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Titel102013

Wie privatisiert man ein Museum?  (Matthias Biskupek)

Privat geht vor Katastrophe, lautet eine alte lebenspraktische Regel. Und deshalb erzähle ich hier von einem ganz privaten Urlaub unlängst, der mich nach Ungarn führte. Auf das eigentliche Thema kommen wir früh genug.

In Ungarn war ich des öfteren – zum Beispiel Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Freunde, bei denen wir damals in Szekszard hausten, wohnten in der obersten Etage eines Blocks. Nicht zur Miete; nein, die Wohnung hatten sie gekauft. Und nun gehörte sie ihnen – beziehungsweise der Bank. Das mochte damals in der ehemaligen BRD nichts Ungewöhnliches sein. Für Ungarn, das man zum »sozialistischen Lager« rechnete, schien mir das neu.

Nicht doch, das ist eine übliche Methode hierzulande, wurde mir damals beschieden. Mietwohnungen gibt es einfach viel zu wenige, junge Leute werden zu Wohneigentum gebracht. Oder gedrängt. Oder erzogen. Vielleicht war das der »Gulaschkommunismus«? Mit seiner »Salamitaktik«? Das waren damals übliche Begriffe, im Unterschied zur »lustigsten Baracke des Ostblocks«: eine Bezeichnung, die ich erst jetzt immer wieder höre. Aber das mag ähnlich sein wie mit jenem Lied »Die Partei, die Partei, die hat immer recht«, das ich in den Siebzigern und Achtzigern eigentlich nie öffentlich vernahm, während es jetzt jede Sendung über die DDR-Unrechtsrepublik untermalt.

Ende der Achtziger war ich richtig dienstlich in Budapest. In Sachen Kabarett – das ich zwar kaum verstand, aber erklärt bekam. Den damals staatlichen Medien wurde im Mikroszkop-Szinpad ordentlich über den Mund gefahren. Man kommentierte Nachrichtensendungen im gerade laufenden Fernsehprogramm, ließ die parteilichen Sprecher in damals hochmoderner Videotechnik mit geöffneten Mäulern verharren – oder drehte ihnen einfach den Saft ab. Kadar war immer noch Parteichef, aber mit den Medien ging man so um, wie ich mir das für die DDR gewünscht hätte: respektlos, kritisch und hübsch unsachlich.

In diesem kalten Frühling also wieder mal Ungarn. Unsere Freunde von damals fanden wir in einer Budapester Vorstadt. Kleines Reihenhaus – selbstverständlich privates Eigentum, das sie sich leisten konnten, weil sie auch lange in der DDR gearbeitet hatten. Den Medien aber, erzählten sie, könne man nicht mehr einfach den Saft abdrehen.

Sind die privatisiert worden? Nicht direkt. Man hat sie zentralisiert. Auf jeden Fall gehören sie der führenden Partei des Ministerpräsidenten Viktor Orban. Man hat bis in den letzten Landeswinkel die Nachrichten von der Zentrale zu übernehmen. Dient aber alles nur der Einsparung. Jetzt darf man auch einer Volksbefragung zustimmen, die »Regiekosten« – so heißen hier die Kosten zur Unterhaltung privaten Wohnraums – um zehn Prozent zu senken. Die Befrager kommen ins Haus. Und natürlich stimmt man der Umfrage mit Name und Hausnummer zu. Wer möchte keine Kosten gesenkt haben? Was dann eine überwältigende Zustimmung der magyarischen Massen zur Politik des viktorianischen Orbanismus bedeuten wird.

Orban regierte bereits von 1998 bis 2002. Diese Zeit nutzte er, um die politische Bildung nach seinem Geiste zu modeln. 2002 ließ er in Budapests Zentrum das »Haus des Terrors« eröffnen. Dort sieht man, wie 1921 ungarische Ländereien »okkupiert« wurden, von Österreich, der Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien.

Dann kommt – nichts. Keine Räterepublik, kein Weißer Terror, kein Reichsverweser Horthy. Erst im Frühjahr 1944 geht die Geschichte weiter. Es marschieren geordnet deutsche Nazis und ungarische Pfeilkreuzler durch ein intaktes Budapest. Nach diesem Zehntel der Ausstellungsfläche ziehen brüllende Sowjettruppen quer durch ein zerstörtes Budapest. Viele, viele Räume und drei Etagen voller Schreckensherrschaftszeugnisse folgen: Kommunisten, Henker, Folterknechte.

Das Museum ist hervorragend, also agitatorisch großartig, eingerichtet – wenn man von jener seltsamen Botschaft absieht, daß Pfeilkreuzler vielleicht nicht nett waren, die eigentlichen Bluthunde aber Janos Kadar und Genossen heißen.

Der private Besitzer des Museums wird überall ganz oben genannt: Orban Viktor. Danach folgen: Schmidt Maria, Kovacs Attila, Szajer Joszef und Varhegyi Attila. Meine Ungarisch-Kenntnisse sind etwas mangelhaft – möglicherweise heißt das auch, daß Orban Viktor der Reichsmuseumsverweser ist. Immerhin: nach dem weisen Führer auch der ungarischen Volksmassen, einem gewissen Sztalin Jozsef, ist dies wohl das erste Mal in der neueren europäischen Geschichte, daß ein Staats-Führer auch Museums-Führer ist.

Näheres sollte bei einem wichtigen ungarischen Ministerium zu erfahren sein. Das trägt den schönen Namen Belügyminiszterium. Meine mangelhaften Ungarisch-Kenntnisse verbieten kategorisch, dies zu übersetzen.