Am 23. Mai 2006 kam ein lokales Netzwerk aus Einzelpersonen, Vertretern von Initiativen, Attac, der Berliner Mietergemeinschaft, der Grünen Liga und der Gewerkschaft im Kulturzentrum »Weiße Rose« am Wartburgplatz in Berlin-Schöneberg zusammen und gründete unter dem Motto »Wasser gehört uns allen – Wasser ist ein Menschenrecht« den Berliner Wassertisch. Sein Vorbild waren die venezolanischen Wassertische, die sich beim Weltsozialforum in Caracas vorgestellt hatten. Der runde Tisch wurde gleichsam zum Symbol, gemeinsam und gleichberechtigt nach Alternativen zu suchen. Der Berliner Wassertisch entwickelte in der Folgezeit Modelle für eine demokratische, soziale und ökologisch nachhaltige Wasserbewirtschaftung in Berlin und machte die Problematik einer zunehmenden Privatisierung der Daseinsvorsorge und des Geschäftsmodells »Public-Private-Partnership« (PPP) öffentlich. Das konkrete Ziel aber war, die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe rückgängig zu machen.
Skandalöse Privatisierung
1999 hatte die Große Koalition aus CDU und SPD zum Zweck der öffentlichen Schuldentilgung in Berlin und einer angeblich besseren Bewirtschaftung 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe für 1,68 Milliarden Euro über eine Holding AG an die Konzerne RWE und Veolia verkauft. Es war die größte Teilprivatisierung eines kommunalen Wasserbetriebes innerhalb der Europäischen Union. Die Verträge dieser »Öffentlich-Privaten Partnerschaft« (PPP) waren geheim und wurden erst unter dem Eindruck des vom Berliner Wassertisch initiierten, erfolgreichen Wasser-Volksbegehrens im November 2010 vom Senat veröffentlicht.
Der ehemals geheime Konsortialvertrag wurde als skandalös empfunden, weil er eine Gewinngarantie für die privaten Anteilseigner enthält und festschreibt, daß die Geschäftsführung faktisch bei den Privaten liegt. Private Anteilseigner entscheiden über eine öffentliche Dienstleistung und entziehen die Daseinsfürsorge der demokratischen Kontrolle.
Volksentscheid in drei Stufen
Der Berliner Wassertisch hat zur Durchsetzung seiner Ziele eine Volksgesetzgebung initiiert, die drei Stufen bestehen mußte. Die erste Stufe, den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens, konnte er im Februar 2008 erfolgreich abschließen. Doch der Berliner Senat ließ das Volksbegehren nicht zu, der Wassertisch zog vor Gericht und setzte im Oktober 2009 vor dem Landesverfassungsgericht nicht nur die Zulassung des Volksbegehrens zur Offenlegung der Geheimverträge durch, sondern wurde vom Verfassungsgericht auch darin bestätigt, die gleiche Gesetzgebungskompetenz wie das Parlament zu besitzen.
Erfolgreich war auch die zweite Stufe, das Volksbegehren »Schluß mit den Geheimverträgen! Wir Berliner wollen unser Wasser zurück!« im Oktober 2010. Statt der benötigten 172.000 Stimmen wurden 280.887 gültige Stimmen eingereicht. Unter dem Druck des erfolgreichen Volksbegehrens stellte der Berliner Senat die Verträge ins Netz und lehnte die Übernahme des vom Wassertisch vorgeschlagenen Gesetzes wegen der seiner Ansicht nach bereits erfolgten vollständigen Offenlegung und des novellierten Informationsfreiheitsgesetzes ab. Der Wassertisch hingegen hielt eine Offenlegung gemäß Gesetz für unabdingbar, da nur dadurch die Nichtigkeit aller nicht offengelegten Teile des Vertragswerks, einschließlich seiner Nebenabreden und relevanten Dokumente, festgeschrieben würde.
Die dritte Stufe der Volksgesetzgebung, der Volksentscheid, fand im Februar 2011, statt. Mindestens 612.000 Ja-Stimmen, ein Quorum von 25 Prozent der Stimmberechtigten, wurden für den erfolgreichen Ausgang benötigt. Der Abend des Abstimmungstages war ein Triumph der Bürgerinitiative: Über 666.000 Berlinerinnen und Berliner nahmen teil, 98,2 Prozent stimmten für das Gesetz zur Offenlegung. Drastische Preissteigerungen, die Empörung über die Existenz von Geheimverträgen und mit Steuergeldern gesicherte Gewinngarantien für Veolia und RWE hatten ebenso wie das offensichtliche Demokratiedefizit zu diesem Sieg beigetragen.
