Erich Mühsam: Apothekergehilfe, Dichter, Bohemien, Anarchist, Publizist, begnadeter Redner und engagierter Revoluzzer. Er ist nicht vergessen!
Aber der Anarchismus, der seine Grundhaltung prägte, ist von der Geschichtswissenschaft nur stiefmütterlich behandelt worden, obwohl er nach dem Ersten Weltkrieg einen durchaus großen Einfluß hatte. Landläufig wird der Begriff Anarchismus mit Verbrechen oder Bombenlegerei gleichgesetzt. Die Erich-Mühsam-Gesellschaft und der Wanderverein Bakuninhütte versuchen dem entgegenzuwirken.
Doch zu Mühsam: Ich hatte seinen Namen in den sechziger Jahren bei Veranstaltungen des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds gehört. Daraufhin kaufte ich bei einem Besuch in der DDR seine gesammelten Werke und eine Biographie von Chris Hirte. Die Literatur überzeugte mich. Als vor 25 Jahren in Lübeck, Mühsams Heimatstadt, die Erich-Mühsam-Gesellschaft gegründet wurde, trat ich ihr nach kurzer Zeit als Mitglied bei.
Später erfuhr ich, daß in der DDR sogar eine Kaserne in Rostock Mühsams Namen getragen hatte. Ich glaube, da haben sich die Namensgeber nicht richtig informiert. War es Provokation oder Unwissenheit? Irgendwo in den Militäranalen in Koblenz könnte man das Geheimnis lüften.
Aber was blieb? Ein Mühsam-Denkmal neben der ehemaligen Kaserne! An diesem trafen sich am 10. Juli 2014 Mitglieder der Erich-Mühsam-Gesellschaft und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten zu einem Gedenken an den revolutionären Dichter und Publizisten. Es war der 80. Jahrestag der Ermordung Mühsams im KZ Oranienburg: Gedichte und Lieder wurden vorgetragen, Erinnerungen ausgetauscht, mit Wein angestoßen, wie er es sich in einem Gedicht gewünscht hat.
Wie kam es zu Mühsams Ermordung? Hermann Göring hatte die Parole ausgegeben: »Die rote Judensau muß sterben.« Das KZ Oranienburg war von SS-Schergen aus München übernommen worden. Diese konnten sich gut erinnern, welch wichtige Rolle Mühsam bei der Gründung der Münchener Räterepublik gespielt hatte: Damals gelang es dem Dichter, viele Soldaten zu bewegen, die Kasernen zu verlassen und ihre Gewehre zu zerstören. Mühsam war als eine Art Staatssekretär bei Gustav Landauer tätig, wurde nach der Niederschlagung der Revolution durch die Nosketruppen verhaftet und zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt. Im Dezember 1924 wurde er amnestiert und zog mit seiner Frau Zenzl und deren Sohn Siegfried Elfinger nach Berlin-Britz. Die Amnestie erfolgte gleichzeitig mit der von Adolf Hitler – Ironie des Schicksals!
Mühsams Einsatz für linke Bewegungen, seine Mitarbeit bei der Roten Hilfe und seine Zeitungsartikel gegen Reaktion und Nazis in seiner Zeitschrift Fanal, ließen ihn zum Haßobjekt werden. Er war am Abend des Reichstagsbrandes verhaftet worden, wurde dann in vier Gefängnissen gequält und gefoltert und schließlich in der Nacht zum 10. Juli 1934 ermordet. Petitionen und Protestnoten anarchistischer und antifaschistischer Organisationen zeigten keine Wirkung.
Erich Mühsam war eine bedeutende Persönlichkeit der Weimarer Republik. Er hatte mehrere Gedichtbände geschrieben, seine Theaterstücke wurden unter anderem von Piscator zur Aufführung gebracht. Er nahm an antifaschistischen Kundgebungen der Roten Hilfe und der KPD teil. Für die Rote Hilfe war er im ganzen Land unterwegs. Oft besuchte er auch anarchistische Gesinnungsfreunde, darunter die Betreiber der Bakuninhütte in Meiningen. Von dort schrieb er am 9. Februar 1930 an seine Frau folgende Karte:
»Liebste Zenzl! Diese Hütte haben die Genossen gebaut, 600 m hoch, mitten im schönsten Wald. Wir sind ungefähr eine Stunde bis herauf gestiegen. Heute abend werde ich Virbücher guten Tag sagen, der eine Versammlung hier hat. Morgen früh geht‘s weiter. Morly und Tobias sollen brav auf ihre Tante aufpassen. Grüße an Siegfried und Gerhard. Dich küsse ich. Dein Erich«
Die Geschichte der Hütte begann 1919 mit der Gründung einer Ortsgruppe der FAUD, der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands. Ein Jahr später kaufte die Gruppe einen oberhalb der Stadt gelegenen Flecken als Selbstversorgungsfläche. Zunächst wurden in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Kartoffeln, Getreide, Obst und Gemüse angebaut. Danach errichteten die Siedler dort eine Hütte, die sie nach dem russischen Revolutionär Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814–1876) benannten. Die Bakuninhütte wurde bald überregional als Freizeit- und Versammlungsstätte bekannt. So gelangte auch Mühsam an diesen Ort. Heute will der Wanderverein Bakuninhütte die Vergangenheit wieder lebendig werden lassen und neue Akzente setzen. Der Verein hat sich mit der Erich-Mühsam-Gesellschaft in Verbindung gesetzt. Gemeinsam mit dem Literaturmuseum Baumbachhaus in Meiningen entstand ein mehrteiliges Veranstaltungsprojekt, mit dem erstmals im Kulturleben der Stadt und über diese hinaus an eine vergessene revolutionäre Bewegung in Meinigen erinnert werden soll. Vom 17. Mai bis 27. September kann man im Schloß Elisabethenburg Meiningen eine Doppelausstellung über das Leben Erich Mühsams und die Geschichte der Bakuninhütte besuchen. Vom 11. bis 14. Juni gibt es eine gemeinsame Fachtagung zum Thema: »Erich Mühsam in Meiningen – Ein historischer Überblick zum Anarchosyndikalismus in Thüringen: Die Bakuninhütte und ihr soziokultureller Hintergrund.« (www.muehsam-in-meiningen.de)