswirtschaft hervorbrachte, die es weltweit je gegeben hat«. So sah es auch ihr damaliger Chef, Bundesfinanzminister Theodor Waigel, der allen dankte, »die innerhalb und außerhalb der Treuhandanstalt ihre Pflicht und noch viel mehr getan haben. Das war und ist Einsatz für Deutschland und Hingabe an unser Vaterland, das wir wiedergewonnen haben.« Dem ist nichts hinzuzufügen.