Rätselhafter Hinweis: »Dieser Film ist für Besucher unter 18 Jahren nicht geeignet.« Was soll das in einer Ausstellung: »Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode«? Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg will genau das: aufschrecken (bis zum 20. September; vom Dezember 2015 bis Mai 2016 im Hygiene-Museum Dresden). Der Film gleich am Eingang soll einstimmen auf die glänzenden und dunklen Seiten der Mode. In kurzen Ausschnitten wechseln posierende Models mit blasiertem Gesichtsausdruck mit Mädchen an Nähmaschinen, auch mal vor Erschöpfung einschlafend. Dann ein Spotlight auf Abfallberge aus Stoff als Ruhestätte. Schließlich rosa-violetter Schaum in chinesischen Flüssen. Und Tiere – lebende Angora-Kaninchen, auf eine Streckbank geschnallt, um ihnen das Fell abzuzupfen. Sie schreien. Schnell ein anderes Motiv. Dieses Undercover-Video löste 2013 einen Aufruhr unter Kunden aus.
Tiere sind es, deren Qualen die Menschen nicht ertragen können. Die Kaninchen sterben oft an Herz-Kreislauf-Zusammenbrüchen, Streß. Die Textilarbeiterinnen? Wir sehen sie im Sari, mit Armreifen an der Maschine sitzen, pittoresk arm. Doch ihre Streckbank ist der Arbeitsplatz. Der ist jugendfrei. Nicht sofort als Folter zu erkennen. Was ihnen angetan wird und wie sie leben – davon handelt die Ausstellung.
Fast Fashion heißt: Immer schneller herstellen – zwei Wochen vom Entwurf bis zur Auslieferung sind möglich. Und immer schneller muß etwas Neues her, das genauso schnell weggeworfen wird, weil auch immer billiger für den Verbraucher. Nur ein Prozent der Gesamtkosten machen dabei den Lohn aus. Da fast nur noch in Asien produziert wird, fällt auf den Transport ein Anteil – der ist sogar geringer als die minimalen Lohnkosten, die Umwelt zahlt den Rest. Tabellen, Graphiken und Hintergrundinfos machen einen großen Teil des Katalogs (hier Magalog genannt) aus: 200 Seiten, 6,50 Euro
.
Bestürzend sind die Aussagen der Mädchen in den Filmen über ihren Alltag und die Arbeitsbedingungen: 12 bis 14 Stunden am Tag, auch sonntags – schwanger dürfen sie nicht werden. Wenn sie versuchen, sich in Gewerkschaften zu organisieren, verlieren sie ihre Arbeit. In einem Film aus der Türkei heißt es, nur auf dem WC konnten sie mit anderen Gewerkschafterinnen sprechen. Auf transparenten Glasscheiben in der Ausstellung: Informationen über das Leben und den Kampf der Textilarbeiterinnen. Auf Fotos: Eingesperrte in der Fabrik infolge der Arbeitskampfmaßnahmen. Und Soldaten mit Gewehren, wie sie den protestierenden Arbeiterinnen gegenüberstehen. »No more Death in RMG – Garment Workers Solidarity« und viele Plakate mit Bildern von Toten. Ein Foto von »Beauty«, die bei der Firma Vartex arbeitete, durch die Fabrikverwalter gefoltert, dann vom Dach der Fabrik gestürzt wurde.
Ein Ereignis ließ die Welt aufschrecken: der Einsturz der Produktionshallen Rana Plaza in Bangladesch am 24. April 2013 mit mehr als 1130 Toten, vielen hundert Vermißten und Verwundeten. Die Fotografin und Aktivistin Taslima Akhter porträtiert in ihrer Serie »Death of Thousand Dreams« das Leben der Textilarbeiterinnen nach dem Einsturz in erschreckenden Bildern. Eine Frau im gelben Sari vor dem Stacheldraht hockend, der sie von den Trümmern des Einsturzes trennt. Eine Familie zwischen den mit weißen Tüchern verhüllten Leichen, Angehörige suchend. Die Entschädigungen der Firma, sie reichten nicht für die Familien. – In der Ausstellung hängen zwei Pullover, bedruckt mit den Zeitungsbildern des eingestürzten Fabrikgebäudes. Wer soll sie tragen? Wir alle.
Um das Video »Pestizideinsatz im Baumwollanbau« anzusehen, nehme ich auf einem der im Raum stehenden Hocker Platz. Eigentlich sind es Ausstellungsstücke aus gepreßten Altkleidern. Alles wird vermarktet, die Altkleider nach Afrika verschifft. Ein anderer Aspekt: die Umweltbelastung, die wieder zuerst die Arbeiter trifft. Frauen schützen sich mit Tüchern um Mund und Nase vor giftigem Staub. In Europa verbotene Substanzen, in Indien werden sie versprüht. Auch Nervengifte. Im Film spricht ein Arzt von 30 bis 50 Personen, die am Tag in sein Krankenhaus kommen, auf der Intensivstation landen. Doch die meisten sterben, bevor sie die Klinik erreichen. Durst und Kopfschmerzen verursachen die Pestizide, auch Ohnmachten. Etwa zehn Prozent der weltweit eingesetzten Pestizide und 25 Prozent der Insektizide entfallen auf den Anbau konventioneller Baumwolle, und unendlich viel Wasser wird gebraucht. Das Bearbeiten der Kleidung verursacht weitere Gesundheitsschäden. Das Sandstrahlen der Jeans erzeugt schon nach ein paar Monaten eine Staublunge. Das Gerben löst Allergien aus – so geht es weiter mit Mitteln gegen Geruchsbildung, Imprägnierstoffen, und das Färben macht die Flüsse bunt und giftig. Der Aralsee war vor 50 Jahren noch der viertgrößte Binnensee der Welt. Bewässerungen von Baumwollplantagen in Usbekistan ließen ihn um ein Drittel schrumpfen.
Ganz anders, was in einer Vitrine ausgestellt wird: eine Zeitungsannonce »Hausschuhe ohne Bezugsschein« und Sohlen für Strohschuhe. Ich erinnere mich, nach dem Krieg war das nötig bei uns. Do it yourself. Jetzt kaum noch üblich. Das Umändern und Ausbessern von Kleidung nenne sich jetzt »Upcycling«, vor allem auf Notsituationen beschränkt. Ach, wenn ich vom Flohmarkt etwas mitbringe und es ändere – ist das Not? Es gibt doch nichts Neues mehr, was schön ist. Auffällig: Die Etiketten mit »Made in …« sind nun sehr oft abgeschnitten. Schlechtes Gewissen? Ganz anders der neueste Wahnsinn: In selbstgedrehten Filmen, sogenannten Haul-Videos, zeigen junge Mädchen (auch Männer?), was sie bei Shoppingaktionen ergattert haben. Die Marken oder Labels, ganz wichtig! Alle laufen als freiwillige Reklametafeln für Firmen herum. Wo sind wir gelandet? Ist Slow Fashion die Rettung?