Mit der Offenlegung der Geheimverträge gemäß Gesetz stand nun die Rückabwicklung der rechtswidrigen Verträge zur Teilprivatisierung des Berliner Wassers auf der Agenda des Wassertischs. Er gründete zur Aufklärung des Vertragswerkes den Untersuchungsausschuß »Klaerwerk« und stellte seine Analyse der Verträge der Öffentlichkeit und den Abgeordneten zur Verfügung. Er erzwang die Einrichtung des Sonderausschusses »Wasserverträge«, der im Berliner Abgeordnetenhaus von Januar bis Dezember 2012 tagte, sich aber als Blockade-Instrument der Regierungskoalition erwies. CDU und SPD, die im Jahr 1999 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe verkauft hatten, waren eben nicht daran interessiert, die Verstöße ihrer damaligen Koalition aufzudecken.
Folgen der Wasser-Privatisierung
In Berlin sind nach 13 Jahren PPP die Wasserpreise um 35 Prozent gestiegen; die Berliner zahlen im deutschen Städtevergleich die höchsten Wasserpreise. Das Bundeskartellamt hat im Juni 2012 eine Preissenkungsverfügung gegen die Berliner Wasserbetriebe wegen »mißbräuchlich überhöhter Trinkwasserpreise« erlassen. Drei Wasserwerke wurden geschlossen, ökologisch wichtige Wasserschutzgebiete in lukratives Bauland verwandelt, Verwertungsrechte auf Patente privatisiert, und der Personalbestand der Berliner Wasserbetriebe wurde massiv abgebaut. Aufgaben der Nachhaltigkeit wie Netzrehabilitation, Energieeffizienz und Reinigungsqualität werden nur unzureichend angegangen. Die Investitionen bleiben hinter dem zurück, was von den Wasserkunden dafür bezahlt wird, Erhaltungsaufwendungen werden als »Investition« abgerechnet, worunter die Substanz des Rohrleitungsnetzes leidet. Die Gewinne sind zu Gunsten der Privaten ungleich verteilt, das Land Berlin haftet für die Gewinne der privaten »Partner« und hat sich obendrein seiner Entscheidungsbefugnisse beraubt, denn die betriebliche Führung liegt auch nach dem überteuerten Rückkauf der Anteile von RWE im Oktober 2012 beim privaten Minderheitseigner Veolia. Das Land hat, obwohl es nun mit 75 Prozent der Anteile Mehrheitseigner ist, weiterhin nichts zu sagen. Es ist offensichtlich, daß ein unauflösbarer Widerspruch zwischen dem Streben eines Großunternehmens nach betriebswirtschaftlicher Rentabilität und einer am Gemeinwohl orientierten, demokratischen Wasserversorgung besteht.
Rekommunalisierung durch Rückabwicklung
Der Berliner Wassertisch hat sich von Anfang an für eine kostengünstige Rekommunalisierung durch Rückabwicklung der rechtswidrigen Verträge eingesetzt. Das bleibt eine zentrale Forderung der Bürgerinitiative. Die zu diesem Zweck vom Wassertisch-Untersuchungsausschuß »Klaerwerk« geforderte Normenkontrollklage gegen das »Betriebegesetz« wurde von Piraten und Grünen bereits eingereicht, eine Organklage brachten die Piraten im Alleingang auf den Weg.
Zu einer vollständigen Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe hat der Berliner Wassertisch nach dem Ausscheiden von RWE am Weltwassertag 2013 seine neue Kampagne »Berlin sagt: Veolia adieu« vorgestellt, denn auch der französische Konzern Veolia soll Berlin verlassen, um die Wasserbetriebe wieder komplett in die öffentliche Hand zurückzuführen.
Beispiel Paris
Eine Zukunftsoption für Berlin eröffnet das Beispiel von Paris. Am 1. Januar 2010 entzog die französische Hauptstadt nach 25 Jahren privater Wasserwirtschaft den Konzernen Veolia und Suez die Konzession; die Wasserversorgung kam in städtischen Besitz zurück. Mit »Eau de Paris« wurde ein Unternehmen in öffentlicher Hand gegründet. Ein partizipatives Kontrollgremium, in dem Vereine des Verbraucher- und Umweltschutzes wie auch Wissenschaftler vertreten sind, sichert die demokratische Kontrolle. In diesem Kreis werden die Zukunftsentscheidungen für das Pariser Wasser getroffen. In Paris konnten die Trinkwasserpreise nach der Rekommunalisierung deutlich gesenkt werden, es ist wieder möglich, langfristig zu planen, die Gewinne fließen jetzt in die Infrastruktur der Wasserversorgung, statt in die Hände der Aktionäre. Der Berliner Wassertisch unterhält enge Kontakte zu den Akteuren der Pariser Wasser-Demokratisierung. Wann reisen Vertreter des Senats zur Beratung nach Paris?