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Von Auftragskunst und Staatsmalern  (Maria Michel)

Diese abwertenden, von Vorurteilen behafteten Begriffe, die nach der Wende als Kampfvokabeln entstanden, stempeln noch heute viele Künstler ab. Wovon soll ein Künstler leben, wenn nicht von Aufträgen? War Goya ein Staatskünstler? (Die Reihe ist beliebig fortzusetzen.) In seinem Gruppenbild »Die Familie König Karls IV.« (heute im Museo Nacional del Prado) malte Goya die Gesichter der meisten Dargestellten abstoßend häßlich, unsympathisch, karikaturhaft und zeigte so seine Distanz zum Auftraggeber, der Königsfamilie. Neben Rembrandts »Nachtwache«, auch einem Auftragswerk, ist es eines der bedeutendsten Gruppenbilder der Kunstgeschichte.

In seiner Autobiographie »Farben und Folgen«, herausgegeben von Gisela Schirmer im Verlag Faber & Faber, schreibt Willi Sitte: »Die nach der Wende einsetzende Diffamierung aller Kunst, die in der DDR entstanden ist, empfinde ich als eine unglaubliche Heuchelei … Die Geschichte der bildenden Kunst ist zum großen Teil eine Auftragsgeschichte.« Künstler und Auftraggeber waren sehr oft gute Partner; die Arbeit an Auftragswerken brachte eine Bereicherung für beide. Aufträge dienten der materiellen Absicherung vor allem junger Künstler in der DDR. »Staatskünstler« in einem »Verbrecherstaat« wurden oft in beleidigender Weise mit Nazikünstlern gleichgesetzt, so mit Arno Breker oder Josef Thorak, das war beabsichtigt. Diese Verurteilung betraf auch Willi Sitte. Er bekennt: »Ich hatte einen guten Staat im Sinn, und dazu wollte ich mit meiner Arbeit beitragen … Habe ich als sogenannter Staatskünstler kaum Verträge mit dem Staat abgeschlossen, übernahm ich 1988 von einer westlichen Aktiengesellschaft einen großen Auftrag.« Das Werk, das die positiven und negativen Seiten der Erzgewinnung in ihrer historischen Entwicklung darstellt, hängt im Bergbaumuseum in Bochum.

Jetzt zeigt die Willi-Sitte-Galerie für realistische Kunst Merseburg eine Ausstellung des Künstlers mit dem Thema »Menschenbilder«. Es ist die aktuelle Jahresausstellung der Willi-Sitte-Stiftung. Dort bisher noch nicht ausgestellte Werke aus den Jahren 1947 bis 1996 geben einen kleinen Einblick in das umfangreiche Œuvre des Künstlers, zeigen seine Achtung vor den Menschen. Frühe meisterhafte Hand- und Kopfstudien, Arbeiten, die vom verehrten Picasso angeregt sind, Porträts und sinnenfrohe Aktdarstellungen wechseln mit Vorarbeiten zum Diptychon »Gefahren der manipulierten Vergeßlichkeit«. Eine ganze Wand beansprucht eines seiner Hauptwerke »Jeder Mensch hat das Recht auf Leben und Freiheit«. Der Titel ist einem Artikel aus der Erklärung der Menschenrechte entnommen. Das Werk fordert den Betrachter heraus, es klagt an, es verlangt eine Stellungnahme. Die Idee zur Form des Triptychons gab ihm Matthias Grünewald mit seinem Isenheimer Altar. Die linke Tafel zeigt gesichtslose, gleichsam austauschbare Menschen während des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher. Eine zerbrochene Gitarre erinnert an Víctor Jara und den Kampf des chilenischen Volkes. Den Gekreuzigten in der Mitteltafel deutete Sitte als Sinnbild »für die Entrechteten«, als »Symbol der um ihre Freiheit kämpfenden Menschen«. Die Verletzung der Menschenrechte, der Völkermord, die ständige Einmischung der USA bewegten ihn zutiefst. Das Triptychon gehört zum Bestand der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – Galerie Neue Meister – und verschwand nach der Wende im Depot. Jetzt wird es erstmalig wieder gezeigt. Begleitend zur Ausstellung werden Texte aus Sittes Autobiographie angeboten, so auch zum Porträt des Braunschweiger Bildhauers Jürgen Weber. Obwohl Sitte stets betonte, er sei kein Porträtist, porträtierten sich Sitte und Weber gegenseitig. Entstanden ist ein interessantes Doppelporträt. Die Bildnisse der Eltern, die Porträts Bernhard Heisigs, Rainer Kirschs, Willi Neuberts und anderer beweisen, daß Willi Sitte die Modelle meisterlich erfassen konnte.

Im Jahr 2000 gab es eine regelrechte Kampagne gegen Sitte. Im Sommer 2001 sollte eine Sitte-Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg stattfinden. Der Verwaltungsrat stoppte die Ausstellung, ein Katalog war schon in Arbeit. »Der Fall ist in der westdeutschen Kunstgeschichte einmalig«, schrieb Eduard Beaucamp. Sitte wurde vorgeworfen, er habe mit Hilfe der »Stasi« Künstler unterdrückt und sie »zu einer Zusammenarbeit mit den Organen der Staatssicherheit aufgefordert«. Das schlug hohe Wellen und rief große Empörung hervor. Es ging um eine böswillige und dumme Verleumdung. Gras wächst darüber nicht. Und trotzdem: Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter. Daran sollte man sich beim Besuch der Ausstellung erinnern.

Die Ausstellung ist in der Willi-Sitte-Galerie, Merseburg, Domstraße 15, dienstags bis sonntags von 10 bis 16 Uhr noch bis zum 15. Januar 2015 zu sehen.