Wir geben es zu: Kürzlich haben wir uns in Istanbul an einem Stand der CHP ein wenig in die türkischen Kommunalwahlen eingemischt. Trotzdem fühlen wir uns für die Wahlschlappe der – na ja – sozialdemokratischen kemalistischen Partei nicht verantwortlich. Die bereits 1923 von Atatürk gegründete CHP, die der dahinsiechenden Sozialistischen Internationale und als assoziiertes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Europas angehört, wollte die von schweren Krisen geplagte Regierungspartei AKP zumindest in den Kommunen schlagen und damit eine aussichtsreiche Position für die türkischen Parlamentswahlen im August schaffen. Um das zu erreichen, stellte die CHP sogar abgehalfterte Politiker der AKP sowie der rechtsextremen MHP, der Partei der terroristischen Grauen Wölfe, als Kandidaten auf.

Zwei Tage vor den Wahlen bummelten meine Frau und ich über den Taksim-Platz und durch den Gezi-Park sowie durch das Menschengewimmel der sich anschließenden Hauptgeschäftsstraße und kilometerlangen Fußgängerzone Istiklal Caddesi – vorbei an Polizeisperren, gelegentlich patrouillierenden Räumpanzern und Wasserwerfern, Wagen mit Polizeitrupps, aber auch an den Wahlständen einiger Parteien. Uns hielten zwei Werber der CHP auf, und da beide leidlich Englisch sprachen, ergab sich folgendes interessante Gespräch: Auf unsere Frage, was das für eine Partei sei, erklärten beide, es handele sich um Sozialdemokraten. Als wir wissen wollten, ob die CHP eher rechts oder links einzuordnen sei, antwortete der erste rechts, der andere widersprach und meinte links. Unser Vorschlag, sich vielleicht erst einmal untereinander zu einigen, führte zu einer erregten Diskussion, an der sich auch noch andere CHP-Mitglieder beteiligten – leider alles auf türkisch. Schließlich wandte sich der »rechte« Sozialdemokrat wieder an uns und sagte, er werde jetzt seine Frau anrufen, sie sei Deutsche und könne alles genau erklären. Schon hatte ich sein Handy am Ohr und eine sympathische Stimme sagte »Hallo – kann ich Ihnen helfen?« Ich schilderte kurz den Streitfall und wurde folgendermaßen aufgeklärt: »Mein Mann hat unrecht – die sozialdemokratische CHP steht nicht rechts, sondern links – so ungefähr wie Merkel bei uns ...!«

Diese Aussage führte zu weiteren Diskussionen innerhalb der CHP-Wahlmannschaft, und der »linke« Sozialdemokrat meinte dann zu uns: »Das mit Merkel ist jedenfalls falsch – denn wir sind so links wie (Ex-Bundeskanzler) Schröder!«

Ein offizielles Ergebnis der Abstimmung in der Türkei steht auch mehr als 14 Tage nach den Wahlen wegen unzähliger Verstöße gegen das Wahlrecht und anderer Unstimmigkeiten noch aus. Nach dem vorläufigen Resultat hat die CHP 28 Prozent, Erdogans AKP 45 Prozent erreicht.

Einen kleinen Wahl-Nachtrag würde ich hier gerne noch unterbringen, denn darüber konnte man in den deutschen Medien nichts vernehmen: Der konservative Istanbuler Medienkonzern Hürriyet meldete noch in der Wahlnacht, daß zum ersten Mal in der türkischen Geschichte ein Kommunist, der offizielle Kandidat der Türkischen Kommunistischen Partei TKP, mit Mehrheit zum Bürgermeister gewählt wurde. Der Mann heißt Fatih Mehmet Maçoğlu, hat einen lustigen Bart und wird in Zukunft Stadt und Distrikt Ovacık in der zumeist von Aleviten bewohnten Provinz Tunceli (Dersim) regieren.