Vielleicht wird man sie später einmal als postdemokratisches Phänomen, als extremen Ausdruck des Primats der Ökonomie betrachten. Heute werden sie gern in Osteuropa, vor allem aber in Rußland verortet: Oligarchen. Sie heißen Abramowitsch, Beresowski, Lebedew, Chordokowski, Usmanow und werden in der Regenbogenpresse als exzentrische Milliardäre beschrieben, die Fußballclubs aufkaufen, sich mit teuren Yachten gegenseitig übertrumpfen und Schlösser und Gemälde sammeln. Anfang der 1990er Jahre gab es in Rußland auf Grund der chaotischen Verhältnisse unter Boris Jelzin für einige wenige skrupellose Glücksritter die Chance, in kurzer Zeit vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden. Es war jener Raubtierkapitalismus, welcher es einigen Personen ermöglichte, unverschämten Reichtum anzuhäufen. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion sind diese Sumpfblüten eines zerfallenen Imperiums bis heute zu finden. Aber machen wir uns nichts vor: Diese Superreichen, welche mit Hilfe ihres immensen Vermögens wirtschaftlichen und politischen Einfluß ausüben, gibt es in fast allen Ländern.
Den Begriff Oligarchie kannte man schon in der Antike. Er bedeutete »Herrschaft der Wenigen«. Aristoteles verstand unter dem Begriff die Herrschaft des puren Eigennutzes als Gegenpart zu Demokratie und Aristokratie. Schon die weltweite Umverteilung von Volks- in Individualvermögen bringt es mit sich, daß diese Kaste der Superreichen heute weltweit »in Politik investiert«, wobei sie sich an den Möglichkeiten des jeweiligen politischen Systems orientiert oder dieses – wenn möglich – gefügig macht.
Die folgende tour d'horizon soll dies (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) erhellen. Neben Rußland ist es aktuell vor allem die Ukraine, deren Oligarchen häufig in die Schlagzeilen geraten. Der Schokoladenkönig Poroschenko spielt schon länger eine wichtige Rolle in der politischen Landschaft der Ukraine und war gern gesehener Gast auf der Münchner »Sicherheitskonferenz«. Rinat Achmetow, dem Milliardär aus der Ostukraine, machte sogar der deutsche Außenminister seine Aufwartung. In Tschechien wäre der Milliardär Andrej Babiš 2011 beinahe zum Präsidenten gewählt worden. In Österreich war es 2013 Frank Stronach, der mit der Macht seines Vermögens in die Politik einsteigen wollte. In einigen Ländern gelten Oligarchen als wählbare Alternative zum herrschenden Parteiensystem. Silvio Berlusconi verdankt seine lange politische Karriere nicht nur seinen einflußreichen Medien, sondern auch der Tatsache, daß die Italiener den traditionellen politischen Parteien nicht mehr trauen. Dahinter steckt ein abstruser Gedanke: Wer über viel Geld verfügt, ist unabhängig und unbestechlich. Vor allem aus diesem Grund haben jüngst die Slowaken den Milliardär Andrej Kiska zu ihrem Präsidenten gewählt. In Frankreich haben sich Oligarchen große Teile der Medien angeeignet. Der Bauunternehmer Bouygues besitzt nicht nur eine Telefongesellschaft, sondern auch das ehemals staatliche erste Fernsehen. Der Rüstungsunternehmer Dassault baut nicht nur Flugzeuge, sondern ist auch Eigentümer der Zeitung Le Figaro und Parlamentsabgeordneter. Arnaud Lagardère, Medienmogul und Großaktionär, zählte zu den wichtigsten Unterstützern des Expräsidenten Sarkozy. Der gebürtige Australier Rupert Murdoch ist nicht nur in England durch sein Presseimperium politisch einflußreich, sondern auch in den USA durch den Fernsehsender Fox News. Die Vereinigten Staaten verfügen, was Oligarchen betrifft, über eine lange Tradition. Vor allem im 19. Jahrhundert wurde der Begriff auf Millionäre in Alaska und an der Westküste angewandt, wo mangels staatlicher Strukturen einige Reiche das politische Leben bestimmten. Heute gibt es dort viele Milliardäre, die mehr oder weniger offen Einfluß nehmen wie zum Beispiel die Brüder Koch, Michael Bloomberg oder der schon genannte Rupert Murdoch. Wenn man zudem weiß, daß fast die Hälfte der Abgeordneten des Repräsentantenhauses Millionäre sind, könnte man fast von einer Oligarchenrepublik sprechen. Die extrem teuren Wahlkämpfe wären ohne die Spenden der Oligarchen nicht zu finanzieren.
