In Salzburg, wo Mozart heute nicht leben möchte, da gibt es die erste Satzwahrheit: Jeder ist ein »Heimischer« und läßt kritische Worte nicht zu. Neben dem Gruß »Olasisschee« (alles ist schön) verabschiedet man sich mit »Goschnhoidn« (Mund halten), wenn man mit einem »Zuagroastn« (Zugereisten = Mensch letzter Klasse) redet. Das freut den Erzbischof und den Landeshauptmann von Salzburg, die manchmal die gleiche Denkungsart nicht verbergen. Sonst ist alles nicht so wie überall, sondern ein wenig schlimmer.
In Salzburg sind jene »Fremden« sehr willkommen, die über genügend Geld verfügen, um sich die Festspielkultur leisten zu können, die pro Eintritt bis zu 400 Euro kosten kann. Die anderen »Fremden« aber, die haben nichts zu lachen.
Auf dem Hausberg Salzburgs, dem Gaisberg (1247 Meter) gibt es das Hotel Kobenzl. Es war einmal ein Nobelhotel, und noch immer hat man von dort eine atemberaubende Aussicht auf die Festspielstadt. Das Haus wurde erstmals im Jahre 1625 erwähnt. Da war es ein Bauernhof. Später konnte man mit einer Zahnradbahn auf den Gaisberg fahren, da war das Haus eine Jausenstation. Dann entstand ein kleines Hotel, das im Jahre 1959 vergrößert zur nobelsten Hoteladresse Salzburgs wurde. Zu den Gästen gehörten Präsident Richard Nixon und der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky. Der US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger und die britische Premierministerin Margaret Thatcher übernachteten in diesem Hotel, das auch José Carreras, Thomas Bernhard und Herbert Grönemeyer beherbergte.
Doch dann ging es bergab mit dem Hotel; alle Versuche, an alte Zeiten anzuknüpfen, schlugen fehl. Bei Umbauarbeiten im Jahre 2002 wurden angebliche Energieplätze auf der Liegenschaft des Vital-Hotels ausfindig gemacht. Seither ist das Hotel zwar unter Esoterikern berühmt, aber auch das half nichts. Ein profitabler Verkauf platzte. Doch vor wenigen Monaten kam es zu einer Lösung. Die Bundesrepublik Österreich suchte und sucht dringend Plätze für Flüchtlinge, die um Asyl ersuchen: Das Land Salzburg erfüllt seit Jahren die vorgeschriebene Aufnahmequote nicht, und das Hotel mit 100 Plätzen steht leer. So kam es, daß der jetzige Besitzer das Angebot des österreichischen Innenministeriums annahm, aus dem ehemaligen Hotel ein Erstaufnahmezentrum – im Fachjargon Verteilzentrum – für Asylsuchende zu machen.
Als die Medien darüber berichteten, da war es vorbei mit jener Aufklärung, Humanität, Haltung, Menschlichkeit und der »Nachbar-in-Not«-Mentalität in der heimischen Gesellschaft. Weil dieses ehemalige Nobelhotel auf dem Gaisberg, zu dem heute nur viermal am Tag eine Busverbindung besteht, nun Aufenthaltsort für Flüchtlinge wurde, kochte die Volksseele hoch. Sie verschaffte und verschafft sich mit rüden Beschimpfungen in Internetforen und wüsten Drohungen Luft. In dieser Stadt kein Wunder.
Die bürgerliche Mitte in Salzburg, die ihr Geld mit dem Verkauf von Hochkultur und »Salzburg-Schaun« verdient und sich als »anständig« bezeichnet, will die Flüchtlingsprobleme nicht wahrhaben und tritt antisemitischen, ausländerfeindlichen und rassistischen Schmierereien, die es seit vielen Jahren in der Stadt gibt, nicht mit massiven Protesten entgegen. Vielen ist immer noch nicht bekannt, daß Salzburg die einzige Stadt Österreichs war, in der es während der NS-Diktatur zu Bücherverbrennungen kam.
Der Hotelbesitzer wurde beschimpft, die verantwortlichen Politiker sowieso, und die regionale Ausgabe der Kronen-Zeitung (sie überbietet die bekannte Hetze der Bild um Längen) heizte mit dem Aufmacher »Asyl-Verteilzentrum auf dem Gaisberg. Das trifft Salzburg mitten ins Herz!« die öffentliche Stimmung zusätzlich an.
Während der NS-Zeit tummelte sich hier die Nazi-Elite, heute leidet die Stadt, die ihren guten Ruf schon lange demontiert, unter antisemitischen Übergriffen und Schmierereien aus der Neonazi-Szene. Im Herbst 2013 wurden die Davidsterne der Synagoge im Stadtteil Schallmoos gelb angemalt und prangen seither als Symbol der Wiederbetätigung weithin sichtbar in der Farbe, wie einst die Judensterne während der Nazizeit. Außerdem attackiert man auch antifaschistische Einrichtungen der Mozartstadt oder die Stolpersteine, die im Gehsteig vor zahlreichen Häusern angebracht sind, in denen Menschen wohnten, die während des Naziterrors vertrieben wurden. Meist häufen sich diese Vorfälle, etwa im November (Gedenken an die Novemberpogrome 1938).
Ist es gewollt, daß im Kurpark nahe Schloß Mirabell in Salzburg Adolf Hitlers Lieblingskünstler Josef Thorak mit einer Paracelsus-Skulptur vertreten ist? Während des Zweiten Weltkrieges war Thorak vom aktiven Kriegsdienst befreit, da er nicht nur auf der 1944 von Hitler erstellten Gottbegnadeten-Liste, sondern auch in die Sonderliste mit den zwölf wichtigsten »unersetzlichen« bildenden Künstlern aufgenommen worden war. In Salzburg gibt es nicht nur eine Straße, die nach dem Künstler benannt ist, sondern auch ein Ehrengrab auf dem Friedhof St. Peter. Aufarbeitung in Salzburg?
Jetzt aber geht es gegen jene Fremden, die keine Kurtaxe zahlen können und nicht die Souvenir-Läden stürmen: die Flüchtlinge. Der Hotelbesitzer erhielt – es war nur eine der vielen Botschaften auf seinem Handy – das Folgende: »Dieses Ausländer-Gesindel würde ich nicht einmal in meinem Kuhstall unterbringen.«
Die Nazi-Schmiererei findet kein Ende. Eine Tafel an der Michaelerkirche am Residenzplatz – auch sie wurde beschmiert – erinnerte an die Bücherverbrennung. Auf der Tafel, die erst 2011 angebracht wurde, steht das berühmte Zitat von Heinrich Heine: »Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.«