Es ist dem Schriftsteller Uri Avnery zu verdanken, daß auch die in Israel aktiven Oligarchen zunehmend kritisch beleuchtet werden. Am Beispiel des durch Spielcasinos reich gewordenen Milliardärs Sheldon Adelson schildert er, wie dieser nicht nur die israelische Rechte, sondern auch deren Pendant in den USA mit unglaublichem finanziellen Aufwand unterstützt. Auch hier spielen die Medien eine entscheidende Rolle: Seine kostenlose Zeitung Israel HaYom (Israel heute) ist das auflagenstärkste Blatt und treibt andere Publikationen in die Pleite.
Trotz der Aufrechterhaltung des Machtanspruchs der Kommunistischen Partei Chinas hat sich auch in China eine mächtige Oligarchenschicht gebildet, die derjenigen im Westen und in Rußland, was den Reichtum betrifft, in nichts nachsteht. Laut Hurun-Report, der Liste der reichsten Chinesen, gibt es inzwischen 315 Dollarmilliardäre und 2,8 Millionen Millionäre. Wang Jianlin, Eigentümer des Mischkonzerns Dalian Wanda, ist mit 22 Milliarden Dollar Vermögen der reichste Chinese. Aus dem Report geht hervor, daß die Oligarchen auch stark mit der politischen Nomenklatura vernetzt sind: Ein Viertel der 1000 reichsten Chinesen sind Mitglied der KPC, 153 sitzen im Nationalen Volkskongreß. Dagegen sitzt von jenen 120 Millionen, die über weniger als einen Dollar pro Tag verfügen, nicht ein einziger im Volkskongreß. Das Primat der Politik, einst von Mao Zedong postuliert, wird heute so interpretiert, daß die Parteikader selbst große Vermögen anhäufen und die Oligarchen gewähren lassen, solange ihre Position nicht bedroht ist.
Der russische Präsident Putin hat bei seinem Amtsantritt versucht, das Primat der Politik wieder herzustellen, indem er die politischen Ambitionen der Oligarchen brutal beschnitt. Aber auch für Putin gab es nur diese Alternative: Halte ich mir Oligarchen oder werde ich von Oligarchen gehalten? Er hat sich für ersteres entschieden. Im neuen kalten Krieg werden auch die Oligarchen instrumentalisiert. Während der Putin-Gegner Michail Chordokowski im Westen als Held gefeiert wird, werden Pro-Putin-Oligarchen mit Sanktionen belegt.
Und in Deutschland? Auch hier gibt es selbstverständlich Oligarchen. Mancher wird sich noch an die Flick-Affäre erinnern, wo es um Geldumschläge ging, auf denen Politikernamen standen. Heute freilich werden keine Umschläge mehr zugesteckt, die Beeinflussung läuft subtiler ab. Wie in anderen Ländern geschieht dies vor allem durch Medienmacht. Kaum jemand käme auf die Idee, Friede Springer oder Liz Mohn als Oligarchinnen zu bezeichnen. Aber sie tun genau das, was ein Rupert Murdoch oder ein Sheldon Adelson treibt, nur etwas diskreter, aber deshalb nicht weniger effizient. Allgemein gilt: Je maroder das politische System, desto größer die Macht der Oligarchen.
Ein Bereich, in dem die Oligarchen weltweit tätig sind, wurde hier aus Platzgründen ausgespart: der Sport. Wer sich darüber informieren will, sei auf folgenden gut recherchierten Webseiteninhalt verwiesen: www.nolympia.de/kritisches-olympisches-lexikon/oligarchen-sport/